27.01.2022

Besteuerung von Umsätzen einer Bäckerei mit Filialen in "Vorkassenzonen" eines Supermarkts

Verkauft eine Bäckerei in Filialen, die sich teilweise in "Vorkassenzonen" eines Supermarkts befinden, Speisen zum Verzehr vor Ort auf Mehrweggeschirr und mit Mehrwegbesteck, das es nach dem Verzehr der Speisen zurücknimmt und reinigt, führt sie damit (ebenso wie ein Partyservice) sonstige Leistungen aus, die vor Inkrafttreten des § 12 Abs. 2 Nr. 15 UStG dem Regelsteuersatz unterlagen.

Kurzbesprechung
BFH v. 15.9.2021 - XI R 12/21 (XI R 25/19)

UStG § 3 Abs 1, § 3 Abs. 9, § 12 Abs 2 Nr. 1, § 12 Abs 2 Nr. 15
FGO § 126a
EWGRL 388/77 Art 5 Abs 1, 388/77 Art 6 Abs 1
EUV 282/2011 Art 6, 282/2011 Art 65


Streitig war, welcher Steuersatz auf Umsätze aus dem Verkauf von Speisen, die vor Ort an Tischen auf Geschirr der Steuerpflichtigen verzehrt wurden, anzuwenden ist.

Nach § 3 Abs. 9 Satz 4 UStG in der im Streitjahr noch geltenden Fassung war die Abgabe von Speisen und Getränken zum Verzehr an Ort und Stelle eine sonstige Leistung. Speisen und Getränke wurden gemäß § 3 Abs. 9 Satz 5 UStG zum Verzehr an Ort und Stelle abgegeben, wenn sie nach den Umständen der Abgabe dazu bestimmt sind, an einem Ort verzehrt zu werden, der mit dem Abgabeort in einem räumlichen Zusammenhang steht, und besondere Vorrichtungen für den Verzehr an Ort und Stelle bereitgehalten werden.

Nach Art. 6 Abs. 1 Satz 1 MwSt-DVO gilt die Abgabe zubereiteter oder nicht zubereiteter Speisen und/oder von Getränken, zusammen mit ausreichenden unterstützenden Dienstleistungen, die deren sofortigen Verzehr ermöglichen, als (Restaurant- und Verpflegungs-)Dienstleistung. Restaurantdienstleistungen sind die Erbringung solcher Dienstleistungen in den Räumlichkeiten des Dienstleistungserbringers (Art. 6 Abs. 1 Satz 3 Halbsatz 1 MwSt-DVO). Die Abgabe von Speisen und/oder Getränken ist dabei nur eine Komponente der gesamten Leistung, bei der der Dienstleistungsanteil überwiegt (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 MwSt-DVO).

Die Abgabe von zubereiteten oder nicht zubereiteten Speisen und/oder Getränken mit oder ohne Beförderung, jedoch ohne andere unterstützende Dienstleistungen, gilt nicht als Restaurant- oder Verpflegungsdienstleistung (Art. 6 Abs. 2 MwSt-DVO).Ob bestimmte Umsätze Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen sind, richtet sich nach ihrem Wesen; dieses ist im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermitteln. Dazu ist nicht nur die quantitative, sondern auch die qualitative Bedeutung der Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen der Lieferung zu bestimmen.

Die Abgabe von Nahrungsmitteln und Getränken zum sofortigen Verzehr ist das Ergebnis einer Reihe von Dienstleistungen vom Zubereiten bis zum Darreichen dieser Speisen, wobei dem Gast zugleich eine organisatorische Gesamtheit zur Verfügung gestellt wird, die u.a. einen Speisesaal als auch das Mobiliar und das Geschirr umfasst. Wenn die Abgabe von Nahrungsmitteln nur mit der Bereitstellung behelfsmäßiger Vorrichtungen (d.h. ganz einfacher Verzehrtheken ohne Sitzgelegenheit, die nur einer beschränkten Zahl von Kunden den Verzehr an Ort und Stelle im Freien ermöglichen) einhergeht und dadurch nur ein geringfügiger personeller Einsatz erforderlich ist, stellen diese Elemente geringfügige Nebenleistungen dar, die am Vorliegen einer Lieferung nichts ändern können.

Unter Anwendung dieser Grundsätze hat der BFH z.B. entschieden, dass die Abgabe von standardisiert zubereiteten Speisen durch einen Imbissstand zum Verzehr an einem Tisch mit Sitzgelegenheiten zu einem dem Regelsteuersatz unterliegenden Restaurationsumsatz führt; die Schwelle zum Restaurationsumsatz ist überschritten, weil die Bereitstellung von Geschirr, Besteck oder Mobiliar (Tische mit Sitzgelegenheit) --im Unterschied zur bloßen Bereitstellung einer behelfsmäßigen Infrastruktur im Falle von Imbissständen, Imbisswagen oder Kinos-- einen gewissen personellen Einsatz erfordert, um das gestellte Material herbeizuschaffen, zurückzunehmen und gegebenenfalls zu reinigen.

Dagegen liegt nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des BFH bei der Abgabe von Speisen zum Mitnehmen eine (ermäßigt zu besteuernde) Lieferung vor.

Das FG hatte im Streitfall die geltend gemachte ermäßigte Besteuerung zu Recht versagt, in dem es von der zutreffenden Annahme ausging, bei einer Gesamtbetrachtung der durch die KG im Falle des Verzehrs vor Ort erbrachten Leistungselemente stünden die Dienstleistungselemente im Vergleich zu den Elementen einer Lieferung von Speisen im Vordergrund. Die KG habe den Kunden nicht nur Backwaren und Fast-Food verkauft, sondern diesen gegenüber auch zusätzliche Dienstleistungen erbracht, indem sie neben der Zubereitung der standardisierten Produkte zum Verzehr der Speisen Tische und Sitzmöglichkeiten sowie Tassen, Geschirr und Besteck zur Verfügung gestellt habe und sowohl das Mobiliar als auch das Geschirr gereinigt habe. Das in und um die angemieteten Filialen durch die KG aufgestellte Mobiliar sei sowohl aus objektiver Empfängersicht als auch nach den objektiven Gegebenheiten ausschließlich zur Nutzung durch die Kunden der KG bestimmt gewesen. Aufgrund dieser durch die KG erbrachten Dienstleistungen (Verzehrvorrichtungen, Serviceleistungen, Geschirrstellung) trete der Dienstleistungscharakter in den Vordergrund, obwohl in einigen Filialen der KG keine Garderoben und Toiletten vorgehalten worden seien und überdies kein Kellnerservice (im Sinne einer Bedienung am Sitzplatz) bestanden und es an einer völligen räumlichen Trennung der Vorkassenfilialen von den Vorkassenbereichen der Lebensmittelmärkte, in denen sie untergebracht waren, gefehlt habe.

Durch die Gestellung von Tischen und Stühlen, Geschirr und teilweise auch Dekoration sowie die Erbringung von Reinigungsleistungen im Hinblick auf diese Gegenstände sei die Gesamtleistung der KG aus Sicht des Durchschnittsverbrauchers dennoch als Restaurationsleistung und damit Dienstleistung zu qualifizieren. Der personelle Einsatz könne (insbesondere im Vergleich zu dem erforderlichen personellen Einsatz im Falle eines Außer-Haus-Verkaufes) nicht mehr als nur geringfügig angesehen werden. Denn die Reinigung des Geschirrs, der Tische und Stühle sowie das Aufbringen der Dekoration gehe deutlich über die Herstellung, Zubereitung und den Verkauf der zum Verzehr vor Ort bestimmten Backwaren hinaus und binde Arbeitskraft. Dass die Kunden der KG deren Angestellten im Regelfall kein Trinkgeld gewährt hätten, führe zu keinem anderen Ergebnis der Gesamtabwägung; denn die Gewährung von Trinkgeld sei keine konstitutive Voraussetzung für die Annahme einer Dienstleistung. Das gefundene Ergebnis entspreche außerdem dem Grundsatz, dass Bestimmungen, die Ausnahmen von einem allgemeinen Grundsatz darstellen, eng auszulegen sind.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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