27.02.2025

Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit bei Zwangsversteigerung eines Grundstücks durch einen absonderungsberechtigten Grundpfandgläubiger

1. Der Eigentumsverlust aufgrund einer Zwangsversteigerung ist als Veräußerungsvorgang im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes zu werten.
2. Wird ein zur Insolvenzmasse gehörendes und mit einem Absonderungsrecht belastetes Grundstück nach Insolvenzeröffnung auf Betreiben eines Grundpfandgläubigers ohne Zutun des Insolvenzverwalters versteigert und durch die Zwangsversteigerung ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn ausgelöst, ist die auf den Gewinn entfallende Einkommensteuer eine "in anderer Weise" durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründete Masseverbindlichkeit im Sinne von § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung. Dies gilt auch dann, wenn das Grundstück bereits vor der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zwangsvollstreckungsrechtlich beschlagnahmt war.

Kurzbesprechung
BFH v. 12.11.2024 - IX R 6/24

EStG § 23 Abs 1 S 1 Nr. 1, EStG § 22 Nr. 2
InsO § 49, InsO § 55 Abs 1 Nr. 1 Alt 2, InsO § 35 Abs 1, InsO § 38, InsO § 80 Abs 2 S 2
ZVG § 22, ZVG § 81 Abs 1, ZVG § 90 Abs 1, ZVG § 20 Abs 1


Streitig war das Vorliegen eines privaten Veräußerungsgeschäfts (§ 23 EStG) und die Einordnung der daraus folgenden Einkommensteuer als Masseverbindlichkeit nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 der Insolvenzordnung (InsO).

Der Kläger ist Insolvenzverwalter im Insolvenzverfahren des Insolvenzschuldners. Der Insolvenzschuldner war seit November 2012 Eigentümer einer Eigentumswohnung. Aufgrund von Steuerrückständen beantragte das FA aus einer auf diesem Grundstück eingetragenen Zwangshypothek die Zwangsversteigerung beim zuständigen Amtsgericht (AG). Der Antrag auf Zwangsversteigerung wurde im Dezember 2018 vom AG positiv beschieden.

Über das Vermögen des Insolvenzschuldners wurde im Mai 2020 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt. Mit Zuschlagsbeschluss des AG im November 2020 wurde die Eigentumswohnung aufgrund eines Bargebots veräußert. Es ergab sich ein zwischen den Beteiligten unstreitiger Veräußerungsgewinn.

Das FA vertrat die Auffassung, es handele sich bei der auf diesen Veräußerungsgewinn entfallenden Einkommensteuer um eine Masseverbindlichkeit im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO und erließ einen an den Kläger gerichteten Einkommensteuerbescheid für 2020 mit entsprechender Besteuerung des nach § 23 EStG erzielten Veräußerungsgewinns. Nachdem das FG der eingelegten Klage stattgegeben hatte, hob der BFH im Revisionsverfahren die Entscheidung der Vorinstanz auf und wies die Klage ab.

1. Steuerpflichtige Veräußerung nach § 23 EStG

Unter eine nach § 23 EStG steuerpflichtige Veräußerung fallen nicht nur Kaufverträge, sondern auch wirtschaftlich gleichzustellende Vorgänge, da nach Sinn und Zweck des § 23 EStG realisierte Wertveränderungen eines bestimmten Wirtschaftsguts im Privatvermögen des Steuerpflichtigen der Einkommensteuer unterworfen werden sollen, soweit sie auf der entgeltlichen Anschaffung und der entgeltlichen Veräußerung des nämlichen Wirtschaftsguts innerhalb der maßgeblichen Haltefrist beruhen.

Der entgeltliche Erwerb - die Anschaffung - und die entgeltliche Übertragung des nämlichen Wirtschaftsguts auf eine andere Person - die Veräußerung - müssen wesentlich vom Willen des Steuerpflichtigen abhängen und mithin Ausdruck einer "wirtschaftlichen Betätigung" sein. An einem willentlichen Erwerb beziehungsweise einer willentlichen Übertragung auf eine andere Person fehlt es, wenn - wie im Fall einer Enteignung oder Umlegung - die Begründung oder der Verlust des Eigentums am Grundstück ohne maßgeblichen Einfluss des Steuerpflichtigen stattfindet. Von der Enteignung oder Umlegung sind jedoch die Fälle einer Veräußerung unter Zwang zu unterscheiden, weil es für die Annahme eines privaten Veräußerungsgeschäfts nicht darauf ankommt, aus welchem Beweggrund die Veräußerung erfolgt.

Eine dahingehende willentliche wirtschaftliche Betätigung als Merkmal eines Anschaffungs- und Veräußerungsgeschäfts im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ist auch der Übertragung eines Grundstücks im Wege der Zwangsversteigerung beizumessen. Die Abgabe des Meistgebots entspricht  -anders als die vorangegangene Beschlagnahme im Sinne von § 22 des Gesetzes über die Zwangsversteigerung und die Zwangsverwaltung (ZVG) - in ihrer Wirkung wirtschaftlich dem Abschluss eines schuldrechtlichen Kaufvertrags über ein Grundstück. Dadurch erwirbt der Meistbietende nach § 81 Abs. 1, § 90 Abs. 1 ZVG den Anspruch, dass ihm das Eigentum an dem versteigerten Grundstück durch Zuschlagsbeschluss des Versteigerungsgerichts übertragen wird. Dabei ist der Meistbietende an sein Angebot gebunden und wird durch den nachfolgenden Zuschlag (originär) Eigentümer des Grundstücks (§ 90 Abs. 1 ZVG). Umgekehrt verliert in der Folge der Wirksamkeit des Zuschlags der Vollstreckungsschuldner das Eigentum an dem Grundstück.

Die Übertragung eines Grundstücks in der Folge einer Zwangsversteigerung lässt eine willentliche wirtschaftliche Betätigung des Steuerpflichtigen nicht entfallen und ist nicht mit dem Eigentumsverlust in der Folge einer Enteignung vergleichbar. Dafür spricht, dass der Grundstückseigentümer und Vollstreckungsschuldner - anders als im Fall der Enteignung - den Eigentumsverlust durch Befriedigung des die Zwangsversteigerung betreibenden Gläubigers abwenden kann. Ob er dazu wirtschaftlich in der Lage ist, spielt keine Rolle. Zudem steht dem Eigentümer nach § 30a ZVG das Recht zu, eine einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung zu beantragen, um dadurch eine Fortführung der Zwangsversteigerung zu verhindern. Dies stellt nach Auffassung des BFH eine hinreichende Grundlage dafür dar, eine Grundstücksübertragung in der Folge eines Zwangsversteigerungsverfahrens durch Meistgebot und Zuschlagsbeschluss als Veräußerungsvorgang im Sinne des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG zu werten. An die Stelle des Veräußerungspreises tritt der Versteigerungserlös in Gestalt des Meistgebots.

Für die Berechnung der Veräußerungsfristen ist das obligatorische Anschaffungsgeschäft und nicht der dingliche Vollzug maßgeblich. Dem liegt zugrunde, dass der Steuerpflichtige Werterhöhungen des Wirtschaftsguts innerhalb einer bestimmten Frist schon mit dem Abschluss des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts wirtschaftlich realisiert. Der dingliche Vollzug muss zwar nachfolgen, aber nicht innerhalb der maßgeblichen Fristen. Für den Fall der Zwangsversteigerung ist daher für die Fristberechnung und die Ermittlung des Veräußerungsgewinns oder -verlusts auf die Abgabe des Meistgebots abzustellen. Dieses ermöglicht die Ermittlung der Wertsteigerung oder des Wertverlusts. Der dem Meistgebot nachfolgende Zuschlag ist hingegen ein staatlicher Hoheitsakt, durch den nach § 90 Abs. 1 ZVG der (dingliche) Eigentumsübergang bewirkt wird.

Im Streitfall waren daher die Voraussetzungen des § 23 EStG erfüllt. Denn die Anschaffung der Eigentumswohnung erfolgte im November 2012 und die Abgabe des Meistgebots im Zwangsversteigerungsverfahren im November 2020, so dass der Zeitraum zwischen Anschaffung und Veräußerung nicht mehr als 10 Jahre betrug.

2. Masseverbindlichkeit

Der Kläger schuldete nach § 55 Abs. 1 Nr. 1 Alternative 2 InsO als Insolvenzverwalter die auf das private Veräußerungsgeschäft entfallende Einkommensteuer, da es sich um eine Masseverbindlichkeit handelt.

Da im Streitfall die Veräußerung der Eigentumswohnung durch Meistgebot nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgte und damit (erst) zu diesem Zeitpunkt alle Tatbestandsvoraussetzungen des Besteuerungstatbestands des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr.1 EStG erfüllt waren, handelt es sich um eine Masseverbindlichkeit und nicht um eine Insolvenzforderung. Zwar war der Besteuerungstatbestand nicht durch eine Veräußerung des Klägers als Insolvenzverwalter selbst, sondern durch das Verhalten eines absonderungsberechtigten Gläubigers - des FA - ausgelöst worden, der aus seinem Grundpfandrecht die Vollstreckung betrieb. Erst mit dem Zuschlag an den Meistbietenden kam es zum Eigentumsübergang (vgl. § 90 Abs. 1 ZVG). Damit endete die Zugehörigkeit zur Insolvenzmasse. Die Einkommensteuerschuld betreffend die Einkünfte aus einem privaten Veräußerungsgeschäft ist daher "in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse" begründet worden. Die Einkommensteuerschuld gehört auch nicht zu den Kosten des Insolvenzverfahrens im Sinne des § 54 InsO.
Verlag Dr. Otto Schmidt