26.08.2019

Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf die Kapitalabfindung von Kleinbetragsrenten aus Altersvorsorgeverträgen

Die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes auf Vergütungen für mehrjährige Tätigkeiten erfordert zusätzlich die Außerordentlichkeit dieser Einkünfte. Hierfür ist im Fall der Kapitalisierung von Altersbezügen entscheidend, dass eine solche Zusammenballung der Einkünfte in dem betreffenden Lebens-, Wirtschafts- und Regelungsbereich nicht dem typischen Ablauf entspricht. Ob darüber hinaus in dem konkreten Vertrag die Möglichkeit einer Kapitalabfindung bereits von Anfang an vorgesehen war oder nicht, hat demgegenüber nur indizielle Bedeutung.

BFH v. 1.6.2019 - X R 7/18
Der Sachverhalt:
Der im Jahr 1950 geborene Kläger hatte 2007 einen zertifizierten Altersvorsorgevertrag abgeschlossen, hier einen Banksparplan. In Nr. II.5. der Vertragsbedingungen hieß es: "Würde bei gleichmäßiger Verrentung des bis zu Beginn der Auszahlungsphase angesammelten Kapitals eine monatliche Rente resultieren, die 1 % der monatlichen Bezugsgröße nach § 18 SGB IV nicht übersteigt, kann die Bank das Kapital zu Beginn der Auszahlungsphase förderunschädlich an den Sparer auszahlen."

Im Juli 2013 teilte der Anbieter dem Kläger mit, der Vertrag falle unter die Kleinbetragsrenten-Regelung, so dass das Guthaben bei einer Kündigung zum nächstmöglichen Termin förderunschädlich ausgezahlt werde. Im September 2013 erhielt der - zu diesem Zeitpunkt 63-jährige - Kläger eine Kapitalabfindung von rund 7.518 €. Ein Teilbetrag von 6.915 € beruhte auf geförderten Eigenleistungen des Klägers sowie Zinsen.

Das Finanzamt besteuerte diesen Teilbetrag der Kapitalabfindung im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 2013 als "Leistung aus einem Altersvorsorgevertrag" gem. § 22 Nr. 5 Satz 1 EStG in vollem Umfang. Letztlich blieb zwischen den Beteiligten nur noch die Frage streitig, ob der Betrag von 6.915 € gem. § 34 Abs. 1, 2 EStG ermäßigt zu besteuern ist.

Das FG wies die Klage ab. Auf die Revision des Klägers hat der BFH das Urteil aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückgewiesen.

Gründe:
Zwar hat das FG zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG verneint. Danach kommen als außerordentliche Einkünfte u.a. Entschädigungen i.S.d. § 24 Nr. 1 EStG in Betracht. Die Voraussetzungen lagen hier aber nicht vor, da die Kapitalisierung eines Anspruchs auf laufende Zahlungen grundsätzlich keine Entschädigung darstellt. Dies gilt erst Recht dann, wenn die Kapitalisierungsmöglichkeit - wie im Streitfall - von vornherein vertraglich vereinbart war.

Dagegen konnte nicht abschließend entschieden werden, ob eventuell die Voraussetzungen des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG als Vergütung für mehrjährige Tätigkeiten vorliegen. Denn die Anwendung des ermäßigten Steuersatzes erfordert sowohl nach dem Wortlaut des § 34 Abs. 1 EStG als auch nach dem Einleitungssatz des § 34 Abs. 2 EStG zusätzlich die "Außerordentlichkeit" dieser Einkünfte. Dies dient nämlich der Einschränkung des eher weit geratenen Wortlauts des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG.

Zwar steht allein der vom FG festgestellte Umstand, dass die Möglichkeit der Kapitalisierung einer Kleinbetragsrente von Anfang an im Altersvorsorgevertrag vorgesehen war, der Anwendung des § 34 Abs. 2 Nr. 4 EStG nicht zwingend entgegen. Vielmehr ist entscheidend, ob die Kapitalisierung laufender Rentenansprüche im Bereich der Altersvorsorgeverträge (§§ 82 ff. EStG) als atypisch anzusehen ist. Das FG hatte diese Frage im Streitfall zwar bejaht, keine tatsächlichen Feststellungen getroffen, die seine Würdigung tragen könnten. Dies wird im zweiten Rechtsgang nachzuholen sein.

Hierfür weist der BFH auf folgende, zu beachtende Punkte hin:
  • Für die vorzunehmende wertende Beurteilung ist nicht allein auf die Teilmenge der Kleinbetragsrenten abzustellen, sondern auf sämtliche Altersvorsorgeverträge, deren Auszahlungsphase während der Geltung der im Streitjahr maßgebenden Rechtslage (d.h. vom Inkrafttreten des AltEinkG am 1.1.2005 bis zum Inkrafttreten des § 22 Nr. 5 Satz 13 EStG am 1.1. 2018) begonnen hat.
  • Der Gesetzgeber hat zwischenzeitlich mehrere Möglichkeiten zur Kapitalisierung der laufenden Auszahlungsansprüche aus Altersvorsorgeverträgen eingeführt und dadurch den Zweck dieser Art der Altersvorsorge --die Gewährleistung einer lebenslangen laufenden Versorgung-- jedenfalls in Teilbereichen in Frage gestellt. So ist nach § 93 Abs. 3 EStG die Abfindung einer Kleinbetragsrente zulässig. Darüber hinaus lässt § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 Buchst. a des Gesetzes über die Zertifizierung von Altersvorsorge- und Basisrentenverträgen - Altersvorsorgeverträge-Zertifizierungsgesetz - (AltZertG) zu, dass bis zu 30 % des zu Beginn der Auszahlungsphase zur Verfügung stehenden Kapitals außerhalb der monatlichen Leistungen ausgezahlt werden kann; auch eine solche Teilkapitalisierung gilt gemäß § 93 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht als schädliche Verwendung. Den gesetzlichen Regelungen zur Basisversorgung, insbesondere zur gesetzlichen Rentenversicherung, sind derartige weit reichende Kapitalisierungsmöglichkeiten hingegen weiterhin fremd. Dies spricht dafür, dass der Gesetzgeber selbst die Kapitalisierungsmöglichkeit im Bereich der zweiten Schicht nicht als atypisch ansieht.
  • Der Senat kann mangels statistischen Materials weder beurteilen, ob es sich bei den Kleinbetragsrenten um atypische Einzelfälle handelt, noch liegen ihm Informationen dazu vor, ob es bei Erfüllung der Voraussetzungen des § 93 Abs. 3 EStG nur in atypischen Einzelfällen tatsächlich zur Wahl der Kapitalabfindung kommt. Dies wird das FG - erforderlichenfalls durch Anfragen bei Organisationen, die über entsprechendes statistisches Material verfügen dürften, wie z.B. die zentrale Stelle (§ 81 EStG), Verbraucherschutzorganisationen sowie Verbände der Anbieter - festzustellen haben.


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