Betriebsstättenbegriff nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG nach altem und dem ab 2014 geltenden Reisekostenrecht
Kurzbesprechung
BFH v. 16. 2. 2022 - X R 14/19
EStG § 4 Abs 5 S 1 Nr. 6, § 9 Abs 1 S 3 Nr. 4, § 9 Abs 4
AO § 12
1. Rechtslage bis 31.12.2013
Nach ständiger Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH ist als Betriebsstätte bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort anzusehen, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers. Mit der in anderen BFH-Entscheidungen verwendeten Formulierung, es handele sich um den Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden, die den steuerbaren Einkünften zugrunde liegen, ist keine inhaltliche Abweichung verbunden.
Diese zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. entwickelte Definition der Betriebsstätte weicht zwar vom allgemeinen Betriebsstättenbegriff des § 12 AO ab, weil eine abgrenzbare Fläche oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene eigene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen ‑‑im Unterschied zur Geschäftseinrichtung oder zur Anlage i.S. des § 12 Satz 1 AO‑‑ nicht erforderlich ist. Eine normspezifische Gesetzesauslegung ist jedoch im Hinblick auf den mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. verfolgten Zweck, die Bezieher von Gewinneinkünften in Bezug auf regelmäßige Fahrten mit Arbeitnehmern gleichzustellen, verfassungsrechtlich geboten.
An dieser Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. hat der X. Senat seinerzeit ungeachtet der damaligen Rechtsprechung des VI. Senats des BFH zu dem in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. verwendeten Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte, nach welcher regelmäßige Arbeitsstätte nur eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, nicht aber die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers sein könne, festgehalten.
Nach der in den Streitjahren 2012 und 2013 geltenden Begriffsbestimmung ist der Begriff der Betriebsstätte schon wegen der Verweisung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. auf die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. gleichermaßen wie der dort für Arbeitnehmer verwendete Begriff der "Arbeitsstätte" dadurch gekennzeichnet, dass er eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung voraussetzt, die der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder zur Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit aufsucht. Das FG hatte daher im Streitfall zu Recht den Kostenabzug nach Reisekostengrundsätzen verneint.
2. Rechtslage ab 1.1.2014
Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG n.F. die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.
Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an.
Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören.
Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 Alternative 1 EStG n.F., wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 Alternative 2 EStG n.F. für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt, so dass eine Kostengeltendmachung nach Reisekostengrundsätzen auch ab VZ 2014 im Streitfall nicht in Betracht kam.
Verlag Dr. Otto Schmidt
EStG § 4 Abs 5 S 1 Nr. 6, § 9 Abs 1 S 3 Nr. 4, § 9 Abs 4
AO § 12
1. Rechtslage bis 31.12.2013
Nach ständiger Rechtsprechung der für die Gewinneinkünfte zuständigen Senate des BFH ist als Betriebsstätte bei einem im Wege eines Dienstvertrags tätigen Unternehmer, der nicht über eine eigene Betriebsstätte verfügt, der Ort anzusehen, an dem er die geschuldete Leistung zu erbringen hat, in der Regel also der Betrieb des Auftraggebers. Mit der in anderen BFH-Entscheidungen verwendeten Formulierung, es handele sich um den Ort, an dem oder von dem aus die beruflichen oder gewerblichen Leistungen erbracht werden, die den steuerbaren Einkünften zugrunde liegen, ist keine inhaltliche Abweichung verbunden.
Diese zu § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. entwickelte Definition der Betriebsstätte weicht zwar vom allgemeinen Betriebsstättenbegriff des § 12 AO ab, weil eine abgrenzbare Fläche oder Räumlichkeit und eine hierauf bezogene eigene Verfügungsmacht des Steuerpflichtigen ‑‑im Unterschied zur Geschäftseinrichtung oder zur Anlage i.S. des § 12 Satz 1 AO‑‑ nicht erforderlich ist. Eine normspezifische Gesetzesauslegung ist jedoch im Hinblick auf den mit § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. verfolgten Zweck, die Bezieher von Gewinneinkünften in Bezug auf regelmäßige Fahrten mit Arbeitnehmern gleichzustellen, verfassungsrechtlich geboten.
An dieser Auslegung des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG a.F. hat der X. Senat seinerzeit ungeachtet der damaligen Rechtsprechung des VI. Senats des BFH zu dem in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. verwendeten Begriff der regelmäßigen Arbeitsstätte, nach welcher regelmäßige Arbeitsstätte nur eine betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, nicht aber die betriebliche Einrichtung eines Kunden des Arbeitgebers sein könne, festgehalten.
Nach der in den Streitjahren 2012 und 2013 geltenden Begriffsbestimmung ist der Begriff der Betriebsstätte schon wegen der Verweisung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 2 EStG a.F. auf die Regelung in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG a.F. gleichermaßen wie der dort für Arbeitnehmer verwendete Begriff der "Arbeitsstätte" dadurch gekennzeichnet, dass er eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung voraussetzt, die der Steuerpflichtige nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder zur Ausübung seiner betrieblichen Tätigkeit aufsucht. Das FG hatte daher im Streitfall zu Recht den Kostenabzug nach Reisekostengrundsätzen verneint.
2. Rechtslage ab 1.1.2014
Erste Tätigkeitsstätte ist nach der Legaldefinition in § 9 Abs. 4 Satz 1 EStG n.F. die ortsfeste betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens (§ 15 AktG) oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten, der der Arbeitnehmer dauerhaft zugeordnet ist. Ortsfeste betriebliche Einrichtungen sind räumlich zusammengefasste Sachmittel, die der Tätigkeit des Arbeitgebers, eines verbundenen Unternehmens oder eines vom Arbeitgeber bestimmten Dritten dienen und mit dem Erdboden verbunden oder dazu bestimmt sind, überwiegend standortgebunden genutzt zu werden. Die Zuordnung zu einer solchen Einrichtung wird gemäß § 9 Abs. 4 Satz 2 EStG n.F. durch die dienst- oder arbeitsrechtlichen Festlegungen sowie die diese ausfüllenden Absprachen und Weisungen bestimmt.
Ist der Arbeitnehmer einer bestimmten Tätigkeitsstätte arbeitsrechtlich zugeordnet, kommt es aufgrund des Direktionsrechts des Arbeitgebers für das Auffinden der ersten Tätigkeitsstätte auf den qualitativen Schwerpunkt der Tätigkeit, die der Arbeitnehmer dort ausübt oder ausüben soll, entgegen der bis 2013 geltenden Rechtslage nicht mehr an.
Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass der Arbeitnehmer am Ort der ersten Tätigkeitsstätte zumindest in geringem Umfang Tätigkeiten zu erbringen hat, die er arbeitsvertraglich oder dienstrechtlich schuldet und die zu dem von ihm ausgeübten Berufsbild gehören.
Von einer dauerhaften Zuordnung ist ausweislich der in § 9 Abs. 4 Satz 3 EStG n.F. aufgeführten Regelbeispiele insbesondere auszugehen, wenn der Arbeitnehmer unbefristet, für die Dauer des Dienstverhältnisses oder über einen Zeitraum von 48 Monaten hinaus an einer solchen Tätigkeitsstätte tätig werden soll.
Eine Zuordnung ist unbefristet i.S. des § 9 Abs. 4 Satz 3 Alternative 1 EStG n.F., wenn die Dauer der Zuordnung zu einer Tätigkeitsstätte aus der maßgeblichen Sicht ex ante nicht kalendermäßig bestimmt ist und sich auch nicht aus Art, Zweck oder Beschaffenheit der Arbeitsleistung ergibt. Die Zuordnung erfolgt gemäß § 9 Abs. 4 Satz 3 Alternative 2 EStG n.F. für die Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses, wenn sie aus der maßgeblichen Sicht ex ante für die gesamte Dauer des Arbeits- oder Dienstverhältnisses Bestand haben soll. Dies kann insbesondere angenommen werden, wenn die Zuordnung im Rahmen des Arbeits- oder Dienstverhältnisses unbefristet oder (ausdrücklich) für dessen gesamte Dauer erfolgt. Diese Voraussetzungen waren im Streitfall erfüllt, so dass eine Kostengeltendmachung nach Reisekostengrundsätzen auch ab VZ 2014 im Streitfall nicht in Betracht kam.