24.08.2023

Berücksichtigung des Verlusts aus einer stehen gelassenen Gesellschafterbürgschaft nach § 20 Abs. 2 EStG

1. Bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht im Rahmen des § 20 EStG ist zwar im Grundsatz jede Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Allerdings bedarf es im Fall einer stehen gelassenen Gesellschafterbürgschaft einer "Gesamtbetrachtung" von Beteiligung und Bürgschaft/Regressforderung. Danach sind die gesamten "aus der Beteiligung" erzielten Einkünfte maßgebend, das heißt sowohl Wertsteigerungen als auch Ausschüttungen (§ 17 Abs. 1, 4, § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG). Von einer fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht ist auch ohne Vereinbarung einer Bürgschaftsprovision nur dann auszugehen, wenn die Erzielung von positiven Einkünften insgesamt ausscheidet.
2. Findet der Ausfall der Regressforderung aus einer stehen gelassenen Bürgschaft im Rahmen des § 17 Abs. 1, 4 EStG (Übergangsregelung nach Maßgabe des Senatsurteils vom 11.07.2017 - IX R 36/15, BFHE 258, 427, BStBl II 2019, 208) keine Berücksichtigung, weil der gemeine Wert der Forderung im Zeitpunkt des Stehenlassens mit 0 € zu bewerten ist, steht § 20 Abs. 8 EStG einer Berücksichtigung der Forderung mit ihrem nicht werthaltigen Teil (Nennwert) nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG nicht entgegen.
3. Verbürgen sich mehrere Gesellschafter für dieselbe Gesellschaftsschuld, kann der über seinen Anteil hinaus in Anspruch genommene Bürge den Ausfall seiner gegen die Gesellschaft gerichteten Regressforderung nur dann in voller Höhe nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG geltend machen, wenn feststeht, dass die Ausgleichsforderung gegen den Mitbürgen nach § 426 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuchs nicht realisierbar und damit wertlos ist.

Kurzbesprechung
BFH v. 20.6.2023 - IX R 2/22

EStG § 17 Abs 1, § 17 Abs 2, § 17 Abs 4, § 20 Abs 2 S 1 Nr. 7, § 20 Abs 2 S 2, § 20 Abs 4, § 20 Abs 8
BGB § 426 Abs 2


Streitig war, ob der Ausfall von Bürgschaftsregressforderungen nach § 17 Abs. 1, 4 oder nach § 20 Abs. 2 EStG steuerbar ist.

Verlustberücksichtigung nach § 20 Abs. 2 EStG

Der endgültige Ausfall einer Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG in der privaten Vermögenssphäre führt nach Einführung der Abgeltungsteuer zu einem steuerlich anzuerkennenden Verlust nach § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Satz 2, Abs. 4 EStG. Zwar fehlt es bei einem Forderungsausfall an dem für eine Veräußerung im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG notwendigen Rechtsträgerwechsel. Aus der Gleichstellung der Rückzahlung mit dem Tatbestand der Veräußerung einer Kapitalforderung in § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG folgt jedoch, dass auch eine endgültig ausbleibende Rückzahlung zu einem Verlust im Sinne des § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG führen kann. Denn wirtschaftlich betrachtet macht es keinen Unterschied, ob der Steuerpflichtige die Forderung noch kurz vor dem Ausfall zu null veräußert, oder ob er sie ‑ weil er keinen Käufer findet oder auf eine Quote hofft ‑ behält. In beiden Fällen erleidet der Steuerpflichtige Einbußen seiner wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, die die gleiche steuerliche Berücksichtigung finden müssen.

Wie die Veräußerung ist die Rückzahlung ein Tatbestand der Endbesteuerung. Ein steuerbarer Verlust aufgrund eines Forderungsausfalls liegt daher grundsätzlich erst dann vor, wenn bei objektiver Betrachtung bereits zu diesem Zeitpunkt nicht mehr mit Rückzahlungen auf die Forderung zu rechnen ist und ausreichende Anhaltspunkte für eine Uneinbringlichkeit der Forderung vorliegen. Die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Schuldners reicht hierfür in der Regel nicht aus. Etwas anderes gilt aber ausnahmsweise, wenn die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt worden ist oder aus anderen Gründen feststeht, dass nicht mehr mit einer wesentlichen Änderung des Verlusts nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Insolvenzschuldners zu rechnen ist.

Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht

Das Vorliegen einer Einkünfteerzielungsabsicht ist im Grundsatz auch bei den Einkünften aus Kapitalvermögen im Sinne des § 20 EStG ‑ für jede einzelne Kapitalanlage getrennt ‑ zu prüfen. Die durch das Unternehmensteuerreformgesetz 2008 mit der Abgeltungsteuer als Schedule eingeführten Besonderheiten der Einkünfte aus Kapitalvermögen begründen eine tatsächliche (widerlegbare) Vermutung der Einkünfteerzielungsabsicht. So sollten mit der Abgeltungsteuer in § 20 EStG umfassend alle in Betracht kommenden Kapitalanlagen erfasst werden, insbesondere auch realisierte Wertsteigerungen des Kapitalstamms (§ 20 Abs. 2 EStG). Hinzu kommen vor allem die Einschränkungen des objektiven Nettoprinzips durch das Werbungskostenabzugsverbot gemäß § 20 Abs. 9 EStG und die Verlustabzugsbeschränkungen gemäß § 20 Abs. 6 EStG.

Bei der Prüfung der Einkünfteerzielungsabsicht im Rahmen des § 20 EStG ist zwar im Grundsatz jede Kapitalanlage getrennt zu beurteilen. Allerdings bedarf es in Fällen wie dem vorliegenden einer "Gesamtbetrachtung" von Beteiligung und Bürgschaft/Regressforderung Danach sind die gesamten "aus der Beteiligung" erzielten Einkünfte maßgebend, das heißt sowohl Wertsteigerungen als auch Ausschüttungen (§ 17 Abs. 1, 4; § 20 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG). Von einer fehlenden Einkünfteerzielungsabsicht ist nur dann auszugehen, wenn die Erzielung von positiven Einkünften insgesamt ausscheidet.

Dies war im Streitfall nicht gegeben. Denn das Fehlen einer Bürgschaftsprovision allein führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Entsprechendes gilt für den Umstand, dass bereits im Streitjahr nicht mehr mit Zahlungen auf die Forderungen zu rechnen war, vielmehr hatten ausreichende objektive Anhaltspunkte für eine Uneinbringlichkeit der Forderungen vorgelegen. Dabei war auf den Abschluss der Zahlungs- und Verzichtsvereinbarung mit dem Insolvenzverwalter im Februar 2014 abzustellen.

Subsidiaritätsklausel (§ 20 Abs. 8 EStG)

Auch stand § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG der Verlustberücksichtigung nicht entgegen. Denn die den Regressforderungen zugrunde liegenden Bürgschaften stellten eigenkapitalersetzende Bürgschaften dar. Zwar war die Abgabe der Bürgschaftsversprechen in den Jahren 2010 und 2011 noch nicht gesellschaftsrechtlich veranlasst. Der Steuerpflichtige hatte die Bürgschaften jedoch in der Krise stehen gelassen, so dass sie eigenkapitalersetzend geworden waren. Die im Moment der Inanspruchnahme aus den Bürgschaften entstandenen und zugleich endgültig ausgefallenen Bürgschaftsregressforderungen finden daher mit dem gemeinen Wert bei Eintritt der Krise Eingang in den Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG. Vor diesem Hintergrund stand die Subsidiaritätsklausel einer Verlustberücksichtigung nach § 20 Abs. 2 EStG nicht entgegen, obschon der Tatbestand des § 17 Abs. 1, 4 EStG (dem Grunde nach) erfüllt war.

Der BFH stellte heraus, dass sie die in § 20 Abs. 8 Satz 1 EStG geregelte Sperrwirkung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb (nach § 17 EStG) nur auf den von § 17 EStG positiv erfassten Forderungsverlust nach gesellschaftsrechtlicher Verstrickung der Bürgschaft (im Streitfall: 0 €), nicht aber auf den zuvor eingetretenen Wertverlust erstreckt. Nur "soweit" Anschaffungskosten als Teil der Veräußerungseinkünfte im Sinne des § 20 Abs. 2 EStG (im Zusammenhang mit der Bürgschaftsregressforderung) zu den Anschaffungskosten als Teil der Veräußerungseinkünfte im Sinne des § 17 EStG (im Zusammenhang mit der GmbH-Beteiligung) gehören (im Streitfall: 0 €), ist § 20 Abs. 2 EStG nach dem Wortlaut des § 20 Abs. 8 EStG anwendungsgesperrt.

Entstehen nachträgliche Anschaffungskosten auf die Gesellschaftsbeteiligung in Höhe von null, steht dies der Nichtanwendbarkeit des § 17 EStG a.F. für diesen Ausfallverlust gleich. Damit fällt der bis zum Eintritt der Krise eingetretene Wertverlust ‑ im Unterschied zu der vor Einführung der Abgeltungsteuer geltenden Rechtslage - nicht mehr in der (steuerlich unbeachtlichen) privaten Vermögenssphäre an.

Da die Bürgen als Gesamtschuldner im Innenverhältnis grundsätzlich zu gleichen Anteilen verpflichtet sind (§ 426 Abs. 1 BGB), erwirbt der Bürge, der eine über seinen Anteil hinausgehende Zahlung leistet, beim Fehlen anderweitiger Vereinbarungen einen Ausgleichsanspruch (§ 426 Abs. 2 BGB). Er wäre deshalb bei einer seinen Anteil übersteigenden Zahlung insoweit wirtschaftlich nur dann belastet, wenn gleichzeitig feststünde, dass die Ausgleichsforderung gegen den oder die anderen Gesamtschuldner (Mitbürgen) nicht realisierbar und damit wertlos ist. Im Streitfall konnte auf der Grundlage der vorgelegten Unterlagen nicht festgestellt werden, dass der Bruder des Steuerpflichtigen zahlungsunfähig war und die gegen ihn gerichteten Ausgleichsansprüche des Steuerpflichtigen daher wertlos waren.

Keine Anwendung des gesonderten Steuertarifs (§ 3 32d EStG)

Im Streitfall fand auch der gesonderte Steuertarif nach § 32d Abs. 1 EStG keine Anwendung, da § 32d Abs. 2 Nr. 1 Buchst. b Satz 1 EStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 2020 vom 21.12.2020 (BGBl I 2020, 3096) im Streitjahr noch nicht einschlägig war.
Verlag Dr. Otto Schmidt
Zurück