05.10.2023

Bindungswirkung von Wertfeststellungsbescheiden bei Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe

Ein gesondert festgestellter Grundbesitzwert entfaltet Bindungswirkung für alle Schenkungsteuerbescheide, bei denen er in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließt. Das gilt auch für die Berücksichtigung eines früheren Erwerbs nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG.

Kurzbesprechung
BFH v. 26.7.2023 - II R 35/21

AO § 179 Abs. 1, § 181 Abs. 1 Satz 1, § 182 Abs. 1 Satz 1
BewG § 157, § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 151 Abs. 1 Satz 2
ErbStG § 1 Abs. 2, § 12 Abs. 3, § 14 Abs. 1
GG Art. 3 Abs. 1


Gem. § 14 Abs. 1 Satz 1 und 2 ErbStG werden mehrere innerhalb von zehn Jahren von derselben Person anfallende Vermögensvorteile in der Weise zusammengerechnet, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe nach ihrem früheren Wert zugerechnet werden und von der Steuer für den Gesamtbetrag die Steuer abgezogen wird, die für die früheren Erwerbe zur Zeit des letzten Erwerbs zu erheben gewesen wäre.

Aufgrund der Selbständigkeit der Besteuerung der einzelnen Erwerbe ist der in die Zusammenrechnung nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG einzubeziehende Vorerwerb dem letzten Erwerb mit dem materiell-rechtlich zutreffenden Wert hinzuzurechnen. Dies gilt auch dann, wenn bei der vorangegangenen Steuerfestsetzung für den Vorerwerb ein materiell-rechtlich nichtzutreffender Wert berücksichtigt wurde oder keine Steuerfestsetzung für den Vorerwerb erfolgt ist.

Bei der wertmäßigen Berücksichtigung des Vorerwerbs sind jedoch die verfahrensrechtlichen Besonderheiten in Bezug auf die Feststellung des Grundbesitzwerts zu beachten. Nach § 12 Abs. 3 ErbStG ist der Grundbesitz (§ 19 Abs. 1 BewG) mit dem nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG auf den Bewertungsstichtag (§ 11 ErbStG) festgestellten Wert anzusetzen. Nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG sind gesondert festzustellen (§ 179 AO) Grundbesitzwerte (§ 157 BewG), wenn die Werte für die Erbschaftsteuer von Bedeutung sind. Nach § 1 Abs. 2 ErbStG finden § 12 Abs. 3 i.V.m. § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG auch auf Schenkungen unter Lebenden Anwendung.

Gem. § 151 Abs. 1 Satz 2 BewG trifft das für die Festsetzung der Erbschaftsteuer zuständige FA die Entscheidung über eine Bedeutung für die Besteuerung und damit über die Feststellung dem Grunde nach. Ein Bescheid, der nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG den Grundbesitzwert auf den Bewertungsstichtag für Zwecke der Schenkungsteuer feststellt, ist bindender Grundlagenbescheid im Sinne des § 182 Abs. 1 Satz 1 AO für alle ihm nachfolgenden Schenkungsteuerbescheide, bei denen der Grundbesitzwert ‑ auch als Vorerwerb im Sinne des § 14 ErbStG ‑ in die steuerliche Bemessungsgrundlage einfließt.

Die BFH-Rechtsprechung zum Ansatz von materiell-rechtlich richtigen Werten für den Vorerwerb im Rahmen der Zusammenrechnung mehrerer Erwerbe innerhalb eines Zehnjahreszeitraums nach § 14 Abs. 1 Satz 1 ErbStG steht danach der Pflicht zur Berücksichtigung eines nach § 151 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 BewG i.V.m. § 1 Abs. 2 ErbStG festgestellten Grundbesitzwerts in Bezug auf einen Vorerwerb bei einem späteren Erwerb nicht entgegen, selbst wenn dieser materiell-rechtlich unzutreffend sein sollte. Denn diese Rechtsprechung bezieht sich lediglich auf Werte für Vorerwerbe, die nach § 157 Abs. 2 AO als nicht selbständig anfechtbare Besteuerungsgrundlagen in einem Schenkungsteuerbescheid für den Vorerwerb berücksichtigt wurden, nicht hingegen auf einen aufgrund eines gesonderten Feststellungsverfahrens gemäß § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG nach § 182 Abs. 1 Satz 1 AO bindend zu berücksichtigenden Wert.

Ebenso wenig steht der Berücksichtigung der gesondert festgestellten Grundbesitzwerte entgegen, dass nach der Rechtsprechung des BFH der für den Vorerwerb ergangene Schenkungsteuerbescheid für die Steuerfestsetzung für den nachfolgenden Erwerb keine Bindungswirkung etwa im Sinn eines Grundlagenbescheids entfaltet. Denn diese Rechtsprechung bezieht sich nicht auf Feststellungsbescheide im Sinne des § 151 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BewG, denen kraft Gesetzes (§ 182 Abs. 1 Satz 1 AO) Bindungswirkung für Folgebescheide zukommt.

Die unterschiedliche Behandlung von Werten abhängig davon, ob sie in einem gesetzlich angeordneten gesonderten Feststellungsverfahren festzustellen sind oder eine solche Feststellung nicht vorliegt, führt auch nicht zu einem Verstoß gegen den in Art. 3 Abs. 1 GG normierten allgemeinen Gleichheitssatz.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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