18.11.2021

Begriff der "Organisation der Vereinten Arbeit" im DBA-Jugoslawien erfasst auch Nachfolgeorganisationen

1. Der in Art. 8 und Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien verwendete Begriff der "Organisation der Vereinten Arbeit" erfasst auch diejenigen juristischen Personen, die insgesamt an deren Stelle getreten sind. Das sind zunächst die nach Maßgabe des jugoslawischen Gesellschaftsrechts zwingend bis zum 31.12.1991 hinsichtlich ihrer Rechtsform angepassten (ehemaligen) Organisationen der Vereinten Arbeit sowie steuerpflichtige juristische Personen, die nach 1988 errichtet worden sind.
2. Der Senat hält an seiner Rechtsprechung zur sog. statischen Abkommensauslegung fest, stellt aber klar, dass bei Vorliegen einer sog. Fortgeltungsvereinbarung für die Abkommensauslegung auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung abzustellen sein kann.

Kurzbesprechung
BFH v. 13.7.2021 - I r 63/17

DBA YUG Art 8, Art 14 Abs 3

Im Streitfall ging es um die Frage, ob die Veräußerung einer Gewinnbeteiligung an einer Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina (BIH) sowie Ausschüttungen einer dortigen Gesellschaft in Deutschland in vollem Umfang zu besteuern oder nur dem Progressionsvorbehalt zu unterwerfen waren.

Der BFH entschied, dass Deutschland weder hinsichtlich des im Streitjahr 2009 angefallenen Gewinns des Steuerpflichtigen aus der Veräußerung von Anteilen noch hinsichtlich der das Streitjahr 2012 betreffenden Gewinnausschüttung ein Besteuerungsrecht zustand, sondern die Beträge lediglich bei der Berechnung des besonderen Steuersatzes gemäß § 32b Abs. 2 EStG zu berücksichtigen sind.

Gemäß Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien, dessen unveränderte Fortgeltung Deutschland und BIH am 13.11.1992 vereinbart haben, können Gewinne aus der Veräußerung von Rechten aus einem Vertrag über Investitionen in einer jugoslawischen Organisation der Vereinten Arbeit in Jugoslawien (bzw. BIH als Nachfolgestaat) besteuert werden. Gewinne aus der Veräußerung des in Art. 14 Abs. 1 bis 4 DBA-Jugoslawien nicht genannten Vermögens können hingegen nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem der Veräußerer ansässig ist (Art. 14 Abs. 5 DBA-Jugoslawien).

Bei einer in Deutschland ansässigen Person (Art. 4 Abs. 1 DBA-Jugoslawien) werden, soweit nicht Art. 24 Abs. 1 Buchst. b DBA-Jugoslawien anzuwenden ist, von der Bemessungsgrundlage der deutschen Steuer die Einkünfte aus Jugoslawien (BIH) ausgenommen, die nach dem DBA-Jugoslawien in Jugoslawien (BIH) besteuert werden können. Deutschland behält aber das Recht, die so ausgenommenen Einkünfte bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen (Art. 24 Abs. 1 Buchst. a DBA-Jugoslawien).

Streitig war nur, ob der in 2009 erzielte Gewinn des Steuerpflichtigen aus der Veräußerung der Anteile einen Gewinn aus der Veräußerung von Rechten aus einem Vertrag über "Investitionen in einer jugoslawischen Organisation der Vereinten Arbeit" i.S. des Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien darstellt.

Zur Ermittlung des Regelungsgehalts eines völkerrechtlichen Vertrags ist das Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.05.1969 --WÜRV-- (BGBl II 1985, 927) heranzuziehen, das seit Inkrafttreten des Zustimmungsgesetzes vom 03.08.1985 (BGBl II 1985, 926) am 20.08.1987 (BGBl II 1987, 757) in innerstaatliches Recht transformiert ist.

Danach sind Doppelbesteuerungsabkommen nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, seinen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte seines Zieles und Zweckes auszulegen (Art. 31 Abs. 1 WÜRV). Maßgeblich sind insbesondere der Wortlaut des Vertrags (Art. 31 Abs. 2 WÜRV) und die gewöhnliche Bedeutung der verwendeten Ausdrücke.

Dementsprechend sind abkommensrechtliche Begriffe nach der Rechtsprechung des BFH zunächst nach dem Wortlaut und den Definitionen des Abkommens und sodann nach dem Sinn und dem Vorschriftenzusammenhang innerhalb des Abkommens auszulegen. Auf die Begriffsbestimmungen des innerstaatlichen Rechts ist grundsätzlich erst auf einer nachgelagerten Prüfungsebene zurückzugreifen.

Der Begriff der Organisation der Vereinten Arbeit wird im DBA-Jugoslawien selbst nicht definiert. Wird ein Begriff im Abkommen selbst nicht definiert und lässt sich der Bedeutungsinhalt --wie im Streitfall-- auch nicht unmittelbar aus dem allgemeinen und im Einklang mit dem Sinn und Vorschriftenzusammenhang des Abkommens stehenden Sprachgebrauch gewinnen, kommt dem Begriff nach Art. 3 Abs. 2 DBA-Jugoslawien die Bedeutung zu, die ihm nach dem Recht über die Steuern des Anwendestaates (hier: Deutschland) zukommt.

Indessen hatte und hat der Begriff der "Organisation der Vereinten Arbeit" im deutschen Steuerrecht keine Bedeutung. Vielmehr handelt es sich um einen Rechtsbegriff des jugoslawischen Rechts, an den die Abkommensparteien bewusst angeknüpft haben. Es entspricht dann aber dem Zweck des Art. 3 Abs. 2 DBA-Jugoslawien, Entscheidungsharmonie zwischen der Abkommensauslegung und dem innerstaatlichen Steuerrecht des Anwendestaates dadurch herzustellen, dass der genannte Rechtsbegriff im Einklang mit der Begriffsbedeutung im anderen Vertragsstaat (hier: Jugoslawien) auszulegen ist.

Für die Entscheidung des Streitfalles kam es darauf an, ob angesichts der gesellschaftsrechtlichen Entwicklung in Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten auch die an die Stelle der Organisationen der Vereinten Arbeit getretenen Nachfolgeunternehmen und alle steuerpflichtigen juristischen Personen, die nach 1988 in Übereinstimmung mit dem jugoslawischen Gesellschaftsrecht bzw. dem Gesellschaftsrecht der Nachfolgestaaten errichtet worden sind, Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien unterfallen, oder sich der Wortlaut der Bestimmung mit dem FA auf die nach bosnisch-herzegowinischem Gesellschaftsrecht seit dem 31.12.1991 nicht mehr existierende jugoslawische Organisation der Vereinten Arbeit beschränkt.

Der BFH entschied, dass der in Art. 8 und Art. 14 Abs. 3 DBA-Jugoslawien verwendete Begriff der "Organisation der Vereinten Arbeit" auch diejenigen juristischen Personen erfasst, die insgesamt an deren Stelle getreten sind. Das sind zunächst die nach Maßgabe des jugoslawischen Gesellschaftsrechts zwingend bis zum 31.12.1991 hinsichtlich ihrer Rechtsform angepassten (ehemaligen) Organisationen der Vereinten Arbeit sowie steuerpflichtige juristische Personen, die nach 1988 errichtet worden sind. Weiterhin hält er an seiner Rechtsprechung zur sog. statischen Abkommensauslegung fest, stellt aber klar, dass bei Vorliegen einer sog. Fortgeltungsvereinbarung für die Abkommensauslegung auf den Zeitpunkt des Abschlusses dieser Vereinbarung abzustellen sein kann.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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