Besteuerung von Abfindungen nach dem DBA-Frankreich 1959/2001 - Grenzgängerregelung
Kurzbesprechung
BFH v. 1.8.2024 - VI R 52/20
EStG § 19, § 24 Nr. 1, § 49 Abs 1 Nr. 4 Buchst d
DBA FRA Art 13 Abs 1, Art 13 Abs 5
FGO § 118 Abs 2
OECDMustAbk Art 15 Abs 1
OECD-MA Art 15 Abs 1
Im Streitfall unterlag der Steuerpflichtige mit seinen inländischen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 4 EStG, da er seit dem 01.11.2005 in Deutschland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG sind inländische Einkünfte auch solche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben.
Von § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG werden daher auch Entschädigungen erfasst, die ‑ wie im Streitfall ‑ (wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes) gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.
Im Streitfall hatte der Steuerpflichtige im Streitjahr im Zusammenhang mit der vorzeitigen Auflösung seines Dienstvertrags von seinem Arbeitgeber "in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG" eine Entschädigung als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und die dadurch entgehenden Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) erhalten. Eine solche Entschädigung gehört zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG.
Im Streitfall stand Deutschland nach innerstaatlichem Recht das Besteuerungsrecht für die streitgegenständliche Abfindung jedenfalls insoweit zu, als die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben und damit soweit die Abfindungszahlung anteilig auf den Zeitraum der Beschäftigung des Steuerpflichtigen beim A Konzern entfällt, in dem er (ausschließlich) einen Wohnsitz im Inland innehatte und insoweit auch dort (weil unbeschränkt steuerpflichtig) besteuert wurde.
Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht zustehende Besteuerungsrecht für die streitgegenständliche Abfindung ist war im Streitfall - jedenfalls in dem Umfang, in dem es vom FA ausgeübt wurde ‑ nicht nach Maßgabe des DBA-Frankreich 1959/2001 ausgeschlossen. Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vorbehaltlich etwaiger (im Streitfall nicht einschlägiger) Sonderregelungen nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird (Satz 1). Als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelten nach Satz 2 der Regelung insbesondere Gehälter, Besoldungen, Löhne, Gratifikationen oder sonstige Bezüge sowie alle ähnlichen Vorteile, die von anderen als den in Art. 14 DBA-Frankreich 1959/2001 bezeichneten Personen (das sind bestimmte öffentliche Kassen) gezahlt oder gewährt werden. Eine Entschädigungszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes wird folglich vom objektiven Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBA-Frankreich 1959/2001 erfasst.
Zwar sind Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nach den auf Art. 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen (OECD-MustAbk) basierenden DBA nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im Ansässigkeitsstaat zu besteuern. Denn bei Abfindungen handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem innerstaatlichen Recht Arbeitslohn (§ 19 EStG) sind, nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD-MustAbk. Sie werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut ("dafür") nicht.
Etwas anderes gilt nach Auffassung des BFH jedoch wegen des von Art. 15 Abs. 1 OECD-MustAbk abweichenden Wortlauts nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001. Danach steht das Besteuerungsrecht für Abfindungen grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat und damit im Streitfall Deutschland zu. Indem diese Regelung zur Abgrenzung ihres sachlichen Gegenstands ausdrücklich auf die zahlende Person abstellt (Satz 2) und für die Zuordnung auf den Ort der persönlichen Tätigkeit verweist, "aus der die Einkünfte herrühren", lässt sie einen lediglich kausalen Zusammenhang ("Anlasszusammenhang") zwischen einem Arbeitsverhältnis und der Zahlung durch einen Arbeitgeber ausreichen.
Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich 1959/2001 bietet damit eine ausreichende Grundlage, das Besteuerungsrecht für eine solche Entschädigungszahlung ausschließlich dem Ort der früheren (Arbeitnehmer-)Tätigkeit (hier: Deutschland) zuzuordnen. Dem nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 Deutschland zustehenden Besteuerungsrecht betreffend die Abfindung steht ‑ jedenfalls soweit der Abfindungsbetrag auf die Zeit entfällt, in der der Steuerpflichtigen seinen Wohnsitz sowie Arbeitsort im Inland hatte und auch dort besteuert wurde ‑ die sogenannte Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/2001 nicht entgegen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 19, § 24 Nr. 1, § 49 Abs 1 Nr. 4 Buchst d
DBA FRA Art 13 Abs 1, Art 13 Abs 5
FGO § 118 Abs 2
OECDMustAbk Art 15 Abs 1
OECD-MA Art 15 Abs 1
Im Streitfall unterlag der Steuerpflichtige mit seinen inländischen Einkünften der beschränkten Steuerpflicht gemäß § 1 Abs. 4 EStG, da er seit dem 01.11.2005 in Deutschland weder seinen Wohnsitz noch seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Nach § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG sind inländische Einkünfte auch solche Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die als Entschädigung im Sinne des § 24 Nr. 1 EStG für die Auflösung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden, soweit die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben.
Von § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. d EStG werden daher auch Entschädigungen erfasst, die ‑ wie im Streitfall ‑ (wegen des Verlusts des Arbeitsplatzes) gemäß § 24 Nr. 1 Buchst. a EStG als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt werden.
Im Streitfall hatte der Steuerpflichtige im Streitjahr im Zusammenhang mit der vorzeitigen Auflösung seines Dienstvertrags von seinem Arbeitgeber "in entsprechender Anwendung der §§ 9, 10 KSchG" eine Entschädigung als Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes und die dadurch entgehenden Einnahmen (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG) erhalten. Eine solche Entschädigung gehört zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit im Sinne des § 19 EStG.
Im Streitfall stand Deutschland nach innerstaatlichem Recht das Besteuerungsrecht für die streitgegenständliche Abfindung jedenfalls insoweit zu, als die für die zuvor ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte der inländischen Besteuerung unterlegen haben und damit soweit die Abfindungszahlung anteilig auf den Zeitraum der Beschäftigung des Steuerpflichtigen beim A Konzern entfällt, in dem er (ausschließlich) einen Wohnsitz im Inland innehatte und insoweit auch dort (weil unbeschränkt steuerpflichtig) besteuert wurde.
Das Deutschland nach innerstaatlichem Recht zustehende Besteuerungsrecht für die streitgegenständliche Abfindung ist war im Streitfall - jedenfalls in dem Umfang, in dem es vom FA ausgeübt wurde ‑ nicht nach Maßgabe des DBA-Frankreich 1959/2001 ausgeschlossen. Nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 können Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit vorbehaltlich etwaiger (im Streitfall nicht einschlägiger) Sonderregelungen nur in dem Vertragsstaat besteuert werden, in dem die persönliche Tätigkeit, aus der die Einkünfte herrühren, ausgeübt wird (Satz 1). Als Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit gelten nach Satz 2 der Regelung insbesondere Gehälter, Besoldungen, Löhne, Gratifikationen oder sonstige Bezüge sowie alle ähnlichen Vorteile, die von anderen als den in Art. 14 DBA-Frankreich 1959/2001 bezeichneten Personen (das sind bestimmte öffentliche Kassen) gezahlt oder gewährt werden. Eine Entschädigungszahlung für den Verlust des Arbeitsplatzes wird folglich vom objektiven Regelungsgegenstand des Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBA-Frankreich 1959/2001 erfasst.
Zwar sind Abfindungen anlässlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses nach den auf Art. 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Musterabkommens der Organisation for Economic Cooperation and Development (OECD) zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und Vermögen (OECD-MustAbk) basierenden DBA nicht im Tätigkeitsstaat, sondern im Ansässigkeitsstaat zu besteuern. Denn bei Abfindungen handelt es sich unbeschadet dessen, dass sie nach dem innerstaatlichen Recht Arbeitslohn (§ 19 EStG) sind, nicht um ein zusätzliches Entgelt für eine frühere Tätigkeit im Sinne des Art. 15 Abs. 1 Satz 2 OECD-MustAbk. Sie werden nicht für eine konkrete im Inland oder Ausland ausgeübte Tätigkeit gezahlt, sondern gerade für den Verlust des Arbeitsplatzes. Ein bloßer Anlasszusammenhang zwischen Zahlung und Tätigkeit genügt nach dem Abkommenswortlaut ("dafür") nicht.
Etwas anderes gilt nach Auffassung des BFH jedoch wegen des von Art. 15 Abs. 1 OECD-MustAbk abweichenden Wortlauts nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001. Danach steht das Besteuerungsrecht für Abfindungen grundsätzlich dem Tätigkeitsstaat und damit im Streitfall Deutschland zu. Indem diese Regelung zur Abgrenzung ihres sachlichen Gegenstands ausdrücklich auf die zahlende Person abstellt (Satz 2) und für die Zuordnung auf den Ort der persönlichen Tätigkeit verweist, "aus der die Einkünfte herrühren", lässt sie einen lediglich kausalen Zusammenhang ("Anlasszusammenhang") zwischen einem Arbeitsverhältnis und der Zahlung durch einen Arbeitgeber ausreichen.
Der Wortlaut des Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBA-Frankreich 1959/2001 bietet damit eine ausreichende Grundlage, das Besteuerungsrecht für eine solche Entschädigungszahlung ausschließlich dem Ort der früheren (Arbeitnehmer-)Tätigkeit (hier: Deutschland) zuzuordnen. Dem nach Art. 13 Abs. 1 DBA-Frankreich 1959/2001 Deutschland zustehenden Besteuerungsrecht betreffend die Abfindung steht ‑ jedenfalls soweit der Abfindungsbetrag auf die Zeit entfällt, in der der Steuerpflichtigen seinen Wohnsitz sowie Arbeitsort im Inland hatte und auch dort besteuert wurde ‑ die sogenannte Grenzgängerregelung des Art. 13 Abs. 5 DBA-Frankreich 1959/2001 nicht entgegen.