28.09.2020

Abgasskandal: Ablehnung eines Richters wegen Befangenheit?

Eine Ablehnung wegen Befangenheit gem. § 42 Abs. 2 ZPO kann begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Entsprechendes gilt, wenn der Richter Ansprüche gegen die Partei bislang nicht geltend gemacht hat, dies aber ernsthaft in Erwägung zieht.

BGH v. 28.7.2020 - VI ZB 94/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger erwarb in einer Niederlassung der Beklagten ein Fahrzeug der Marke Mercedes, das von dem sog. Abgasskandal betroffen ist. Er macht unter Berufung hierauf kaufrechtliche und deliktsrechtliche Ansprüche gegen die Beklagte geltend. Das LG wies die Klage ab. Hiergegen legte der Kläger Berufung ein.

Der Vorsitzende des Berufungssenats teilte in einer Anzeige gem. § 48 ZPO mit, er sei seit Jahren Halter eines Mercedes C 220 CDI, eines Dieselfahrzeugs der Abgasnorm Euro 5. Ihm sei vom Kraftfahrt-Bundesamt ein Informationsschreiben seines Kfz-Herstellers übersandt worden, in dem es heiße: "In Abstimmung mit den Behörden werden wir im Rahmen einer freiwilligen Kundendienstmaßnahme die Software des Motorsteuergerätes von Dieselfahrzeugen der Abgasnorm Euro 5 aktualisieren. Dieses Software-Update für Ihr Fahrzeug liegt nun vor und kann aufgespielt werden." Nach Rücksprache mit der technischen Beratung des ADAC habe er entschieden, das angebotene Update nicht durchführen zu lassen, weil man ihm nicht habe sagen können, ob die Maßnahme unter Umständen negative Folgen haben könne. Derzeit prüfe er, ob er den Händler oder den Hersteller in Anspruch nehmen werde. Hierzu habe er einen Vertragsanwalt des ADAC um Rat gebeten. Die Antwort stehe noch aus.

Gestützt auf diese Erklärungen lehnte die Beklagte den Senatsvorsitzenden wegen Besorgnis der Befangenheit ab. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das OLG die Selbstablehnung des Vorsitzenden Richters für unbegründet erklärt und das Ablehnungsgesuch der Beklagten zurückgewiesen. Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten hob der BGH den Beschluss des OLG auf und erklärte das Ablehnungsgesuch der Beklagten gegen den Vorsitzenden Richter am OLG sowie die Selbstablehnung des Vorsitzenden Richters für begründet.

Die Gründe:
Das OLG hat den Umstand, dass der Vorsitzende Richter des Berufungssenats unter Einschaltung eines Vertragsanwalts des ADAC prüft, ob er den Händler oder den Hersteller seines Mercedes (die Beklagte) in Anspruch nimmt, zu Unrecht nicht als Ablehnungsgrund gem. § 42 ZPO angesehen.

Eine Ablehnung wegen Befangenheit gem. § 42 Abs. 2 ZPO kann begründet sein, wenn ein Richter in einem Verfahren zwar nicht selbst Partei ist, aber über den gleichen Sachverhalt zu entscheiden hat, aus dem er selbst Ansprüche gegen eine Partei geltend macht. Aus der Sicht einer Partei, gegen die ein Richter Ansprüche geltend macht, kann Anlass zu der Befürchtung bestehen, dass dieser Richter die Würdigung des Sachverhalts, wie er sie dem von ihm verfolgten Anspruch gegen die Partei zugrunde gelegt hat, auf das Verfahren gegen eine andere Partei, dem der gleiche Sachverhalt zugrunde liegt, überträgt und wie in der eigenen Sache urteilt. Entsprechendes gilt, wenn der Richter Ansprüche gegen die Partei bislang nicht geltend gemacht hat, dies aber ernsthaft in Erwägung zieht. Zwar hat er den Sachverhalt in eigener Sache dann noch nicht abschließend gewürdigt. Aus Sicht der Partei besteht aber Anlass zu der Befürchtung, dass der Richter etwaige Erwägungen und Beweggründe, die bei seiner vorläufigen Betrachtung des Sachverhalts für eine Geltendmachung von Ansprüchen gegen die Partei in eigener Sache sprechen, auf das Verfahren überträgt.

Danach liegt im Streitfall ein Ablehnungsgrund vor. Seiner dienstlichen Äußerung zufolge prüft der Vorsitzende Richter, nachdem er sich gegen das Software-Update entschieden hat, ob er den Händler oder den Hersteller seines Mercedes also die Beklagte in Anspruch nimmt. Die Ernsthaftigkeit dieser Prüfung ergibt sich daraus, dass er einen Vertragsanwalt des ADAC um Rat gebeten hat. Schon im Rahmen der Beratung zum Software-Update hat sich der ADAC zu möglichen Ansprüchen von Betroffenen gegen den Fahrzeughersteller geäußert, erklärt, ein rechtliches Vorgehen empfehle sich dann, wenn eine eintrittspflichtige Rechtsschutzversicherung bestehe, und auf die Möglichkeit hingewiesen, sich zur Klärung des weiteren Vorgehens von einem ADAC-Vertragsanwalt kostenlos beraten zu lassen. Von dieser Möglichkeit hat der Vorsitzende Richter Gebrauch gemacht. Es geht ihm damit entgegen der Ansicht des OLG nicht mehr nur um ein Update und dessen technische Auswirkungen.

Auch geht sein Interesse über bloße Sozialbefangenheit oder Gruppenbetroffenheit hinaus. Es besteht die Möglichkeit, dass er im vorliegenden Rechtsstreit den gleichen Sachverhalt und die gleichen Rechtsfragen wie in eigener Sache (dort mit anwaltlicher Hilfe) zu beurteilen hat, ob nämlich Käufern von Fahrzeugen der Marke Mercedes, die vom sog. Abgasskandal betroffen sind, gegen die Beklagte als Herstellerin Schadensersatzansprüche zustehen. Dies ist geeignet, vom Standpunkt der Beklagten aus bei vernünftiger Betrachtung Zweifel an der Unparteilichkeit und Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden Richters aufkommen zu lassen. Von welchen Erwägungen er sich bei seiner Entscheidung in eigener Sache leiten lassen wird und ob die diesbezüglichen Vermutungen des OLG zutreffen, ist dabei unerheblich. Denn es genügt bereits der "böse Schein", die tatsächliche Einstellung des Richters ist nicht ausschlaggebend.
BGH online
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