18.07.2024

Anforderungen an einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss zur Unterbrechung der Verfolgungsverjährung und zur Auslösung der Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO

1. Nur Beschlagnahme- oder Durchsuchungsanordnungen der Verfolgungsbehörde oder des Richters unterbrechen nach § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 des Ordnungswidrigkeitengesetzes (OWiG) die Verfolgungsverjährung, nicht aber Anordnungen der Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft.
2. Durchsuchungsanordnungen müssen angesichts ihrer Grundrechtsrelevanz inhaltliche Mindestanforderungen erfüllen (unter anderem tatsächliche Angaben über den Tatvorwurf, Angabe der Art und des denkbaren Inhalts der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt). Sind diese inhaltlichen Mindestanforderungen nicht erfüllt, hat eine Durchsuchungsanordnung nicht die in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung.
3. Wenn es für die Frage, ob eine Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 der Abgabenordnung eingetreten ist, auf die verjährungsunterbrechende Wirkung einer Durchsuchungsanordnung ankommt, hat das Finanzgericht Feststellungen zu treffen, ob darin die genannten inhaltlichen Mindestanforderungen erfüllt sind. Dies darf nicht als gegeben unterstellt werden.
4. Zwar ist im Steuerfestsetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses aufgrund der Tatbestandswirkung der Entscheidungen anderer Gerichte grundsätzlich nicht überprüfbar. Die Tatbestandswirkung tritt aber nur ein, wenn der Beschluss nicht angefochten oder ein Rechtsmittel des Betroffenen zurückgewiesen wurde. Das setzt voraus, dass überhaupt Gelegenheit zur Anfechtung des Beschlusses bestanden hat.

Kurzbesprechung
BFH v. 31.1.2024 - X R 7/22

AO § 164 Abs 4, § 169 Abs 2 S 2, § 171 Abs 7, § 384, § 404, § 410
OWiG § 33 Abs 1 S 1 Nr. 4
StGB § 78c Abs 1 S 1 Nr. 4


Streitig war, ob am 27.10.2006 ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss (§§ 102 f., 105 StPO) in dem Strafverfahren gegen die Steuerpflichtige ergangen war. Dies war zwar nach den insoweit bindenden Feststellungen des FG der Fall, allerdings war unklar, ob die Durchsuchungsanordnung die von der Rechtsprechung geforderten Mindestanforderungen erfüllte. So muss ein Durchsuchungsbeschluss tatsächliche Angaben über den Inhalt des Tatvorwurfs enthalten, wofür die lediglich schlagwortartige Bezeichnung der jeweiligen Straftat nicht genügt. Ferner muss der Beschluss die Art sowie den denkbaren Inhalt der Beweismittel, denen die Durchsuchung gilt, erkennen lassen.

Durchsuchungsbeschlüsse, die die genannten verfassungsrechtlichen Mindestanforderungen an ihre inhaltliche Bestimmtheit nicht erfüllen, haben nicht die in § 33 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 OWiG vorgesehene verjährungsunterbrechende Wirkung. Das OWiG enthält keine eigenen Regelungen über die Anordnung von Durchsuchungen, sondern verweist insoweit in vollem Umfang auf die Strafprozessordnung (§ 46 Abs. 1 OWiG). Damit gelten die §§ 102 ff. StPO auch für Durchsuchungen im Rahmen von Ordnungswidrigkeitenverfahren. Abgesehen davon hatte es sich bei der Maßnahme im Streitfall um eine Durchsuchung im Strafverfahren gehandelt, da damals noch eine Steuerstraftat verfolgt wurde; der Übergang ins Ordnungswidrigkeitenverfahren wurde erst wesentlich später vorgenommen.

Das FG hatte keine Feststellungen dazu getroffen, ob der Durchsuchungsbeschluss die dargestellten inhaltlichen Mindestanforderungen, die für den Eintritt der verjährungsunterbrechenden Wirkung erforderlich sind, erfüllt. Solche Feststellungen wären im Streitfall jedoch erforderlich gewesen. Denn die inhaltlichen Mindestanforderungen können angesichts des Umstands, dass sie recht hoch sind und in der Praxis daher mitunter nicht erfüllt werden, nicht einfach als gegeben unterstellt werden.

Zwar ist im Steuerfestsetzungsverfahren die Rechtmäßigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses aufgrund der Tatbestandswirkung der Entscheidungen anderer Gerichte grundsätzlich ‑ vorbehaltlich besonders schwerer Mängel ‑ nicht überprüfbar. Dies gilt allerdings nur, wenn der Beschluss nicht angefochten oder ein Rechtsmittel des Betroffenen zurückgewiesen wurde.

Im Streitfall war weder festgestellt noch feststellbar, dass beziehungsweise ob der amtsgerichtliche Durchsuchungsbeschluss der Steuerpflichtigen überhaupt bekanntgegeben oder ob er vollzogen worden war und die Steuerpflichtige damit Gelegenheit hatte, den Beschluss anzufechten. Denn es besteht keine tatsächliche Vermutung dahin, dass ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss bekanntgegeben wurde.

Es kommt vor, dass sich die Ermittlungsbehörde zunächst einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss beschafft, diesen aber etwa wegen Veränderung der Umstände doch nicht vollzieht. Dementsprechend hatte das FG keine Feststellungen dazu getroffen ‑ und auch nicht treffen können ‑, ob der Durchsuchungsbeschluss nicht angefochten oder im Rechtsmittelverfahren bestätigt worden ist und damit die Voraussetzungen für den Eintritt einer Tatbestandswirkung erfüllt waren.

Eine Nachholung der erforderlichen Tatsachenfeststellungen zum Inhalt des Durchsuchungsbeschlusses war ist im Streitfall wegen der Vernichtung aller maßgeblichen Akten und des fehlenden Erinnerungsvermögens der vom FG befragten Beamten nicht möglich. Dies geht zu Lasten des FA, so dass die Voraussetzungen für den Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 7 AO als nicht erwiesen anzusehen sind.

Da das FG ‑ aus seiner Sicht folgerichtig ‑ ausdrücklich offengelassen hatte, ob die Voraussetzungen für den Eintritt einer Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 5 Satz 1 AO erfüllt sind, verwies der BFH den Streitfall an die Vorinstanz zurück. Sollte die Festsetzungsfrist unter diesem Gesichtspunkt gewahrt sein, wäre der Vorbehalt der Nachprüfung im Zeitpunkt des Erlasses des angefochtenen Änderungsbescheids noch nicht entfallen gewesen (§ 164 Abs. 4 Satz 1 AO), so dass auch eine Änderungsbefugnis bestünde. Denn in § 164 Abs. 4 Satz 2 AO, dem zufolge bestimmte Verlängerungen der Festsetzungsfrist nicht die Fortdauer des Nachprüfungsvorbehalts zur Folge haben, ist § 171 Abs. 5 AO nicht genannt.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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