17.11.2022

AfA-Bemessungsgrundlage bei Austausch der mit einem Vorbehaltsnießbrauch belasteten Immobilie - Surrogation

1. Wird eine mit einem Vorbehaltsnießbrauch belastete Immobilie mit Zustimmung des Nießbrauchers gegen eine andere Immobilie in der Weise ausgetauscht, dass dem Nießbraucher an der neuen Immobilie auf der Grundlage eines zuvor vereinbarten, rahmenbildenden Vertrags wiederum ein Nießbrauch eingeräumt wird, und trägt der Nießbraucher wirtschaftlich die Anschaffungs- oder Herstellungskosten der Ersatzimmobilie, so setzt sich der Vorbehaltsnießbrauch an der erworbenen Immobilie fort (verlängerter Vorbehaltsnießbrauch).
2. Kann der Eigentümer die Ersatzimmobilie nur aus dem Veräußerungserlös anschaffen oder herstellen, gilt nichts anderes, sofern sich der Nießbrauch im Zeitraum zwischen der Veräußerung der Altimmobilie und der Anschaffung der Ersatzimmobilie ununterbrochen auf den Veräußerungserlös erstreckt.
3. Ein obligatorisches Nießbrauchsrecht ist einem dinglichen Nießbrauch steuerrechtlich insoweit gleichzustellen.

Kurzbesprechung
BFH v. 24. 5. 2022 - IX R 1/21

EStG § 7 Abs 1 S 1, § 7 Abs 1 S 4, § 7 Abs 4 S 1 Nr. 2 Buchst a, § 9 Abs 1 S 3 Nr. 7 S 1, § 21 Abs 1
FGO § 68 S 1, § 121 S 1


Streitig war, ob die Steuerpflichtigen (Eheleute) im Rahmen ihrer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung AfA auf die Anschaffungskosten des im Rahmen der Inanspruchnahme eines Nießbrauchs vermieteten Objekts in voller Höhe oder nur im Umfang der auf das Gebäude entfallenden Aufwendungen vornehmen können sowie ob die AfA verteilt auf die voraussichtliche Lebensdauer des Längstlebenden von ihnen oder nur auf die voraussichtliche Nutzungsdauer des Gebäudes zu gewähren ist.

Grundsätzlich ist derjenige befugt, AfA nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 4 EStG geltend zu machen, der den Tatbestand der Vermietung nach § 21 Abs. 1 EStG erfüllt und die Anschaffungs- oder Herstellungskosten für das Wirtschaftsgut getragen hat. Die Befugnis setzt nicht zwingend voraus, dass er bürgerlich-rechtlicher oder wirtschaftlicher Eigentümer ist. Aufgrund dessen steht das Recht auf die Inanspruchnahme von AfA auch einem Vorbehaltsnießbraucher zu, sofern und soweit er die Anschaffungs- oder Herstellungskosten getragen hat, bevor er das Grundstück unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs übereignete, und der nunmehr aufgrund seines dinglichen Rechts Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Er nutzt das Grundstück ununterbrochen aufgrund eigenen Rechts.

Wer hingegen ein Gebäude aufgrund eines ihm unentgeltlich zugewendeten Nießbrauchs nutzt, ist nicht AfA-berechtigt, wenn nicht er, sondern der Eigentümer die Anschaffungs- oder Herstellungskosten getragen hat.

Dem Vorbehaltsnießbraucher hat die Rechtsprechung einen Schenker gleichgestellt, der mit seinen Mitteln einem zu Beschenkenden den Kauf eines von dem Schenker im Voraus bestimmten Grundstücks ermöglicht, sich bei der Schenkung ein Nießbrauchsrecht an dem Grundstück vorbehält und anschließend aufgrund seines Nutzungsrechts Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt. Ein solcher Schenker ist mit demjenigen vergleichbar, der im Fall einer unmittelbaren Schenkung ein Grundstück zunächst zu seinem Eigentum erwirbt, um es sodann seinerseits auf den zu Beschenkenden unter Vorbehalt eines Nießbrauchs weiter zu übertragen; denn sowohl bei der unmittelbaren als auch bei der mittelbaren Grundstücksschenkung trägt der Schenker die Anschaffungskosten des Grundstücks als derjenige, für dessen Rechnung das Grundstück auf den Beschenkten übertragen wird. In beiden Fällen wendet der Schenker die Anschaffungskosten auf, um aufgrund des ihm bei der schenkweisen Übertragung eingeräumten Nutzungsrechts Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zu erzielen.

Der im Streitfall einschlägige Fall des "verlängerten Vorbehaltsnießbrauchs" ist dem Vorbehaltsnießbrauch und der mittelbaren Grundstücksschenkung unter Nießbrauchsvorbehalt gleichzustellen. Wenn ein mit einem Vorbehaltsnießbrauch belastetes Grundstück mit Zustimmung des Nießbrauchers gegen ein anderes Grundstück ausgewechselt und dem bisherigen Nießbraucher an dem neuen Grundstück wiederum ein Nießbrauch eingeräumt wird, handelt es sich bei wirtschaftlicher Betrachtung aufgrund des zeitlichen und sachlichen Zusammenhangs steuerrechtlich um das Fortbestehen des Vorbehaltsnießbrauchs. Voraussetzung ist, dass angesichts einer von vorneherein feststehenden Abrede, die in einem rahmenbildenden Vertrag zwischen den Nießbrauchern und den verpflichteten Eigentümern getroffen wurde, bereits während des Bestehens des ursprünglichen Vorbehaltsnießbrauchs an einer Immobilie die Fortsetzung des Nießbrauchsrechts an einer mit dem Erlös aus dem Verkauf der Erstimmobilie zukünftig zu erwerbenden Ersatzimmobilie vereinbart wird.

Zudem muss die Abrede entsprechend der Vereinbarung umgesetzt werden. Wird dementsprechend eine mit einem Vorbehaltsnießbrauch belastete Immobilie mit Zustimmung der Nießbraucher gegen eine andere Immobilie ausgewechselt, an der den Nießbrauchern aufgrund eines bereits während des Bestehens des ursprünglichen Vorbehaltsnießbrauchs abgeschlossenen Vertrags wiederum ein Nießbrauch eingeräumt wird, und trägt der Nießbraucher wirtschaftlich die Anschaffungskosten für den Erwerb der Ersatzimmobilie, so setzt sich der Vorbehaltsnießbrauch an der erworbenen Immobilie fort (verlängerter Vorbehaltsnießbrauch).

Dies gilt nicht nur in Fällen, in denen der aus dem Vorbehaltsnießbrauch verpflichtete Eigentümer über die Ersatzimmobilie bei Veräußerung der belasteten Immobilie bereits verfügen konnte, sondern auch dann, wenn er erst durch den Veräußerungserlös, den er durch die lastenfreie Übertragung der Altimmobilie erzielt, die Ersatzimmobilie anschaffen kann und sich der Nießbrauch in dem Zeitraum zwischen der Veräußerung der Altimmobilie und der Anschaffung der Ersatzimmobilie vereinbarungsgemäß ununterbrochen auf den Veräußerungserlös erstreckt. Es liegt auch dann bei wirtschaftlicher Betrachtung entsprechend der zugrunde liegenden, ausdrücklichen Vereinbarung eine Fortsetzung des Vorbehaltsnießbrauchs an der Ersatzimmobilie als Surrogat vor. Denn der Nießbraucher trägt in diesem Fall die Anschaffungskosten der erworbenen Ersatzimmobilie in der Weise, dass er den Erwerb dieser Immobilie durch den bisherigen und neuen Eigentümer dadurch ermöglicht, dass er auf seinen Vorbehaltsnießbrauch an der Altimmobilie, deren Anschaffungskosten er getragen hat, sowie auf seinen Nießbrauch an dem an die Stelle der Altimmobilie tretenden Veräußerungserlös verzichtet.

Aufgrund der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise ist es insoweit unerheblich, wenn sich das Surrogat aus zwei oder mehr Immobilien zusammensetzt, deren Anschaffungs- oder Herstellungskosten den aus der Veräußerung der Altimmobilie erzielten Erlös in der Summe nicht überschreiten. Ein obligatorisches Nießbrauchsrecht ist einem dinglichen Nießbrauch steuerrechtlich insoweit gleichzustellen, da auch der obligatorisch Nutzungsberechtigte den Einkünfteerzielungstatbestand erfüllen kann.

Im Streitfall hatte das FG zu Recht entschieden, dass der an der Altimmobilie bestellte Vorbehaltsnießbrauch an den Ersatzimmobilien im Wege der Surrogation fortgesetzt worden ist. Die Steuerpflichtigen als Nießbraucher und die drei Kinder als Eigentümer und Nießbrauchsverpflichtete hatten ihre ausdrückliche, während des Bestehens des ursprünglichen Vorbehaltsnießbrauchs abgeschlossene und formfrei mögliche Vereinbarung, nach der sich die Nießbrauchsrechte am Verkaufserlös der Immobilie und nach dem Erwerb auch an den aus dem Erlös finanzierten Ersatzimmobilien fortsetzen mit der Verpflichtung der Kinder, den Nießbrauch zunächst an dem Bankguthaben und beim späteren Kauf an den Ersatzimmobilien für die Eltern zu bestellen, vertragsgerecht umgesetzt und die Fortsetzung der Nießbrauchsrechte in den notariell beurkundeten Verträgen auch ausdrücklich bestätigt.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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