02.12.2021

Aufhebung einer Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG

Eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG kann entsprechend § 207 Abs. 2 AO mit Wirkung für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden. Die Aufhebung oder Änderung einer Anrufungsauskunft ist ermessensfehlerhaft, wenn das FA zu Unrecht von deren Rechtswidrigkeit ausgeht.

Kurzbesprechung
BFH v. 2.9.2021 - VI R 19/19

EStG § 34 Abs 1, § 34 Abs 2 Nr. 4, § 39b Abs 3 S 9, § 42e
AO § 5, § 118 S 1, § 207 Abs 2
FGO § 40 Abs 1, § 102, § 121


§ 42e EStG enthält für die Aufhebung bzw. Änderung einer Anrufungsauskunft keine eigene Korrekturbestimmung. Das Fehlen einer solchen Korrekturvorschrift stellt eine Gesetzeslücke dar, die durch entsprechende Anwendung des § 207 Abs. 2 AO zu schließen ist. Kann danach auch eine Anrufungsauskunft gemäß § 42e EStG entsprechend § 207 Abs. 2 AO für die Zukunft aufgehoben oder geändert werden, so bedeutet dies, dass die Aufhebung oder Änderung der Anrufungsauskunft in das Ermessen der Behörde ("kann") gestellt ist.

Die Vorschrift macht die Entscheidung von sachgerechten Ermessenserwägungen der Behörde abhängig (§ 5 AO). Abzuwägen ist insbesondere, ob das Vertrauen des Steuerpflichtigen in die Einhaltung der Anrufungsauskunft größeres Gewicht hat als der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, der die Durchsetzung des "richtigen Rechts" verlangt.

Die Aufhebung oder Änderung einer formell und materiell rechtmäßigen Anrufungsauskunft ist hiernach in der Regel unzulässig, wenn die Gründe für ihre Erteilung fortbestehen, der Steuerpflichtige sein Vertrauen bereits betätigt hat und über ein besonderes steuerliches Interesse an der Anrufungsauskunft verfügt.

Ein solcher Anlass kann u.a. vorliegen, wenn sich die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung ändert. Da sich die gerichtliche Überprüfung einer Anrufungsauskunft nach der Rechtsprechung des BFH darauf beschränkt, ob die gegenwärtige rechtliche Einordnung des --zutreffend erfassten-- zur Prüfung gestellten Sachverhalts in sich schlüssig und nicht evident rechtsfehlerhaft ist, kann ein Widerruf auch dann sachgerecht sein, wenn sich die allgemeine Verwaltungsauffassung zu der die Auskunft betreffenden Rechtsfrage ändert und die --gegebenenfalls auch von der Rechtsprechung abweichende-- geänderte Rechtsauffassung ihren Niederschlag in allgemeinen Verwaltungsvorschriften oder die Finanzverwaltung bindenden Anwendungsschreiben (z.B. Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen oder Verfügung einer Oberfinanzdirektion) findet.

Im Streitfall hatte das FA zwar entsprechend § 207 Abs. 2 AO eine Ermessensentscheidung getroffen. Zur Begründung dieser Entscheidung (§ 121 Abs. 1 AO) hatte es aber ausschließlich ausgeführt, die der Steuerpflichtigen erteilte Auskunft materiell-rechtlich unzutreffend gewesen sei.

Die der Steuerpflichtigen ursprünglich erteilte Anrufungsauskunft war jedoch rechtmäßig, so dass der auf der gegenteiligen Annahme beruhende Widerruf der Anrufungsauskunft auf einem Ermessensfehlgebrauch beruhte.

Da die der Steuerpflichtigen erteilte Anrufungsauskunft rechtmäßig war, handelte das FA ermessensfehlerhaft, indem es die Auskunft nur gestützt auf deren vermeintlich materiell-rechtliche Fehlerhaftigkeit aufhob. Dies war zur Durchsetzung des Grundsatzes der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und zur Durchsetzung des richtigen Rechts nicht geeignet. Sonstige Erwägungen, die die Ermessensentscheidung begründen könnten --z.B. eine Änderung der einschlägigen höchstrichterlichen Rechtsprechung oder der vom FA zu beachtenden allgemeinen Verwaltungsvorschriften--, hatte das FA nicht angestellt. Im Übrigen war ein derartiger sachlicher Grund für die Aufhebung der Anrufungsauskunft auch nicht ersichtlich.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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