Britische Steuervorteile an multinationale Konzerne von 2013 bis 2018 waren nicht rechtswidrig
EuGH v. 19.9.2024 - C-555/22 P u.a.
Der Sachverhalt:
2019 stellte die Europäische Kommission fest, dass das Vereinigte Königreich bestimmten multinationalen Konzernen von 2013 bis 2018 rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen gewährt habe, indem es ihnen selektive Steuervorteile durch Befreiungen von der "CFC-Abgabe", d. h. der von Unternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich auf die Gewinne ihrer CFC geschuldeten Steuer, eingeräumt habe. Sie war insbesondere der Auffassung, dass die auf CFC anwendbaren Vorschriften das für die Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils maßgebliche Referenzsystem bildeten und dass die Befreiungen von der CFC-Abgabe eine Ausnahme von diesem System darstellten.
Das Vereinigte Königreich und das Unternehmen ITV fochten diesen Beschluss der Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union an. 2022 erließ das Gericht ein Urteil, mit dem es diese Klagen abwies und das Vorbringen der Kommission bestätigte.
Der EuGH hat nun das Urteil des Gerichts aufgehoben, mit dem dieses den Beschluss der Kommission, bestimmte Vorschriften des Vereinigten Königreichs über die Besteuerung der Gewinne von CFC als mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen einzustufen, bestätigt hatte, und erklärt diesen Beschluss für nichtig (C-555/22 P | Vereinigtes Königreich / Kommission u. a., C-556/22 P | ITV / Kommission u. a. und C-564/22 P | LSEGH (Luxembourg) und London Stock Exchange Group Holdings (Italy) / Kommission u. a.).
Die Gründe:
Die Kommission hat bei der Bestimmung des Referenzsystems, dem ersten Schritt der Prüfung der Voraussetzung der Selektivität, grundsätzlich der Auslegung zu folgen, die der Mitgliedstaat den einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts zugrunde legt, es sei denn, sie kann nachweisen, dass in der Rechtsprechung oder der Verwaltungspraxis dieses Mitgliedstaats eine andere Auslegung Vorrang hat. Sofern sich die Kommission in Anbetracht der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegten Informationen im Hinblick auf eine nationale Beihilferegelung nicht auf eine Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis stützen kann, die ihre eigene Auslegung des nationalen Rechts untermauert, kann diese Auslegung nur dann Vorrang vor der von diesem Mitgliedstaat vertretenen Auslegung haben, wenn die Kommission nachweisen kann, dass die von dem Mitgliedstaat vertretene Auslegung mit dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen unvereinbar ist.
Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs besteht das Referenzsystem im vorliegenden Fall aus dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem, das weitgehend auf dem Territorialitätsprinzip beruhe und zu dem in ihrer Gesamtheit auch die auf CFC anwendbaren Vorschriften gehörten. Diese Vorschriften ermöglichten es nämlich, die Gewinne von CFC so zu besteuern, als wenn sie von Unternehmen im Vereinigten Königreich erzielt worden wären, sofern eine hinreichend große Gefahr bestehe, dass diese Gewinne aus Konstruktionen stammten, die zu künstlichen Umleitungen von Gewinnen oder zur Erosion der Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage im Vereinigten Königreich führten. Nach der vom Gericht bestätigten Prüfung der Kommission lassen sich die auf CFC anwendbaren Vorschriften dagegen vom allgemeinen britischen Körperschaftsteuersystem trennen, so dass diese das maßgebliche Referenzsystem bildeten.
Im Ergebnis ist die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung mit dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen vereinbar. Dem Gericht ist ein Rechtsfehler unterlaufen, als es die Feststellung der Kommission in dem streitigen Beschluss bestätigt hat, dass das Referenzsystem zur Prüfung der Selektivität der in Rede stehenden Steuerbefreiungen ausschließlich durch die auf CFC anwendbaren Vorschriften gebildet werde. Dieser Fehler bei der Bestimmung des Referenzsystems beeinträchtigt notwendigerweise die gesamte Prüfung der Voraussetzung der Selektivität. Folglich genügt die Feststellung dieses Fehlers, um das Urteil des Gerichts insgesamt aufzuheben und den Beschluss der Kommission für nichtig zu erklären.
Mehr zum Thema:
Beratermodul Internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht:
In Kooperation mit dem Linde Verlag erhalten Sie in diesem Beratermodul die Inhalte, um Ihre Aufgabenstellungen im internationalen Steuerrecht umfassend zu erfüllen. 4 Wochen gratis nutzen!
EuGH PM Nr. 144 vom 19.9.2024
2019 stellte die Europäische Kommission fest, dass das Vereinigte Königreich bestimmten multinationalen Konzernen von 2013 bis 2018 rechtswidrige und mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen gewährt habe, indem es ihnen selektive Steuervorteile durch Befreiungen von der "CFC-Abgabe", d. h. der von Unternehmen mit Sitz im Vereinigten Königreich auf die Gewinne ihrer CFC geschuldeten Steuer, eingeräumt habe. Sie war insbesondere der Auffassung, dass die auf CFC anwendbaren Vorschriften das für die Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils maßgebliche Referenzsystem bildeten und dass die Befreiungen von der CFC-Abgabe eine Ausnahme von diesem System darstellten.
Das Vereinigte Königreich und das Unternehmen ITV fochten diesen Beschluss der Kommission vor dem Gericht der Europäischen Union an. 2022 erließ das Gericht ein Urteil, mit dem es diese Klagen abwies und das Vorbringen der Kommission bestätigte.
Der EuGH hat nun das Urteil des Gerichts aufgehoben, mit dem dieses den Beschluss der Kommission, bestimmte Vorschriften des Vereinigten Königreichs über die Besteuerung der Gewinne von CFC als mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen einzustufen, bestätigt hatte, und erklärt diesen Beschluss für nichtig (C-555/22 P | Vereinigtes Königreich / Kommission u. a., C-556/22 P | ITV / Kommission u. a. und C-564/22 P | LSEGH (Luxembourg) und London Stock Exchange Group Holdings (Italy) / Kommission u. a.).
Die Gründe:
Die Kommission hat bei der Bestimmung des Referenzsystems, dem ersten Schritt der Prüfung der Voraussetzung der Selektivität, grundsätzlich der Auslegung zu folgen, die der Mitgliedstaat den einschlägigen Bestimmungen seines nationalen Rechts zugrunde legt, es sei denn, sie kann nachweisen, dass in der Rechtsprechung oder der Verwaltungspraxis dieses Mitgliedstaats eine andere Auslegung Vorrang hat. Sofern sich die Kommission in Anbetracht der von dem betreffenden Mitgliedstaat vorgelegten Informationen im Hinblick auf eine nationale Beihilferegelung nicht auf eine Rechtsprechung oder Verwaltungspraxis stützen kann, die ihre eigene Auslegung des nationalen Rechts untermauert, kann diese Auslegung nur dann Vorrang vor der von diesem Mitgliedstaat vertretenen Auslegung haben, wenn die Kommission nachweisen kann, dass die von dem Mitgliedstaat vertretene Auslegung mit dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen unvereinbar ist.
Nach Ansicht des Vereinigten Königreichs besteht das Referenzsystem im vorliegenden Fall aus dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem, das weitgehend auf dem Territorialitätsprinzip beruhe und zu dem in ihrer Gesamtheit auch die auf CFC anwendbaren Vorschriften gehörten. Diese Vorschriften ermöglichten es nämlich, die Gewinne von CFC so zu besteuern, als wenn sie von Unternehmen im Vereinigten Königreich erzielt worden wären, sofern eine hinreichend große Gefahr bestehe, dass diese Gewinne aus Konstruktionen stammten, die zu künstlichen Umleitungen von Gewinnen oder zur Erosion der Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage im Vereinigten Königreich führten. Nach der vom Gericht bestätigten Prüfung der Kommission lassen sich die auf CFC anwendbaren Vorschriften dagegen vom allgemeinen britischen Körperschaftsteuersystem trennen, so dass diese das maßgebliche Referenzsystem bildeten.
Im Ergebnis ist die vom Vereinigten Königreich vertretene Auslegung mit dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen vereinbar. Dem Gericht ist ein Rechtsfehler unterlaufen, als es die Feststellung der Kommission in dem streitigen Beschluss bestätigt hat, dass das Referenzsystem zur Prüfung der Selektivität der in Rede stehenden Steuerbefreiungen ausschließlich durch die auf CFC anwendbaren Vorschriften gebildet werde. Dieser Fehler bei der Bestimmung des Referenzsystems beeinträchtigt notwendigerweise die gesamte Prüfung der Voraussetzung der Selektivität. Folglich genügt die Feststellung dieses Fehlers, um das Urteil des Gerichts insgesamt aufzuheben und den Beschluss der Kommission für nichtig zu erklären.
Beratermodul Internationales Steuer- und Wirtschaftsrecht:
In Kooperation mit dem Linde Verlag erhalten Sie in diesem Beratermodul die Inhalte, um Ihre Aufgabenstellungen im internationalen Steuerrecht umfassend zu erfüllen. 4 Wochen gratis nutzen!