03.03.2022

Einkommensteuerliche Berücksichtigung von Zahlungen zur Wiederauffüllung einer Rentenanwartschaft

1. Leistet der Steuerpflichtige nach der Scheidung eine Zahlung, mit der er seine infolge des Versorgungsausgleichs geminderte Rentenanwartschaft wiederauffüllt, um den Zufluss seiner Alterseinkünfte in ungeschmälerter Höhe zu sichern, so handelt es sich ihrer Rechtsnatur nach um vorweggenommene Werbungskosten.
2. Die Wiederauffüllungszahlung kann jedoch nur als Sonderausgabe abgezogen werden, wenn sie als Beitrag i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG anzusehen ist.
3. Unabhängig von der Verwendung des Beitragsbegriffs im Recht des jeweili­gen Versorgungssystems ist bei der Frage, ob eine Zahlung in den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG fällt, stets die einkommensteuerrechtliche Qualifizierung entscheidend.
4. Im Hinblick auf (spätere) Leibrenten und andere Leistungen, die von einer Einrichtung der Basisversorgung erbracht werden, unterscheidet das EStG ausschließlich zwischen der Ebene der Beiträge (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und der Ebene der Leistungen (vgl. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG). Daher stellt jede im jeweiligen Versor­gungssystem vorgesehene Geldleistung des Steuerpflichtigen, die an eine in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG genannte Einrichtung für Zwecke der Basisversorgung erbracht wird, einen Beitrag im Sinne dieser Vorschrift dar.

Kurzbesprechung
BFH v. 19.8.2021 - X R 4/19

EStG § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a, § 10 Abs. 3, § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa, FGO § 68 Satz 1, § 121 Satz 1, § 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, SGB VI § 187 Abs. 1 Nr. 1

Der Kläger war angestellter Rechtsanwalt. Nach seiner Ehescheidung leistete er an sein Versorgungswerk Zahlungen zur Wiederauffüllung seiner im Rahmen der internen Teilung verminderten Rentenanwartschaften. Diese machte er als vorweggenommene Werbungskosten geltend. Demgegenüber berücksichtige das FA die Zahlungen nur beschränkt als Sonderausgaben.

Der BFH wies im Ergebnis die Klage ab.

Das FG hat zu Recht entschieden, dass die vom Kläger im Streitjahr an das Versorgungswerk geleistete Zahlung ihrer Rechtsnatur nach zu den vorweggenommenen Werbungskosten bei den sonstigen Einkünften zählt, da sie Kürzungen der nach § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG zu versteuernden Altersrente des Klägers vermeidet.

Die Zahlung unterfällt allerdings § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG und kann daher nur als Sonderausgabe steuerlich berücksichtigt werden. Für die Beurteilung einer Geldleistung als Beitrag i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG ist nicht die formale Bezeichnung im Recht des jeweiligen Versorgungssystems, sondern die steuerrechtliche Qualifizierung entscheidend. Die Anknüpfung an den Begriff des "Beitrags" im Recht des jeweiligen Versorgungssystems führt regelmäßig zugleich zu einer entsprechenden steuerrechtlichen Bewertung. Wird in einem Versorgungssystem eine andere Bezeichnung für eine Zahlung gewählt, ist eine einkommensteuerrechtliche Qualifizierung notwendig. Im Hinblick auf (spätere) Leibrenten und andere Leistungen, die von einer Einrichtung der Basisversorgung erbracht werden, unterscheidet das EStG ausschließlich zwischen der Ebene der Beiträge (vgl. § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG) und der Ebene der Leistungen (vgl. § 22 Nr. 1 Satz 3 Buchst. a Doppelbuchst. aa EStG). Hiernach stellt jede im jeweiligen Versorgungssystem vorgesehene Geldleistung des Steuerpflichtigen, die an eine in § 10 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a EStG genannte Einrichtung für Zwecke der Basisversorgung erbracht wird, einen Beitrag im Sinne dieser Vorschrift dar.

Eine andere Auslegung ist auch im Hinblick auf das vom Kläger geltend gemachte Verbot der doppelten Besteuerung nicht geboten. Nach der Senatsrechtsprechung kann eine ‑‑grundsätzlich unzulässige‑‑ doppelte Besteuerung von Altersvorsorgeaufwendungen und Altersbezügen nicht bereits in der Beitrags- bzw. Ansparphase gerügt werden, sondern erst in den Veranlagungszeiträumen, in denen die Altersbezüge der Besteuerung unterworfen werden.

Die Abziehbarkeit der streitgegenständlichen Wiederauffüllungszahlung als Sonderausgabe steht im Einklang mit der bisherigen Senatsrechtsprechung, die auf Wiederauffüllungszahlungen der vorliegenden Art nicht erweitert werden kann. Der Senat hat darauf hingewiesen, dass die gesetzliche Zuweisung bestimmter Aufwendungen zu den Sonderausgaben tatsächlich nur die Beiträge an den jeweiligen Versor­gungsträger, nicht etwa sonstige Aufwendungen, die nicht zu den in § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG genannten Beiträgen gehörten, betreffe. Sie bedinge nicht, dass sämtliche Aufwendungen im Zusammenhang mit den Einkünften aus § 22 EStG nur noch Sonderausgaben sein könnten, und führe erst recht nicht dazu, dass Aufwendungen, die keine Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 2 EStG seien, auch keine Werbungskosten und damit überhaupt nicht mehr ab­ziehbar wären. Für einen derartigen vollständigen Ausschluss des Werbungs­kostenabzugs bedürfte es, wenn er überhaupt verfassungsrechtlich zulässig wäre, einer gesetzlichen Grundlage, die nicht existiert.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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