Die sog. Mindestbesteuerung ist nicht verfassungswidrig
BFH 22.8.2012, I R 9/11Die Klägerin ist eine GmbH mit mehreren Tausend Gesellschaftern. Sie betreibt den Erwerb und die Verwaltung von Vermögensanlagen jeder Art. Aus Aktien und Aktienfonds erzielt sie Erträge, die bei der Ermittlung des Einkommens weitgehend außer Betracht bleiben; diese Erträge machen ca. 2/3 der Gesamterträge aus. Die übrigen Erträge (aus festverzinslichen Wertpapieren und Festgeldern) entsprechen der Höhe nach den im Gesamtunternehmen regelmäßig anfallenden betrieblichen Aufwendungen.
Die Klägerin schließt aus ihrer Betriebsart darauf, dass sie nicht auf unbegrenzte Zeit bestehen bleibe; sie werde voraussichtlich bis zum Jahre 2020 aktiv und dann bis spätestens im Jahre 2025 nach der Liquidation aufgelöst sein. Das Finanzamt berücksichtigte bei der Veranlagung des Streitjahres 2004 unter Hinweis auf § 8 Abs. 1 KStG 2002 i.V.m. § 10d Abs. 2 S. 1 EStG 2002 n.F. sowie auf § 10a S. 2 GewStG 2002 n.F. einen zum 31.12.2003 festgestellten Verlustvortrag sowie einen vortragsfähigen Gewerbeverlust nur teilweise einkommens- bzw. gewerbeertragsmindernd.
Die Klägerin machte geltend, dass sie den wegen der Mindestbesteuerung nicht ausgleichfähigen Verlust in der Zukunft nicht mehr würde ausgleichen können, da sie bis zu ihrer geplanten Liquidation in 20 Jahren infolge der sachlichen Steuerbefreiung von Dividendenerträgen kein ausgleichsfähiges Einkommen erzielen werde. Infolgedessen würden die Verluste bei ihr zwangsläufig definitiv. Überdies sei die Mindestbesteuerung infolge des durch den aufgeschobenen Verlustausgleich entstehenden Zinsschadens verfassungswidrig. Das FG wies die Klage ab.
Ob die sog. Mindestbesteuerung verfassungsgemäß ist, hatte der BFH zwar in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes im Jahr 2010 für ernstlich zweifelhaft gehalten, und zwar für Fälle, in denen eine sog. Definitivwirkung im Raum stand, also der vom Gesetzgeber lediglich beabsichtigte zeitliche Aufschub der Verlustverrechnung in einen endgültigen Ausschluss der Verlustverrechnung hineinzuwachsen drohte (Beschl. v. 26.8.2010, Az.: I B 49/10). Im vorliegenden Fall wies es die Revision der Klägerin allerdings zurück.
Die Gründe:
Die sog. Mindestbesteuerung gem. § 10d Abs. 2 EStG verstößt in ihrer Grundkonzeption nicht gegen Verfassungsrecht.
Die in ihrer Grundkonzeption angelegte zeitliche Streckung des Verlustvortrags beeinträchtigt nicht den vom Gesetzgeber zu gewährleistenden Kernbereich eines Verlustausgleichs. Ob dies in Definitivsituationen anders zu würdigen ist, konnte offenbleiben, weil sich der spätere Ausschluss einer steuerlichen Ausgleichsmöglichkeit für die klagende Kapitalgesellschaft im Streitjahr nicht hinreichend sicher prognostizieren ließ. Für Sachverhalte, in denen sich eine solche Prognose treffen lässt, steht die Antwort auf die Frage nach der Verfassungswidrigkeit der Mindestbesteuerung nach wie vor aus.
Hintergrund:
Die Einkommen- und Körperschaftsteuer soll die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Steuersubjekts abschöpfen. Ihre Bemessungsgrundlage ist deshalb das "Nettoeinkommen" nach Abzug der Erwerbsaufwendungen. Fallen die Aufwendungen nicht in demjenigen Kalenderjahr an, in dem die Einnahmen erzielt werden, oder übersteigen sie die Einnahmen, so dass ein Verlust erwirtschaftet wird, ermöglicht es das Gesetz, den Verlustausgleich auch über die zeitlichen Grenzen eines Bemessungszeitraums hinweg vorzunehmen (sog. überperiodischer Verlustabzug).
Seit 2004 ist dieser Verlustabzug begrenzt: 40 % der positiven Einkünfte oberhalb eines Schwellenbetrags von 1 Mio. € werden auch dann der Ertragsbesteuerung unterworfen, wenn bisher noch nicht ausgeglichene Verluste vorliegen (sog. Mindestbesteuerung). Damit wird die Wirkung des Verlustabzugs in die Zukunft verschoben.
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