03.08.2017

Anforderungen an Aufzeichnungspflichten bei § 4 Abs. 3 EStG/Zulässigkeit einer Quantilsschätzung

In einem 54 Seiten umfassenden Aussetzungsbeschluss hat der BFH ausführlich zu den Anforderungen bei Gewinnermittlung durch Einnahme - Überschussrechnung (§ 4 Abs. 3 EStG) und Verwendung einer offenen Ladenkasse sowie zur Zulässigkeit einer sog. Quantilsschätzung Stellung genommen.

BFH 12.7.2017, X B 16/17
Der Sachverhalt:
Der Antragsteller erzielte in den Streitjahren 2008 bis 2010 gewerbliche Einkünfte aus einer Gaststätte, deren Gewinn er durch Einnahmen-Überschuss-Rechnung ermittelte. Das Finanzamt führte bei ihm eine Außenprüfung für die Streitjahre durch, in deren Verlauf es zu der Einschätzung kam, die Kassenführung sei nicht ordnungsgemäß. Die vollständige Erfassung der Bareinnahmen sei nicht überprüfbar. So sei weder feststellbar, ob sämtliche Einzelbeträge auf den Tageseinnahmen-Zetteln notiert worden seien, noch sei bei den Zetteln sichergestellt, dass sie vollständig und nicht nachträglich austauschbar seien. Es sei nicht dokumentiert, ob der Kassenbestand täglich durch tatsächliches Auszählen ermittelt worden sei. Auch sei nicht glaubhaft, dass die gelegentlichen Schließungstage der Gaststätte ausgerechnet auf Samstage entfielen, an denen der Antragsteller im Durchschnitt die höchsten Tageseinnahmen erziele.

Der Prüfer ermittelte die Höhe der Hinzuschätzung mittels der sog. "Quantilsschätzung". Anhand der Speisekarten ermittelte der Prüfer, dass die Preise ab 2009 um durchschnittlich 17 % erhöht worden seien. Daher nahm er eine sog. "Konjunkturbereinigung" vor und legte dem Zeitreihenvergleich für die Jahre 2009 und 2010 nicht die tatsächlichen Erlöse zugrunde, sondern solche Werte, die erst nach Vornahme eines Zuschlags von 17 % den tatsächlichen Erlösen entsprechen würden. Für sein weiteres Vorgehen unterstellte der Prüfer, dass bei Datensätzen, die der Gauß'schen Normalverteilung genügten, 68,27 % der Datensätze innerhalb der ersten Standardabweichung lägen und "damit am wahrscheinlichsten" seien. daraufhin erließ das Finanzamt entsprechend geänderte Einkommensteuer- und Umsatzsteuer-Festsetzungen für die Jahre 2008 bis 2010, einen geänderten Gewerbesteuermessbescheid für 2008 sowie erstmalige Gewerbesteuermessbescheide für 2009 und 2010.

Während des gerichtlichen AdV-Verfahrens gewährte die Behörde AdV für einen Teil der für das Streitjahr 2008 angeforderten Nachzahlungen. In Höhe der verbleibenden angeforderten Beträge lehnte das FG den Aussetzungsantrag ab. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hatte zum überwiegenden Teil vor dem BFH Erfolg.

Gründe:
Hinsichtlich des laufenden Gaststättenbetriebs bestehen derzeit ernstliche Zweifel an einer Schätzungsbefugnis des Finanzamtes.

Die Ergebnisse im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens lassen sich wie folgt zusammenfassen:

1. Eine Aufbewahrung von Tagessummen-Belegen mit Einzelaufzeichnung der Erlöse und Summenbildung kann, sofern im Betrieb keine weiteren Ursprungsaufzeichnungen angefallen sind, in Fällen der Einnahmen-Überschuss-Rechnung und Verwendung einer offenen Ladenkasse den formellen Anforderungen an die Aufzeichnungen genügen.

2. Die Rechtsprechung, wonach Einzelaufzeichnungen der Erlöse in bestimmten Fällen aus Zumutbarkeitsgründen nicht geführt werden müssen, ist nicht auf Einzelhändler beschränkt, sondern kann auch auf Klein - Dienstleister anwendbar sein.

3. Die Anforderungen, die der BFH bereits bislang an die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs gestellt hat (BFH v. 25.3. 2015 - X R 20/13), gelten auch dann, wenn die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs durch Vornahme einer Quantilsschätzung zur Begründung der Schätzungshöhe herangezogen werden. Dabei schließt eine während des Prüfungszeitraums vorgenommene Preiserhöhung um 26 % es im Regelfall aus, einen durchgehenden Zeitreihenvergleich für die Zeit vor und nach der Preiserhöhung vorzunehmen.

4. Offen bleibt weiterhin, ob die monatlichen Rohgewinnaufschlagsätze, die von der Software der Finanzverwaltung geschätzt werden, der Gauß'schen Normalverteilung folgen, und ob die in einem üblichen Prüfungszeitraum (drei Jahre mit 36 Monats-Einzelwerten) erhobene Grundgesamtheit groß genug für die Anwendung der bei einer Gauß'schen Normalverteilung geltenden Gesetzmäßigkeiten ist.

Die Anforderungen, die die bisherige BFH-Rechtsprechung an die Durchführung eines Zeitreihenvergleichs gestellt hat, gelten bei summarischer Betrachtung im Aussetzungsverfahren auch dann, wenn die Ergebnisse des Zeitreihenvergleichs durch Vornahme einer Quantilsschätzung zur Begründung der Schätzungshöhe herangezogen werden. Danach ist der Zeitreihenvergleich in Fällen, in denen keine materiellen Mängel der Aufzeichnungen feststellbar sind, grundsätzlich nachrangig zu anderen Schätzungsmethoden. Das Finanzamt hat hier die fehlende Eignung anderer Methoden aber bisher nicht hinreichend dargelegt. Darüber hinaus bestanden Zweifel, ob der Prüfer den Zeitreihenvergleich im Streitfall technisch korrekt durchgeführt hatte. Außerdem ist derzeit nicht zu erkennen, weshalb gerade der von der Quantilsschätzungs-Software der Finanzverwaltung ausgeworfene Wert "am wahrscheinlichsten" sein soll.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
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