Außergewöhnliche Belastungen? Aufwendungen für Hormonbehandlung und künstliche Befruchtung bei einer in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung lebenden Frau
Hessisches FG 15.11.2016, 9 K 1718/13Die Klägerin lebt in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft. Sie hat keine Kinder. Die Klägerin kann weder auf natürlichem Weg noch durch Insemination empfangen, Daher unterzog sie sich im Streitjahr einer Sterilitätsbehandlung in Form einer In-Vitro-Fertilisation (IVF) im Rahmen einer heterologen Insemination (Fremdsamenspende). Dabei handelt es sich um eine medizinische Maßnahme, bei der die Eierstöcke hormonell stimuliert und anschließend eine IVF (Befruchtung einer eigenen Eizelle) durchgeführt wird. Die Behandlungen wurden in Deutschland vorgenommen.
In ihrer Einkommensteuererklärung 2008 machte die Klägerin Aufwendungen als außergewöhnliche Belastungen geltend, die fast vollständig auf die oben dargestellten medizinischen Maßnahmen entfielen. Das Finanzamt erkannte die Aufwendungen für die künstliche Befruchtung demgegenüber nicht als außergewöhnlichen Belastungen an, weil es sich um eine Fremdsamenspende gehandelt habe und damit die IVF nicht in Übereinstimmung mit den Richtlinien der ärztlichen Berufsordnung erfolgt sei.
Das LG wies die Klage ab. Die Berufung des Klägers hatte vor dem OLG keinen Erfolg. Die Revision zum BGH wurde wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Die Gründe:
Die Aufwendungen für die eigentliche Heilbehandlung stellen Kosten für eine ärztliche Heilbehandlung dar, die als außergewöhnliche Belastungen abziehbar sind. Die Aufwendungen, die für die künstliche Befruchtung im Rahmen einer IVF aufgewendet wurden, bzw. deren Zweck nicht hinreichend klar ist, sind nicht abzugsfähig.
Nach § 33 Abs. 1 EStG wird die Einkommensteuer auf Antrag ermäßigt, wenn einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes erwachsen. Inwieweit Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung hierunter fallen, wird in Rechtsprechung und Literatur nicht einheitlich beurteilt. Soweit ersichtlich hat der BFH noch nicht über die Frage entschieden, wie die Problematik der Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für eine künstliche Befruchtung nach § 33 EStG bei empfängnisunfähigen alleinstehenden Frauen ohne feste Partnerschaft oder bei gleichgeschlechtlichen Partnerschaften zu behandeln ist.
Der erkennende Senat hält vorliegend die Kosten für die eigentliche Heilbehandlung als außergewöhnliche Belastungen für abziehbar, nicht jedoch die Aufwendungen für die im Zusammenhang mit der Fremdsamenspende getätigten Aufwendungen. Die bei der Klägerin gestellte Diagnose und die daraus resultierende Empfängnisunfähigkeit stellen eine Krankheit dar, deren Behandlungskosten grundsätzlich nach § 33 EStG als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen sind. Der Familienstand der Frau ist für die Frage, ob eine Krankheit vorliegt, unbeachtlich. Die Aufwendungen hierfür, insbesondere somit hormonelle Stimulation der Eierstöcke und anschließende Entnahme von Eizellen zur Durchführung der IVF stellen nach Auffassung des Senats krankheitsbedingte und somit nach § 33 EStG abzugsfähige Aufwendungen dar.
Hierbei wird nicht verkannt, dass der medizinisch einheitliche Vorgang, der zur Schwangerschaft führen soll - nämlich hormonelle Stimulierung der Eierstöcke, Entnahme von Eizellen und anschließende extrakorporale Befruchtung mit anschließender Wiedereinsetzung der befruchteten Eizelle -, insoweit durch eine Kostenaufteilung durch Herausrechnen der mit der Fremdsamenspende in Zusammenhang stehenden Vorgänge eine - zumindest medizinisch gesehen - künstliche Aufspaltung dieses Vorganges darstellt. Dies erscheint hier jedoch rechtlich geboten, weil die im Zusammenhang mit der Fremdsamenspende stehenden Aufwendungen der Klägerin nicht zwangsläufig entstanden sind.
Denn die Kinderlosigkeit der Klägerin war nicht unmittelbare und ausschließliche Folge ihrer Krankheitsbedingten Unfruchtbarkeit, sondern war zugleich maßgeblich darin begründet, dass sie in einer gleichgeschlechtlichen Partnerschaft lebt und daher die Zeugung eines Kindes auf natürlichem Wege ausgeschlossen ist. Auch wenn die Klägerin gesund gewesen wäre oder nach ärztlicher Behandlung insoweit (fiktiv) als gesund zu betrachten wäre, hätte sie auf natürlichem Wege kein Kind empfangen können und wäre immer auf eine Fremdsamenspende angewiesen gewesen.
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