23.04.2020

Abmilderung der zusätzlichen Belastungen durch die Corona-Krise für Arbeitnehmer; Steuerbefreiung für Beihilfen und Unterstützungen

Im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt für Beihilfen und Unterstützungen während der Corona-Krise Folgendes: Arbeitgeber können ihren Arbeitnehmern in der Zeit vom 1. März bis zum 31. Dezember 2020 aufgrund der Corona-Krise Beihilfen und Unterstützungen bis zu einem Betrag von 1.500 Euro nach § 3 Nummer 11 EStG steuerfrei in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewähren. Voraussetzung ist, dass diese zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet werden. Die in R 3.11 Absatz 2 Satz 2 Nummer 1 bis 3 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) genannten Voraussetzungen brauchen nicht vorzuliegen.

BMF-Schreiben
BMF v. 9.4.2020 - IV C 5 - S 2342/20/10009 :001 - DOK 2020/0337215, EStB 2020, 129

Mit diesem Schreiben soll es Arbeitgebern ermöglicht werden, ihren Arbeitnehmern in der Zeit vom 1.3.2020 bis zum 31.12.2020 Beihilfen und Unterstützungen bis zu insgesamt 1500 € in Geld oder Sachbezügen gem. § 3 Nr. 11 EStG steuerfrei zu gewähren, sofern diese Leistungen zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden. Nicht erfasst werden Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld. Die Leistungen sind im Lohnkonto aufzuzeichnen.

Die Anweisung wirft zahlreiche Zweifelsfragen auf. Schon die gewählte Rechtsgrundlage erstaunt. § 3 Nr. 11 EStG befreit "Bezüge aus öffentlichen Mitteln oder aus Mitteln einer öffentlichen Stiftung". Der Grund für die Differenzierung danach, ob die Leistungen aus öffentlichen oder privaten Mitteln stammen, liegt darin, dass nur über öffentliche Mittel "nur nach Maßgabe der haushaltsrechtlichen Vorschriften des öffentlichen Rechts verfügt werden kann und deren Verwendung im Einzelnen gesetzlich geregelter Kontrolle unterliegt" (BFH v. 18.5.2004 - VI R 128/99). Die Regelung ist verfassungsgemäß (BVerfG v. 19.2.1991 - 1 BvR 1231/85). Entsprechend gewährt R 3 Nr. 11 Abs. 2 Satz 2 LStR 2020 die Steuerbefreiung für Leistungen aus privaten Mitteln nur, soweit der Arbeitgeber für die Gewährung der Leistungen erheblichen Bindungen unterliegt.

Gemessen an diesem Maßstab dürfte die Steuerbefreiung nach dem Gesetzeswortlaut in sehr zahlreichen Fällen nicht anwendbar sein. Viele der in der aktuellen Diskussion um die sog. "Corona-Prämien" angesprochenen Berufsgruppen (Supermarktverkäufer/innen, Arzthelfer/innen, ...) dürften weitaus überwiegend von privatwirtschaftlichen Arbeitgebern und nicht aus öffentlichen Mitteln bezahlt werden. Das BMF-Schreiben suspendiert zwar die in R 3.11 Abs. 2 Satz 2 LStR 2020 enthaltenen Beschränkungen. Dann aber ist äußerst fraglich, ob die weitgehende Gleichstellung von Bezügen aus öffentlichen und aus privaten Mitteln noch vom Wortlaut des § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG gedeckt ist.

§ 3 Nr. 11 Satz 3 EStG regelt den Ausschluss der Steuerbefreiung, wenn der Empfänger mit den Bezügen zu einer bestimmten Arbeitnehmertätigkeit verpflichtet wird. Im Schrifttum wird dies im Anschluss an die Rechtsprechung dahin interpretiert, dass Zahlungen als Gegenleistung für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft, also Zahlungen im Rahmen eines Leistungsaustauschs, nicht begünstigt sind (von Beckerath in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 11 Rz. B 11/60, B 11/62 mwN). Dasjenige, was aktuell als "Corona-Prämien" bezeichnet wird, ist daher nach Wortlaut und Zweck des Gesetzes von der Steuerbefreiung ausgeschlossen. Denn die Bezüge sollen ja gerade Entlohnungscharakter haben und eine Gegenleistung darstellen für überobligatorischen Einsatz (Ärzte/Pflegekräfte) oder Inkaufnahme besonderer Risiken (zB Einzelhandelskräfte).

Voraussetzung für die Steuerfreiheit der Bezüge soll sein, dass diese zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn erbracht werden. Die Bedeutung dieser Voraussetzung ist aktuell hoch umstritten. Nachdem BFH v. 1.8.2019 - VI R 32/18, FR 2020, 175 eine Rechtsprechungsänderung gebracht hatte, hat die Finanzverwaltung darauf mit Schreiben des BMF v. 5.2.2020 - IV C 5 - S 2334/19/10017 :002 - DOK 2020/0097878, FR 2020, 235 reagiert und eine Gesetzesänderung zur Wiederherstellung der bisherigen Rechtslage angekündigt (vgl. Referentenentwurf eines Grundrentengesetzes v. 16.1.2020, 48). Auf Basis der neuen BFH-Rechtsprechung wäre die Steuerbefreiung nach dem BMF-Schreiben v. 9.4.2020 praktisch in keinem Fall zu gewähren, weil nach Auffassung des BFH Voraussetzung für das Tatbestandsmerkmal "zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn" ist, dass der Arbeitslohn "verwendungs- bzw. zweckgebunden neben dem ohnehin geschuldeten Arbeitslohn geleistet wird". Diese Voraussetzung wird nur in sehr seltenen Ausnahmefällen erfüllt sein, weil die "Corona-Prämien" in aller Regel ohne Verwendungsbindung gezahlt werden dürften. Bei Zugrundelegung der Verwaltungsauffassung dürfte die Steuerbefreiung hingegen regelmäßig greifen, weil das Tatbestandsmerkmal danach nur voraussetzt, dass die Leistung arbeitsrechtlich nicht geschuldet wird.

Nach dem BMF-Schreiben kann "aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Betroffenheit durch die Corona-Krise ... allgemein unterstellt werden, dass ein die Beihilfe und Unterstützung rechtfertigender Anlass" iSv. R 3.11 Abs. 2 Satz 1 LStR 2020 vorliegt, zB Krankheits- oder Unglücksfälle. Voraussetzung für die Anwendung der Richtlinienregelung ist nach R 3.11 Abs. 2 Satz 5 f. LStR 2020 bei Zahlung von mehr als 600 € je Kalenderjahr eine Notlage des Arbeitnehmers. Da das BMF-Schreiben indes ausdrücklich besagt, es könne ein rechtfertigender Anlass (zB Krankheits- oder Unglücksfall) "allgemein unterstellt werden", handelt es sich wohl nicht mehr um eine Typisierung, sondern um eine Sachverhaltsfiktion. Das kontrastiert eigentümlich zu der nachfolgenden erheblichen Einschränkung: "Arbeitgeberseitig geleistete Zuschüsse zum Kurzarbeitergeld fallen nicht unter diese Steuerbefreiung". Auch R 3.11 Abs. 2 Satz 6 Halbs. 2 LStR 2020 gibt sich deutlich engherziger: "drohende oder bereits eingetretene Arbeitslosigkeit begründet für sich keinen besonderen Notfall im Sinne dieser Vorschrift". Nach dem BMF-Schreiben wird "aufgrund der gesamtgesellschaftlichen Betroffenheit" allgemein eine Notlage unterstellt, unabhängig von Arbeitsplatzsicherheit oder Einkommensverhältnissen des Arbeitnehmers, während grundsätzlich gem. R 3.11 Abs. 2 Satz 6 Halbs. 1 LStR 2020 das genaue Gegenteil gilt.

Hier stellt sich schon die Frage, ob die Regelung im BMF-Schreiben, die durch das Absehen von jeglichen individuellen Merkmalen eher einen Freibetrag von 1500 € für zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn regelt, nicht aber - wie nach dem Gesetzeswortlaut vorgesehen - die Steuerbefreiung von Bezügen aus öffentlichen Mitteln, die wegen Hilfsbedürftigkeit bewilligt werden, noch als zulässige Typisierung angesehen kann. Angesichts der Tatsache, dass sowohl § 3 Nr. 11 Satz 1 EStG als auch R 3.11 Abs. 2 LStR 2020 auf die Bedürftigkeit des Empfängers abstellen, dürfte eine solche Sachverhaltsfiktion die Grenzen zulässiger Typisierung überschreiten. Sie ist auch nicht sachgerecht. Es ist kein Maßstab erkennbar, dessen Anwendung dazu führen müsste, dass Kurzarbeit, drohende und eingetretene Arbeitslosigkeit aus dem Kreis der Notlagen ausgeschlossen werden, auch laufende, sichere und ggf. hohe Einkommen aber als Notlagen fingiert werden.

Die vorstehend genannten Kritikpunkte werden sich allerdings praktisch nur in wenigen Fällen auswirken, weil die Regelungen des Schreibens weithin großzügiger sind als diejenigen des Gesetzes. Aus Sicht der Stpfl. ist allerdings nur zu hoffen, dass es bei der Anwendung nicht zu Meinungsverschiedenheiten mit der Finanzverwaltung kommt. Dann könnte nämlich eine ähnliche Situation eintreten wie seinerzeit bei den Sanierungsgewinnen nach Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG aF durch das Gesetz zur Fortsetzung der Unternehmensteuerreform 1997, als der BFH die Sanierungserlasse des BMF mehrfach mangels gesetzlicher Grundlage beanstandete und damit auf diesem Feld für lange Zeit Rechtsunsicherheit eintrat.

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