13.05.2024

Aufwendungen für PID mit nachfolgender künstlicher Befruchtung einer nicht verheirateten und gesunden Frau als außergewöhnliche Belastungen

1. Aufwendungen einer gesunden Steuerpflichtigen für eine Präimplantationsdiagnostik (PID) mit nachfolgender künstlicher Befruchtung aufgrund einer Krankheit ihres Partners können als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein.
2. Die Abziehbarkeit schließt auch diejenigen ‑‑aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge erforderlichen‑‑ Behandlungsschritte mit ein, die am Körper der nicht erkrankten Steuerpflichtigen vorgenommen werden.
3. Der Abziehbarkeit steht es dann nicht entgegen, dass die Partner nicht miteinander verheiratet sind.

Kurzbesprechung
BFH v. 29.2.2024 - VI R 2/22

EStG § 33, ESchG § 3a

Bei dem Partner der im Streitjahr (2019) ledigen Steuerpflichtigen besteht eine chromosomale Translokation (Chromosomenmutation, hier in Form einer sogenannten balancierten reziproken Translokation), welche mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu führt, dass ein auf natürlichem Weg gezeugtes gemeinsames Kind an schwersten körperlichen oder geistigen Behinderungen leidet und unter Umständen nicht lebensfähig ist.

Aus diesem Grund begaben sich die Steuerpflichtige und ihr Partner zum Ende des Jahres 2018 im Kinderwunschzentrum A in Behandlung. Dem gingen humangenetische Beratungen am Universitätsklinikum B sowie am Institut C voraus. Das Institut bestätigte, dass im vorliegenden Fall aufgrund des Kinderwunsches der Steuerpflichtigen und ihres Partners die Durchführung einer Präimplantationsdiagnostik (PID) indiziert sei. Des Weiteren erfolgten ein Beratungsgespräch im Kinderwunschzentrum zur künstlichen Befruchtung sowie eine psychosoziale Beratung. Im Anschluss hieran entschieden sich die Steuerpflichtige und ihr Partner dazu, eine künstliche Befruchtung mit PID durchführen zu lassen, um dadurch die chromosomale Fehlstellung auszuschließen und eine fortlaufende Schwangerschaft zu erreichen. Die PID-Kommission der zuständigen Ärztekammer erteilte die erforderliche Zustimmung zur Durchführung der PID.

Im Streitjahr fanden im Kinderwunschzentrum mehrere Behandlungen zur Durchführung der künstlichen Befruchtung statt, wobei aus medizinischen Gründen bei der chromosomalen Translokation des Partners der Steuerpflichtigen der Großteil der Behandlungsschritte am Körper der Steuerpflichtigen erfolgen musste.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr beantragte die Steuerpflichtige den Abzug von Aufwendungen im Zusammenhang mit der künstlichen Befruchtung in Höhe von 22.965 € als außergewöhnliche Belastungen im Sinne von § 33 Abs. 1 EStG. Hierbei handelte es sich im Wesentlichen um Kosten für an die Steuerpflichtige adressierte Rechnungen und auf sie ausgestellte Rezepte, die teilweise von ihr gezahlt, teilweise aber auch von ihrem Partner beglichen wurden.

Das FA lehnte eine Berücksichtigung der Behandlungskosten ab. Im Klageverfahren gab das FG der Klage statt. Der BFH hat nun die Entscheidung der Vorinstanz bestätigt.

Die durchgeführten Behandlungsmaßnahmen der PID in Verbindung mit der künstlichen Befruchtung der Steuerpflichtigen waren medizinisch indiziert, um die Krankheit des Partners auszugleichen und mithin deren nachteilige Folgen zu umgehen. Denn die durch die chromosomale Translokation des Partners der Steuerpflichtigen entstehende Gefährdung des Kindes bei natürlicher Befruchtung konnte durch eine PID einschließlich nachfolgender künstlicher Befruchtung umgangen werden.

Unerheblich ist, dass mit den ärztlichen Maßnahmen nicht bezweckt ist, die Ursachen der chromosomalen Translokation zu beseitigen. Denn dem Begriff der Linderung einer Krankheit wohnt gerade nicht inne, dass damit auch eine Behebung ihrer Ursachen verbunden ist. Von der Linderung einer Krankheit kann vielmehr schon dann gesprochen werden, wenn die ärztliche Tätigkeit auf die Abschwächung oder eine partielle oder völlige Unterbindung von Krankheitsfolgen gerichtet ist.

Da die ärztlichen Maßnahmen in ihrer Gesamtheit dem Zweck dienten, eine durch Krankheit beeinträchtigte körperliche Funktion des Partners der Steuerpflichtigen auszugleichen, sind ausnahmsweise auch die Aufwendungen für die Behandlungsschritte, die bei der gesunden Steuerpflichtigen vorzunehmen waren, zwangsläufig entstanden. Denn wegen der biologischen Zusammenhänge konnte ‑ anders als bei anderen Erkrankungen ‑ durch eine medizinische Behandlung allein des Partners der Steuerpflichtigen keine Linderung der Krankheit eintreten.

Entsprechend steht es der Zwangsläufigkeit der an der Steuerpflichtigen vorgenommenen Behandlungsmaßnahmen nicht entgegen, dass hierfür ein anomaler Zustand auf Seiten ihres Partners ursächlich war.

Der Abziehbarkeit steht auch nicht entgegen, dass die Steuerpflichtige und ihr Partner nicht verheiratet waren. Denn in Fällen künstlicher Befruchtung können grundsätzlich auch Behandlungsmaßnahmen von nicht verheirateten Partnern als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sein. Dies gilt auch für Behandlungsmaßnahmen, die an dem selbst nicht erkrankten Partner vorzunehmen sind, soweit diese aufgrund untrennbarer biologischer Zusammenhänge zur Linderung einer Krankheit erforderlich sind.

Der Abzug der von der Steuerpflichtigen selbst getragenen Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen steht auch mit den Richtlinien der von der zuständigen Landesärztekammer erlassenen Berufsordnung in Einklang. Denn die Richtlinie zur assistierten Reproduktion gemäß § 13 Abs. 3 der Berufsordnung für die nordrheinischen Ärztinnen und Ärzte sieht insoweit keine Einschränkung vor.

Der Zwangsläufigkeit der im Streitfall angefallenen Aufwendungen stehen weiter auch gesetzliche Vorschriften nicht entgegen. Denn die PID-Kommission der zuständigen Ärztekammer hatte die erforderliche Zustimmung erteilt.

Im Streitfall hatte die Steuerpflichtige aufgrund der notwendigerweise an ihrem Körper durchzuführenden Behandlungsmaßnahmen die ihr in Rechnung gestellten Aufwendungen zu tragen. Indem das FG die der Steuerpflichtigen entstandenen und von ihr getragenen Kosten als außergewöhnliche Belastungen berücksichtigte, hat es mithin nicht gegen den Grundsatz der Individualbesteuerung verstoßen, sondern der geminderten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Steuerpflichtigen Rechnung getragen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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