Bedarfsbewertung für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke: Immobilien-Preis-Kalkulator zur Ermittlung des Grundbesitzwertes ungeeignet
Niedersächsisches FG 11.04.2014, 1 K 107/11Streitig ist, ob der Beklagte den Grundstückswert zutreffend festgestellt hat. 2009 erhielt die Klägerin einen hälftigen Miteigentumsanteil an einem Wohnungseigentum, das durch Teilungserklärung aus einem Zweifamilienhaus hervorgegangen ist. Im Februar 2010 bat die Schenkungsteuerstelle um Ermittlung des Grundbesitzwertes für Zwecke der Schenkungsteuer. Nach Aufforderung reichte die Klägerin eine Erklärung zur Feststellung des Bedarfswerts ein.
Im Rahmen des Feststellungsverfahrens nutzte das Finanzamt für seine Ermittlungen den Immobilien-Preis-Kalkulator (IPK) der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte Niedersachsen (GAG). Ausweislich einer Informationsbroschüre der GAG handelt es sich beim IPK um einen Internetservice der Gutachterausschüsse in Niedersachsen. In der Broschüre erläutern die GAG:
"Die Immobilienpreiskalkulation dient der Ermittlung eines ungefähren Preisniveaus und soll dem Nutzer als Anhalt für eine grobe Einschätzung des Immobilienwertes dienen. Sie ersetzt kein Verkehrswertgutachten und kann nicht als Grundlage für eine qualifizierte Verkehrswertermittlung nach § 194 BauGB verwendet werden. Es handelt sich hierbei auch nicht um eine Auskunft aus der Kaufpreissammlung."
Vergleichspreise oder Vergleichsfaktoren hatte das Finanzamt beim zuständigen Gutachterausschuss für Grundstückswerte (GAG) nicht angefragt. Im August 2010 stellte das Finanzamt für das streitige Objekt den Grundstückswert fest. Dem Bescheid war als Anlage die Auskunft des IPK beigefügt. Gegen den Bescheid wendet sich die Klägerin mit ihrer Klage. Sie ist der Ansicht, aus der dem Bescheid beigefügten Anlage seien die Berechnungsgrundlagen nicht nachvollziehbar. Der vom Finanzamt festgestellte Wert übersteige den gemeinen Wert bei Weitem.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Die Revision zum BFH wurde u.a. wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat den Grundstückwert nicht entsprechend den gesetzlichen Anforderungen ermittelt.
Wird Grundvermögen in Form von Wohnungs-, Teileigentum, Ein- oder Zweifamilienhäusern vererbt oder verschenkt, ist der Grundbesitzwert im Vergleichswertverfahren zu ermitteln und für Zwecke der Erbschaft- oder Schenkungsteuerfestsetzung gesondert festzustellen. Bei Anwendung des Vergleichswertverfahrens sind Kaufpreise von Grundstücken heranzuziehen, die hinsichtlich der ihren Wert beeinflussenden Merkmale mit dem zu bewertenden Grundstück hinreichend übereinstimmen (Vergleichsgrundstücke). Grundlage sind vorrangig die von den GAG mitgeteilten Vergleichspreise (§ 183 Abs. 1 BewG).
Die bei den niedersächsischen Finanzämtern übliche Praxis, den Grundbesitzwert mithilfe des von den GAG in ihren Internetauftritten angebotenen IPK selbst zu ermitteln, genügt nicht den Vorgaben des § 183 Abs. 1 BewG. Gleiches gilt, wenn die Finanzämter den Grundbesitzwert aus den Grundstücksmarktberichten ableiten oder einen Auszug aus der Kaufpreissammlung der Gutachterausschüsse vorlegen. Die gesetzlich verlangte Mitteilung von Vergleichspreisen durch die Gutachterausschüsse setzt voraus, dass der örtlich zuständige Gutachterausschuss tätig wird und Vergleichsgrundstücke und -preise benennt bzw. erklärt, dass solche nicht vorhanden sind. Die Finanzämter sind verpflichtet, die vorrangig zu berücksichtigenden Vergleichspreise von den GAG anzufordern. Unterbleibt dies, ist der Bescheid aufzuheben.
Der Steuerpflichtige muss nicht nachweisen, dass tatsächlich geeignete Vergleichspreise existieren. Er kann auch nicht darauf verwiesen werden, einen niedrigeren gemeinen Wert des Objekts nachzuweisen (§ 198 BewG). Kann der niedrigere gemeine Wert nämlich nicht ausnahmsweise durch einen zeitnah zum Bewertungsstichtag vereinbarten Kaufpreis für das Objekt belegt werden, ist dafür ein Sachverständigengutachten erforderlich, dessen Kosten nach der Rechtsprechung des BFH immer - auch im Fall des Obsiegens vor Gericht - von dem Steuerpflichtigen zu tragen sind. Der aus Art. 19 Abs. 4 GG folgende Anspruch auf einen umfassenden und effektiven gerichtlichen Rechtsschutz wäre verletzt, hätte der Steuerpflichtige nicht die Möglichkeit, das Finanzamt zu einer dem Gesetz entsprechenden Wertermittlung zu veranlassen, bevor er entscheidet, ob er ein von ihm zu bezahlendes Gutachten einholt.
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