24.11.2022

AdV-Verfahren: Keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Höhe der Säumniszuschläge

Bei summarischer Prüfung bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge (entgegen BFH-Beschlüsse vom 31.08.2021 - VII B 69/21 (AdV), und vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV)). Auch aus unionsrechtlichen Grundsätzen (Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) folgen ebenfalls keine Zweifel an der Rechtmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge.

Kurzbesprechung
BFH - Beschluss v. 28. 10. 2022 - VI B 15/22 (AdV)

AO § 240 Abs 1 S 1, § 238, § 233a, § 227, § 218 Abs 2
FGO § 69 Abs 2 S 2
EStG § 38 Abs 2
UStG § 14
GG Art 3 Abs 1, Art 100 Abs 1


Nach § 240 Abs. 1 Satz 1 AO ist, wenn eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet wird, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 % des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 € teilbaren Betrag. Der VI. Senat des BFH hat keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge. Solche Zweifel ergeben sich insbesondere nicht aus dem BVerfG-Beschluss zur Vollverzinsung (BGBl I 2021, 4303).

Denn Säumniszuschläge sind ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgerecht zahlen.

Neben der den Säumniszuschlägen zukommenden Lenkungsfunktion unterscheiden sich diese von Nachzahlungszinsen insbesondere dadurch, dass der Steuerpflichtige ‑ anders als bei der Vollverzinsung ‑ grundsätzlich die Wahl hat, ob er den Tatbestand der Säumnis verwirklicht und deshalb die Säumniszuschläge nach § 240 AO entstehen oder ob er die Steuerschuld bei Fälligkeit tilgt und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu günstigeren Konditionen beschafft.

Dem steht nicht entgegen, dass Säumniszuschläge kraft Gesetz entstehen, ohne dass es auf ein Verschulden des Steuerpflichtigen ankommt. § 233a AO und § 240 AO regeln folglich unterschiedliche Sachverhalte.

Aufgrund der wesentlichen Unterschiede von Nachzahlungszinsen und Säumniszuschlägen kann die Entscheidung des BVerfG (BGBl I 2021, 4303) zur Vollverzinsung auf § 240 AO auch nicht allein wegen eines gedachten Zinsanteils der Säumniszuschläge übertragen werden. Ebenso wenig werden unter Berücksichtigung dieser Entscheidung ‑ etwa im Wege eines "Erst-Recht-Schlusses" ‑ ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge begründet. Vielmehr vermag der BFH angesichts der aufgezeigten Unterschiede zwischen Säumniszuschlägen gemäß § 240 AO und Zinsen nach § 233a AO keine verfassungswidrige Ungleichbehandlung von säumigen und nicht säumigen Steuerschuldnern durch die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge zu erkennen.

Die in § 240 AO angelegte unterschiedliche Behandlung der beiden Vergleichsgruppen ist bereits durch die vom Steuerschuldner veranlasste Säumnis gerechtfertigt. Ein Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG liegt daher nicht vor.

Gleiches gilt im Hinblick auf die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge. Die dahingehende Typisierung obliegt der grundsätzlichen Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers. Sie ist erst dann nicht mehr zu rechtfertigen, wenn die Höhe der Säumniszuschläge unter veränderten tatsächlichen Bedingungen oder angesichts einer veränderten Erkenntnislage weder durch die maßstabsbildend zugrunde gelegten noch durch sonstige geeignete Kriterien getragen ist. Einen solchen Rechtfertigungsmangel sieht der BFH - auch unter Berücksichtigung des seit 2014 währenden strukturellen Niedrigzinsniveaus ‑ nicht.

Unbilligen Härten im Einzelfall im Hinblick auf die gesetzliche Höhe der Säumniszuschläge, z.B. bei Zahlungsunfähigkeit des Steuerschuldners, die die Funktion von Säumniszuschlägen als Druckmittel entfallen lassen könnte, kann durch (Teil-)Erlass nach § 227 AO begegnet werden.

Auch unionsrechtliche Grundsätze (Äquivalenz-, Effizienz-, Verhältnismäßigkeits- und Neutralitätsprinzip) führen ‑ jedenfalls bei der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung ‑ nicht zu ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge zur Umsatzsteuer. Der VI. Senat verweist hier zur Begründung auf den zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten BFH-Beschluss vom 23.05.2022 - V B 4/22 (AdV), Rz 33 ff., dem er sich insoweit inhaltlich uneingeschränkt anschließt.

Letztlich wäre im Streitfall der Antragstellerin die begehrte AdV auch bei ernstlichen Zweifeln an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge nicht zu gewähren gewesen. Denn hierfür fehlte es an dem erforderlichen besonderen Aussetzungsinteresse.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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