17.03.2015

"dual use": Energieerzeugnisse mit zweierlei Verwendungszweck

Wird ein Energieerzeugnis im Rahmen eines Herstellungsprozesses nicht nur als Heizstoff verwendet, sondern sind dessen Verbrennungsgase darüber hinaus zum Abschluss des Herstellungsprozesses erforderlich, liegt ein zweierlei Verwendungszweck i.S.d. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG vor. Dabei kommt es weder auf eine Rangfolge der Verwendungszwecke noch auf ein (zusätzliches) Wesentlichkeitserfordernis an (Modifizierung von BFH 28.10.2008, VII R 6/08 unter Berücksichtigung von EuGH 2.10.2014, C-426/12).

BFH 13.1.2015, VII R 35/12
Der Sachverhalt:
Die Klägerin betreibt ein Unternehmen zur Herstellung von Phosphaten. Sie stellte für drei Produktionsprozesse in einem Reaktor, einem Drehrohr und einem Schmelzofen einen Antrag auf Entlastung von der Energiesteuer nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG für die Monate Oktober bis Dezember 2008. Diesen Produktionsprozessen liegt jeweils folgendes Verfahren zur Herstellung von Polyphosphaten zugrunde:

Eine alkalische Phosphatlösung ("Ansatzlauge") erhält direkten Kontakt mit der Flamme eines Erdgasbrenners und dessen heißen Verbrennungsgasen. Hierdurch tritt eine chemische Reaktion ein, bei der die eingesetzte Phosphatlösung in die gewünschten Produkte (verschiedene Phosphattypen) umgewandelt wird (Kondensation). Die restliche Natronlauge wird mit Hilfe des in den Verbrennungsgasen enthaltenen Kohlendioxids aus dem Produkt entfernt (Neutralisation). Dabei entstehen Natriumcarbonate.

Das beklagte Hauptzollamt lehnte den Antrag der Klägerin ab, weil kein weiterer Verwendungszweck als ein Verheizen i.S.d. § 2 Abs. 6 EnergieStG erkennbar sei. Zur Begründung verwies es insbesondere auf die Grundsätze des BGH-Urteils vom 28.10.2008, VII R 6/08. Danach setze eine gleichzeitige Verwendung zu Heizzwecken und zu anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG voraus, dass die Erzeugung thermischer Energie in den Hintergrund trete und das Energieerzeugnis im Rahmen eines industriellen Prozesses oder Verfahrens zugleich als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt werde.

Das FG hob den Ablehnungsbescheid auf und verpflichtete das Hauptzollamt, die beantragte Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG zu gewähren. Die Revision des Hauptzollamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.

Die Gründe:
Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Klägerin ein Anspruch auf eine Steuerentlastung nach § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d EnergieStG zusteht. Diese Entlastung setzt u.a. voraus, dass das Energieerzeugnis "gleichzeitig zu Heizzwecken und zu anderen Zwecken als Heiz- oder Kraftstoff" verwendet worden ist (sog. "dual use" bzw. "zweierlei Verwendungszweck").

Insoweit ist das FG zutreffend davon ausgegangen, dass im Streitfall - zumindest auch - eine Verwendung des Erdgases zu Heizzwecken vorliegt. Die Klägerin verbrennt das Erdgas, um thermische Energie zu erzeugen und damit die prozessbedingt erforderlichen Temperaturen zu erreichen. Dass letztlich eine Umwandlung der eingesetzten Orthophosphate bezweckt wird, ist für den Begriff des Verheizens i.S.d. für das Streitjahr geltenden Fassung des § 2 Abs. 6 EnergieStG unerheblich. Im Streitfall ist auch die für die Steuerentlastung maßgebliche Voraussetzung der gleichzeitigen Verwendung des Energieerzeugnisses zu anderen Zwecken als als Heiz- oder Kraftstoff erfüllt. Eine nähere Bestimmung der Begriffe "gleichzeitig" und "zu anderen Zwecken" fehlt sowohl im EnergieStG als auch in der EnergieStRL.

Der Senat hatte hierzu entschieden, dass eine Begünstigung nur dann in Betracht komme, wenn die Erzeugung thermischer Energie in den Hintergrund trete und das Energieerzeugnis im Rahmen eines industriellen Prozesses oder Verfahrens zugleich als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff eingesetzt werde (BFH 28.10.2008, VII R 6/08). Demgegenüber hat der EuGH für die Produktion von Zucker geurteilt, ein "zweierlei Verwendungszweck" liege vor, wenn in dem Produktionsprozess zum einen Kohle als Heizstoff und zum anderen das bei der Verbrennung dieses Energieerzeugnisses entstehende Kohlendioxid verwendet werde, sofern feststehe, dass der Produktionsprozess nicht ohne den Einsatz dieses Kohlendioxids zu Ende geführt werden könne (EuGH 2.10.2014, C 426/12). Nicht ausreichend sei es, wenn ein Rückstand aus dem Produktionsprozess des Zuckers zur Herstellung eines landwirtschaftlichen Düngemittels verwertet werde. Der Senat schließt sich der Auffassung des EuGH an.

Entgegen der Auffassung des Hauptzollamts folgt daraus eine Modifizierung der vom BFH in der zitierten Entscheidung vorgenommenen Bestimmung des Begriffs "zweierlei Verwendungszweck". Dies betrifft insbesondere die Formulierung, dass die Erzeugung thermischer Energie in den Hintergrund treten müsse. Ein solches Kriterium lässt sich weder aus der EnergieStRL noch aus den nationalen Vorschriften ableiten. Der EuGH hat für die Auslegung des Begriffs "zweierlei Verwendungszweck" in der EnergieStRL allein darauf abgestellt, dass der Produktionsprozess ohne den Einsatz der Verbrennungsprodukte des Energieerzeugnisses nicht zu Ende geführt werden kann. Daraus lässt sich weder eine Rangfolge der Zwecke noch die (zusätzliche) Voraussetzung einer wesentlichen Verwendung der Verbrennungsprodukte herleiten. Vielmehr kam es dem EuGH (nur) darauf an, ob die Verbrennungsprodukte für den Abschluss des Produktionsprozesses erforderlich sind.

Auch aus den nationalen Vorschriften lassen sich weder eine Rangfolge der Zwecke noch die (zusätzliche) Voraussetzung einer wesentlichen Verwendung des erzeugten Kohlendioxids ableiten. Unter Berücksichtigung des bezeichneten EuGH-Urteils ist darüber hinaus in denjenigen Fällen, in denen es um die Nutzung der Verbrennungsgase für andere Zwecke als als Heizzweck geht, der Einsatz des Energieerzeugnisses als Roh-, Grund- oder Hilfsstoff zur Bearbeitung oder Herstellung eines anderen Produkts kein entscheidungserhebliches Kriterium mehr. Vielmehr kommt es allein darauf an, ob das Energieerzeugnis selbst oder dessen Verbrennungsprodukte für den Abschluss des Produktionsprozesses erforderlich sind. Schließlich ergibt sich aus der EuGH-Entscheidung, dass ein "zweierlei Verwendungszweck" keine streng zeitgleiche Verwendung voraussetzt.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext zu kommen, klicken Sie bitte hier.
BFH online
Zurück