Beginn des Begünstigungszeitraums für die Einkommensteuerermäßigung bei Belastung mit Erbschaftsteuer
Kurzbesprechung
BFH v. 28.11.2023 - X R 20/21
AO § 38
EStG § 35b S 1
ErbStG § 9 Abs 1 Nr. 1
GG Art 3 Abs 1, Art 14 Abs 1 S 1, 14 Abs 2 S 2
Sind bei der Ermittlung des Einkommens Einkünfte berücksichtigt worden, die im Veranlagungszeitraum oder in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben, so wird gemäß § 35b Satz 1 EStG auf Antrag die um sonstige Steuerermäßigungen gekürzte tarifliche Einkommensteuer, die auf diese Einkünfte entfällt, um den in § 35b Satz 2 EStG bestimmten Prozentsatz ermäßigt.
Der Prozentsatz bestimmt sich nach dem Verhältnis, in dem die festgesetzte Erbschaftsteuer zu dem Betrag steht, der sich ergibt, wenn dem steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 ErbStG) die Freibeträge nach den §§ 16 und 17 ErbStG und der steuerfreie Betrag nach § 5 ErbStG hinzugerechnet werden (§ 35b Satz 2 EStG).Begünstigt sind nach § 35b Satz 1 EStG "Einkünfte", die "als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben".
Bei sinngemäßem Verständnis erfasst § 35b EStG dabei die Fälle, in denen der von Todes wegen hinzuerworbene Vermögensgegenstand ‑ zum Beispiel nach einer einkommensteuerpflichtigen Veräußerung ‑ mit seinem Wert zusätzlich der Einkommensteuer unterworfen ist.
Einkünfte haben in dem Zeitpunkt "der Erbschaftsteuer unterlegen", in dem die Erbschaftsteuer für den korrespondierenden Erwerb nach Maßgabe von § 38 AO i.V.m. § 9 ErbStG rechtlich entstanden ist. Während die Gesetzesfassung des § 35b EStG mit der Überschrift mehrdeutig ist, spricht die Gesetzessystematik einschließlich der Notwendigkeit, die Berechnung der Ermäßigung auch tatsächlich durchführen zu können, nach Auffassung des BFH für eine Anknüpfung an den Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer.
Der Wortlaut des § 35b Satz 1 EStG einschließlich der amtlichen Überschrift der Norm ist nicht eindeutig. Mit der Formulierung "der Erbschaftsteuer unterlegen" kann der Zeitpunkt der Entstehung, aber auch der Zeitpunkt der Festsetzung der Erbschaftsteuer gemeint sein.
Demgegenüber bestehen nach dem Gesetzeswortlaut keine Anhaltspunkte dafür, dass damit der Zeitpunkt der Klärung der Erbenstellung, der Erlangung der tatsächlichen Verfügungsmacht über den Nachlass oder gar der Zahlung der Erbschaftsteuer gemeint sein könnte. Diese Zeitpunkte sind lediglich (mittelbare) Folgen des Todes des Erblassers beziehungsweise der Festsetzung der Erbschaftsteuer. Wann der Erbgang endgültig geklärt ist, hat allenfalls Einfluss auf den möglichen Festsetzungszeitpunkt der Erbschaftsteuer (§ 170 Abs. 5 Nr. 1 AO). Die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf den Nachlass hat demgegenüber grundsätzlich keine erbschaftsteuerliche Bedeutung.
Schließlich wäre es eine Überdehnung des Wortlauts anzunehmen, ein Vorgang "unterliege" der Steuer noch nicht einmal bei einer durchsetzbaren Zahlungspflicht, sondern erst mit Zahlung, zumal der Zeitpunkt der Zahlung auch willkürlich sein kann.
Die Gesetzessystematik, konkret das Zusammenspiel von § 35b EStG mit den Regelungen des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes, spricht nach Auffassung des BFH für eine Anknüpfung an § 9 ErbStG. Denn die in § 35b EStG vorgesehene Steuerermäßigung lässt sich nach Grund und Umfang nur dann sachgerecht ermitteln, wenn man auf den Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer abstellt.
§ 35b EStG muss auch handhabbar bleiben. Eine Auslegung, die in der Rechtsanwendung zu nicht oder nur schwer lösbaren Problemen führte, wäre eine der Funktionalität der Einkommensbesteuerung widersprechende Auslegung. Aus diesem Grunde muss der Ermäßigungszeitraum zu einem klar definierten Zeitpunkt beginnen, der einfach feststellbar ist, aber auch über den Einzelfall hinaus eine gewisse Gleichmäßigkeit der Besteuerung gewährleistet. Dies ist regelmäßig der Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer, meist also der Todestag des Erblassers oder der Erblasserin.
Dagegen variiert der Zeitpunkt der Festsetzung der Erbschaftsteuer je nach Einzelfall deutlich stärker. Im Fall von Änderungen des Erbschaftsteuerbescheids gibt es zudem mehrere Festsetzungszeitpunkte. Hier bliebe aber unklar, an welchen Zeitpunkt anzuknüpfen wäre.
Soweit eine Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung zu einer Änderung des Ermäßigungsbetrags führt, stehen die Änderungsvorschriften der Abgabenordnung zur Verfügung. Es ist aber kein sachgerechtes Kriterium dafür ersichtlich, wie in einem solchen Fall der Ermäßigungszeitraum bestimmt werden sollte.
Der BFH stellte zudem heraus, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn aufgrund der Begrenzung des Begünstigungszeitraums des § 35b Satz 1 EStG auf fünf Jahre zum einen der Erwerb der Beteiligungen mit Erbschaftsteuer und zum anderen ihre Veräußerung mit Einkommensteuer belastet wird. Weder ist dadurch der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, noch ist eine etwaige verfassungsrechtlich zu beachtende Belastungsgrenze überschritten.
Verlag Dr. Otto Schmidt
AO § 38
EStG § 35b S 1
ErbStG § 9 Abs 1 Nr. 1
GG Art 3 Abs 1, Art 14 Abs 1 S 1, 14 Abs 2 S 2
Sind bei der Ermittlung des Einkommens Einkünfte berücksichtigt worden, die im Veranlagungszeitraum oder in den vorangegangenen vier Veranlagungszeiträumen als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben, so wird gemäß § 35b Satz 1 EStG auf Antrag die um sonstige Steuerermäßigungen gekürzte tarifliche Einkommensteuer, die auf diese Einkünfte entfällt, um den in § 35b Satz 2 EStG bestimmten Prozentsatz ermäßigt.
Der Prozentsatz bestimmt sich nach dem Verhältnis, in dem die festgesetzte Erbschaftsteuer zu dem Betrag steht, der sich ergibt, wenn dem steuerpflichtigen Erwerb (§ 10 Abs. 1 ErbStG) die Freibeträge nach den §§ 16 und 17 ErbStG und der steuerfreie Betrag nach § 5 ErbStG hinzugerechnet werden (§ 35b Satz 2 EStG).Begünstigt sind nach § 35b Satz 1 EStG "Einkünfte", die "als Erwerb von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterlegen haben".
Bei sinngemäßem Verständnis erfasst § 35b EStG dabei die Fälle, in denen der von Todes wegen hinzuerworbene Vermögensgegenstand ‑ zum Beispiel nach einer einkommensteuerpflichtigen Veräußerung ‑ mit seinem Wert zusätzlich der Einkommensteuer unterworfen ist.
Einkünfte haben in dem Zeitpunkt "der Erbschaftsteuer unterlegen", in dem die Erbschaftsteuer für den korrespondierenden Erwerb nach Maßgabe von § 38 AO i.V.m. § 9 ErbStG rechtlich entstanden ist. Während die Gesetzesfassung des § 35b EStG mit der Überschrift mehrdeutig ist, spricht die Gesetzessystematik einschließlich der Notwendigkeit, die Berechnung der Ermäßigung auch tatsächlich durchführen zu können, nach Auffassung des BFH für eine Anknüpfung an den Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer.
Der Wortlaut des § 35b Satz 1 EStG einschließlich der amtlichen Überschrift der Norm ist nicht eindeutig. Mit der Formulierung "der Erbschaftsteuer unterlegen" kann der Zeitpunkt der Entstehung, aber auch der Zeitpunkt der Festsetzung der Erbschaftsteuer gemeint sein.
Demgegenüber bestehen nach dem Gesetzeswortlaut keine Anhaltspunkte dafür, dass damit der Zeitpunkt der Klärung der Erbenstellung, der Erlangung der tatsächlichen Verfügungsmacht über den Nachlass oder gar der Zahlung der Erbschaftsteuer gemeint sein könnte. Diese Zeitpunkte sind lediglich (mittelbare) Folgen des Todes des Erblassers beziehungsweise der Festsetzung der Erbschaftsteuer. Wann der Erbgang endgültig geklärt ist, hat allenfalls Einfluss auf den möglichen Festsetzungszeitpunkt der Erbschaftsteuer (§ 170 Abs. 5 Nr. 1 AO). Die tatsächliche Zugriffsmöglichkeit auf den Nachlass hat demgegenüber grundsätzlich keine erbschaftsteuerliche Bedeutung.
Schließlich wäre es eine Überdehnung des Wortlauts anzunehmen, ein Vorgang "unterliege" der Steuer noch nicht einmal bei einer durchsetzbaren Zahlungspflicht, sondern erst mit Zahlung, zumal der Zeitpunkt der Zahlung auch willkürlich sein kann.
Die Gesetzessystematik, konkret das Zusammenspiel von § 35b EStG mit den Regelungen des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes, spricht nach Auffassung des BFH für eine Anknüpfung an § 9 ErbStG. Denn die in § 35b EStG vorgesehene Steuerermäßigung lässt sich nach Grund und Umfang nur dann sachgerecht ermitteln, wenn man auf den Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer abstellt.
§ 35b EStG muss auch handhabbar bleiben. Eine Auslegung, die in der Rechtsanwendung zu nicht oder nur schwer lösbaren Problemen führte, wäre eine der Funktionalität der Einkommensbesteuerung widersprechende Auslegung. Aus diesem Grunde muss der Ermäßigungszeitraum zu einem klar definierten Zeitpunkt beginnen, der einfach feststellbar ist, aber auch über den Einzelfall hinaus eine gewisse Gleichmäßigkeit der Besteuerung gewährleistet. Dies ist regelmäßig der Entstehungszeitpunkt der Erbschaftsteuer, meist also der Todestag des Erblassers oder der Erblasserin.
Dagegen variiert der Zeitpunkt der Festsetzung der Erbschaftsteuer je nach Einzelfall deutlich stärker. Im Fall von Änderungen des Erbschaftsteuerbescheids gibt es zudem mehrere Festsetzungszeitpunkte. Hier bliebe aber unklar, an welchen Zeitpunkt anzuknüpfen wäre.
Soweit eine Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung zu einer Änderung des Ermäßigungsbetrags führt, stehen die Änderungsvorschriften der Abgabenordnung zur Verfügung. Es ist aber kein sachgerechtes Kriterium dafür ersichtlich, wie in einem solchen Fall der Ermäßigungszeitraum bestimmt werden sollte.
Der BFH stellte zudem heraus, dass es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist, wenn aufgrund der Begrenzung des Begünstigungszeitraums des § 35b Satz 1 EStG auf fünf Jahre zum einen der Erwerb der Beteiligungen mit Erbschaftsteuer und zum anderen ihre Veräußerung mit Einkommensteuer belastet wird. Weder ist dadurch der Gleichbehandlungsgrundsatz verletzt, noch ist eine etwaige verfassungsrechtlich zu beachtende Belastungsgrenze überschritten.