Billigkeitserlass von Nachforderungszinsen bei unzutreffender zeitlicher Zuordnung von Umsätzen
Kurzbesprechung
BFH v. 23.2.2023 - V R 30/20
AO § 227, § 233a
UStG § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 18 Abs. 6
Streitig war der Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer.
Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Zinsansprüche gehören (§ 37 Abs. 1, § 3 Abs. 4 Nr. 4 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig wäre.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer oder eines Zinsanspruchs, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass ihre Erhebung unbillig erscheint. Das ist der Fall, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage ‑ wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte ‑ im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Dies wiederum kann seinen Grund entweder in Gerechtigkeitsgesichtspunkten oder in einem Widerspruch zu dem der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Zweck haben.
Allerdings dürfen Billigkeitsmaßnahmen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ‑ sich lediglich in einem Einzelfall zeigenden ‑ ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestands abhelfen.
Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat. Bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes durch die Finanzbehörde, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und zu einer Steuererstattung führt, sollen aber durch § 233a AO keine Zinsvorteile abgeschöpft werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind.
Im Billigkeitsverfahren nach § 227 AO auf Erlass festgesetzter Zinsen hat es der Unternehmer daher nicht hinzunehmen, dass eine um einen Monat verspätete Steueranmeldung zu einem Zinslauf von acht Monaten führt, wenn der erlangte Liquiditätsvorteil durch eine spätere Anmeldung und die entsprechende Vorauszahlung vor Beginn des Zinslaufs wieder entfallen war. Denn es kann durch die Verzinsung der sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenden Steuernachforderung kein Vorteil ausgeglichen werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil hatte. Daher sind bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und einer Steuererstattung führt, tatsächlich nicht vorhandene Zinsvorteile auch nicht abzuschöpfen.
Im Erlassverfahren wegen Nachforderungszinsen kann daher nicht unberücksichtigt bleiben, dass z.B. der Liquiditätsvorteil, der dem Steuerpflichtigen durch die verspätete Anmeldung des im Voranmeldungszeitraum Dezember 1990 ausgeführten Umsatzes erwachsen war, bereits mit Zahlung der für den Voranmeldungszeitraum Januar 1991 angemeldeten Steuer und damit vor Beginn des Zinslaufs (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO) wieder entfallen ist.
Diese für Zwecke des Erlassverfahrens auf einzelne Voranmeldungszeiträume abstellende Betrachtung beruht maßgeblich darauf, dass aufgrund umsatzsteuerrechtlicher Besonderheiten hier trotz der Regelungen in § 233a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 AO, denen eine Jahresbetrachtung zugrunde liegt, nicht einseitig nur auf die nachgeforderte Jahressteuer abgestellt werden kann. Diese Besonderheiten ergeben sich zum einen daraus, dass der Steueranspruch bereits mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Umsatzausführung oder Entgeltvereinnahmung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b UStG) und daher anders als bei anderen Steuerarten nicht erst mit Ablauf des Kalenderjahres entsteht, und zum anderen daraus, dass die Änderung der zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes anders als die "Gewinnverlagerung" bei unveränderter Rechtslage aufkommensneutral ist.
Im Streitfall hatte das FG den Bescheid über die Ablehnung des Erlassantrags zu Recht aufgehoben und zutreffend entschieden, dass für die Frage, inwieweit die Steuerpflichtige Zinsvorteile erlangt hatte, die einem Billigkeitserlass entgegenstehen, die Liquiditätsvorteile außer Betracht zu bleiben haben, die für die Steuerpflichtige durch die verspätete Anmeldung der bereits im Vormonat ausgeführten Umsätze unterjährig entstanden waren.
Das FG hatte hierfür zu Recht darauf abgestellt, dass festgesetzte Vorauszahlungen nicht verzinst werden (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO), so dass ein monatlicher Zinsvorteil, den der Gesetzgeber nicht abschöpfen will, nicht als Begründung für die fehlende Unbilligkeit einer Zinsfestsetzung für die Jahressteuer herangezogen werden kann, zumal die Steuerpflichtige bei Beginn des Zinslaufs für die Streitjahre bereits alle auf die Steuernachforderung entfallenden Umsätze mit ihren monatlichen Voranmeldungen bezahlt hatte.
Auch steht eine fehlende Verrechnung der Steuernachforderung (für das Jahr der Vorverlagerung) mit einer Steuererstattung (für das Jahr der bisherigen Umsatzerfassung) dem Billigkeitserlass nicht entgegen. So führte z.B. die Steuerminderung, die sich aus der Umsatzvorverlagerung aus dem Januar 2010 in den Dezember 2009 ergab, aufgrund einer weiteren Umsatzvorverlagerung (aus dem Januar 2011 in den Dezember 2010) für das Jahr 2010 zu keiner Steuererstattung für 2010, die mit der Nachforderung für 2009 verrechnet werden konnte. Dies ist indes unerheblich, da es maßgeblich auf eine Einzelbetrachtung des jeweils vorzuverlagernden Umsatzes ankommt, der für sich genommen zu der erforderlichen Verrechnung der Nachforderung für 2009 mit einer Erstattung für 2010 geführt hätte. Dass eine Erstattung für 2010 an einer Saldierung mit anderen Besteuerungsgrundlagen scheitert, ist im Hinblick auf diese Einzelbetrachtung unerheblich.
Im Streitfall war daher die vom FA befürwortete Einbeziehung unterjährig entstandener Liquiditätsvorteile in die Billigkeitsbetrachtung unzutreffend. Eine derartige Einbeziehung kommt auch insoweit nicht in Betracht, als die unterjährig vorzunehmenden Umsatzverlagerungen zu keiner Änderung der für die Zinsentstehung maßgeblichen Jahressteuerfestsetzungen geführt haben. Die vom FA vertretene Auffassung läuft letztlich darauf hinaus, entgegen dem Wortlaut des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO und der sich hieraus ergebenden gesetzgeberischen Wertung (Nichtverzinsung von Vorauszahlungsfestsetzungen) gleichwohl zu einer weitergehenden Verzinsung zu gelangen, als sie sich auf der Grundlage einer Liquiditätsbetrachtung in Bezug auf die geänderten Jahressteuerfestsetzungen ergibt.
Verlag Dr. Otto Schmidt
AO § 227, § 233a
UStG § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b, § 18 Abs. 6
Streitig war der Billigkeitserlass von Nachzahlungszinsen zur Umsatzsteuer.
Nach § 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis, zu denen auch Zinsansprüche gehören (§ 37 Abs. 1, § 3 Abs. 4 Nr. 4 AO), ganz oder zum Teil erlassen, wenn deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falls aus persönlichen oder sachlichen Gründen unbillig wäre.
Sachlich unbillig ist die Festsetzung einer Steuer oder eines Zinsanspruchs, wenn sie zwar äußerlich dem Gesetz entspricht, aber den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Fall derart zuwiderläuft, dass ihre Erhebung unbillig erscheint. Das ist der Fall, wenn nach dem erklärten oder mutmaßlichen Willen des Gesetzgebers angenommen werden kann, dass er die im Billigkeitswege zu entscheidende Frage ‑ wenn er sie als regelungsbedürftig erkannt hätte ‑ im Sinne der begehrten Billigkeitsmaßnahme entschieden hätte. Dies wiederum kann seinen Grund entweder in Gerechtigkeitsgesichtspunkten oder in einem Widerspruch zu dem der gesetzlichen Regelung zugrunde liegenden Zweck haben.
Allerdings dürfen Billigkeitsmaßnahmen nicht die einem gesetzlichen Steuertatbestand innewohnende Wertung des Gesetzgebers generell durchbrechen oder korrigieren, sondern nur einem ‑ sich lediglich in einem Einzelfall zeigenden ‑ ungewollten Überhang des gesetzlichen Steuertatbestands abhelfen.
Die Festsetzung von Zinsen nach § 233a AO ist grundsätzlich rechtmäßig, wenn der Schuldner der Steuernachforderung Liquiditätsvorteile gehabt hat. Bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes durch die Finanzbehörde, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und zu einer Steuererstattung führt, sollen aber durch § 233a AO keine Zinsvorteile abgeschöpft werden, die in Wirklichkeit nicht vorhanden sind.
Im Billigkeitsverfahren nach § 227 AO auf Erlass festgesetzter Zinsen hat es der Unternehmer daher nicht hinzunehmen, dass eine um einen Monat verspätete Steueranmeldung zu einem Zinslauf von acht Monaten führt, wenn der erlangte Liquiditätsvorteil durch eine spätere Anmeldung und die entsprechende Vorauszahlung vor Beginn des Zinslaufs wieder entfallen war. Denn es kann durch die Verzinsung der sich aus der verspäteten Steuerfestsetzung ergebenden Steuernachforderung kein Vorteil ausgeglichen werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Steuerpflichtige durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil hatte. Daher sind bei einer von den ursprünglichen Steuerfestsetzungen abweichenden zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes, die gleichzeitig zu einer Steuernachforderung und einer Steuererstattung führt, tatsächlich nicht vorhandene Zinsvorteile auch nicht abzuschöpfen.
Im Erlassverfahren wegen Nachforderungszinsen kann daher nicht unberücksichtigt bleiben, dass z.B. der Liquiditätsvorteil, der dem Steuerpflichtigen durch die verspätete Anmeldung des im Voranmeldungszeitraum Dezember 1990 ausgeführten Umsatzes erwachsen war, bereits mit Zahlung der für den Voranmeldungszeitraum Januar 1991 angemeldeten Steuer und damit vor Beginn des Zinslaufs (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO) wieder entfallen ist.
Diese für Zwecke des Erlassverfahrens auf einzelne Voranmeldungszeiträume abstellende Betrachtung beruht maßgeblich darauf, dass aufgrund umsatzsteuerrechtlicher Besonderheiten hier trotz der Regelungen in § 233a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 1 AO, denen eine Jahresbetrachtung zugrunde liegt, nicht einseitig nur auf die nachgeforderte Jahressteuer abgestellt werden kann. Diese Besonderheiten ergeben sich zum einen daraus, dass der Steueranspruch bereits mit dem Ablauf des Voranmeldungszeitraums der Umsatzausführung oder Entgeltvereinnahmung (§ 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a und b UStG) und daher anders als bei anderen Steuerarten nicht erst mit Ablauf des Kalenderjahres entsteht, und zum anderen daraus, dass die Änderung der zeitlichen Zuordnung eines Umsatzes anders als die "Gewinnverlagerung" bei unveränderter Rechtslage aufkommensneutral ist.
Im Streitfall hatte das FG den Bescheid über die Ablehnung des Erlassantrags zu Recht aufgehoben und zutreffend entschieden, dass für die Frage, inwieweit die Steuerpflichtige Zinsvorteile erlangt hatte, die einem Billigkeitserlass entgegenstehen, die Liquiditätsvorteile außer Betracht zu bleiben haben, die für die Steuerpflichtige durch die verspätete Anmeldung der bereits im Vormonat ausgeführten Umsätze unterjährig entstanden waren.
Das FG hatte hierfür zu Recht darauf abgestellt, dass festgesetzte Vorauszahlungen nicht verzinst werden (§ 233a Abs. 1 Satz 2 AO), so dass ein monatlicher Zinsvorteil, den der Gesetzgeber nicht abschöpfen will, nicht als Begründung für die fehlende Unbilligkeit einer Zinsfestsetzung für die Jahressteuer herangezogen werden kann, zumal die Steuerpflichtige bei Beginn des Zinslaufs für die Streitjahre bereits alle auf die Steuernachforderung entfallenden Umsätze mit ihren monatlichen Voranmeldungen bezahlt hatte.
Auch steht eine fehlende Verrechnung der Steuernachforderung (für das Jahr der Vorverlagerung) mit einer Steuererstattung (für das Jahr der bisherigen Umsatzerfassung) dem Billigkeitserlass nicht entgegen. So führte z.B. die Steuerminderung, die sich aus der Umsatzvorverlagerung aus dem Januar 2010 in den Dezember 2009 ergab, aufgrund einer weiteren Umsatzvorverlagerung (aus dem Januar 2011 in den Dezember 2010) für das Jahr 2010 zu keiner Steuererstattung für 2010, die mit der Nachforderung für 2009 verrechnet werden konnte. Dies ist indes unerheblich, da es maßgeblich auf eine Einzelbetrachtung des jeweils vorzuverlagernden Umsatzes ankommt, der für sich genommen zu der erforderlichen Verrechnung der Nachforderung für 2009 mit einer Erstattung für 2010 geführt hätte. Dass eine Erstattung für 2010 an einer Saldierung mit anderen Besteuerungsgrundlagen scheitert, ist im Hinblick auf diese Einzelbetrachtung unerheblich.
Im Streitfall war daher die vom FA befürwortete Einbeziehung unterjährig entstandener Liquiditätsvorteile in die Billigkeitsbetrachtung unzutreffend. Eine derartige Einbeziehung kommt auch insoweit nicht in Betracht, als die unterjährig vorzunehmenden Umsatzverlagerungen zu keiner Änderung der für die Zinsentstehung maßgeblichen Jahressteuerfestsetzungen geführt haben. Die vom FA vertretene Auffassung läuft letztlich darauf hinaus, entgegen dem Wortlaut des § 233a Abs. 1 Satz 2 AO und der sich hieraus ergebenden gesetzgeberischen Wertung (Nichtverzinsung von Vorauszahlungsfestsetzungen) gleichwohl zu einer weitergehenden Verzinsung zu gelangen, als sie sich auf der Grundlage einer Liquiditätsbetrachtung in Bezug auf die geänderten Jahressteuerfestsetzungen ergibt.