Einkünfte aus Kapitalvermögen und deren Zufluss bei gespaltener Gewinnverwendung
BFH v. 28.9.2021 - VIII R 25/19
Der Sachverhalt:
Der Kläger war im Streitjahr 2012 geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter verschiedener zu einer Firmengruppe gehörender GmbH, deren Satzungsbestimmungen zur Gewinnverteilung identisch waren. Sie sahen vor, dass der auszuschüttende Gewinn grundsätzlich nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile auf die Gesellschafter zu verteilen war. Allerdings konnte die Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit eine abweichende Gewinnausschüttung beschließen. Wurde der Gewinn eines Gesellschafters nicht ausgeschüttet, war dieser nach der jeweiligen Satzung dem Gesellschafter auf einem personenbezogenen Rücklagenkonto gutzuschreiben. Der betroffene Gesellschafter musste dieser Regelung zustimmen. Auf dem personenbezogenen Rücklagenkonto befindliche Gewinne konnten zu einem späteren Zeitpunkt an diesen Gesellschafter ausgeschüttet werden. Hierüber entschied die Gesellschafterversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit.
Für 23 jener GmbH, die teilweise ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr hatten, stellten die Gesellschafter im Streitjahr die Jahresabschlüsse 2011 bzw. 2011/2012 fest und entschieden über die Verwendung und Verteilung der jeweiligen Bilanzgewinne. Hierzu stellten sie zunächst die Höhe der jeweils ausschüttbaren Gewinne fest. Im Weiteren beschlossen sie, dass die der jeweiligen Beteiligungshöhe entsprechenden Gewinnanteile der Minderheitsgesellschafter an diese ausgeschüttet wurden. Die ebenfalls der Beteiligungshöhe entsprechenden Anteile des Klägers am Gewinn wurden hingegen "nicht ausgeschüttet und den personenbezogenen Rücklagen zugeführt". In den Jahresabschlüssen wurden diese Rücklagen als Gewinnrücklagen im Eigenkapital der jeweiligen Gesellschaft ausgewiesen. Das Finanzamt war der Meinung, dem Kläger seien damit Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.
Die Gründe:
Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass dem Kläger mit der Einstellung seiner anteiligen Gewinne in die personenbezogenen Gewinnrücklagen Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen sind.
Entscheiden die Gesellschafter im Rahmen der Gewinnverwendung, dass der Gewinn insgesamt oder zum Teil thesauriert wird, kann dieser in eine (allgemeine) Gewinnrücklage eingestellt oder als Gewinn vorgetragen werden (§ 29 Abs. 2 GmbHG). Die Gesellschafter einer GmbH können im Rahmen der Gewinnverwendung auch beschließen, dass nur die Anteile bestimmter Gesellschafter am Gewinn ausgeschüttet werden, während die Anteile anderer Gesellschafter am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in gesellschafterbezogene Gewinnrücklagen eingestellt werden.
Derart gespaltene Gewinnverwendungen sind gesellschaftsrechtlich zulässig, wenn sie nach der Satzung der GmbH möglich sind und die Gesellschafter wirksam einen entsprechenden Beschluss fassen. Ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ist - ebenso wie eine zivilrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommene inkongruente Gewinnausschüttung in Gestalt einer anteilsabweichenden Verteilung des Gewinns (inkongruente Gewinnverteilung) - grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen.
Auch ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO liegt nicht vor. Die Tatsache, dass Ausschüttungen an alle Gesellschafter möglich gewesen wären, genügt nicht, um den zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen die steuerliche Anerkennung zu versagen. Die partiellen Gewinnthesaurierungen dienen der Innen- bzw. Selbstfinanzierung und beruhen auf anzuerkennenden wirtschaftlichen Gründen. Es ist weder untypisch noch unangemessen, dass Gesellschafter unterschiedliche Interessen an der Ausschüttung von Gewinnen haben und die Gesellschafterversammlung demgemäß entscheidet, dass nur bestimmte Gesellschafter Ausschüttungen erhalten, während der Gewinn im Übrigen vorerst einbehalten wird.
Danach führt ein gesellschaftsrechtlich zulässiger und steuerlich anzuerkennender Beschluss über die gespaltene bzw. inkongruente Gewinnverwendung nicht zur Gewinnausschüttung an den Gesellschafter, dessen Anteil am Gewinn thesauriert wird, und insoweit auch nicht zum Zufluss eines Gewinnanteils i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Die Einstellung des auf den Kläger entfallenden Anteils am Gewinn in seine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt - ungeachtet seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter - nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. Dies folgt bereits daraus, dass auch bei einem beherrschenden Gesellschafter wie dem Kläger der Beschluss, den Gewinn im Eigenkapital in einer gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage zu thesaurieren, zur Folge hat, dass er insoweit keinen Gewinnanteil i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG bezieht. Denn trotz seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter und obgleich für einen erneuten Gewinnverwendungsbeschluss über die Ausschüttung des thesaurierten Betrags nur eine einfache Stimmenmehrheit erforderlich ist, kann der Kläger nicht sicher sein, dass er die Ausschüttung der in seinen Rücklagenkonten thesaurierten Gewinne zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich durchzusetzen vermag, da die Realisierung der Ausschüttung aus der personenbezogenen Gewinnrücklage im Verlustfall unmöglich werden kann.
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Der Kläger war im Streitjahr 2012 geschäftsführender Mehrheitsgesellschafter verschiedener zu einer Firmengruppe gehörender GmbH, deren Satzungsbestimmungen zur Gewinnverteilung identisch waren. Sie sahen vor, dass der auszuschüttende Gewinn grundsätzlich nach dem Verhältnis der Geschäftsanteile auf die Gesellschafter zu verteilen war. Allerdings konnte die Gesellschafterversammlung mit einfacher Mehrheit eine abweichende Gewinnausschüttung beschließen. Wurde der Gewinn eines Gesellschafters nicht ausgeschüttet, war dieser nach der jeweiligen Satzung dem Gesellschafter auf einem personenbezogenen Rücklagenkonto gutzuschreiben. Der betroffene Gesellschafter musste dieser Regelung zustimmen. Auf dem personenbezogenen Rücklagenkonto befindliche Gewinne konnten zu einem späteren Zeitpunkt an diesen Gesellschafter ausgeschüttet werden. Hierüber entschied die Gesellschafterversammlung mit einfacher Stimmenmehrheit.
Für 23 jener GmbH, die teilweise ein vom Kalenderjahr abweichendes Wirtschaftsjahr hatten, stellten die Gesellschafter im Streitjahr die Jahresabschlüsse 2011 bzw. 2011/2012 fest und entschieden über die Verwendung und Verteilung der jeweiligen Bilanzgewinne. Hierzu stellten sie zunächst die Höhe der jeweils ausschüttbaren Gewinne fest. Im Weiteren beschlossen sie, dass die der jeweiligen Beteiligungshöhe entsprechenden Gewinnanteile der Minderheitsgesellschafter an diese ausgeschüttet wurden. Die ebenfalls der Beteiligungshöhe entsprechenden Anteile des Klägers am Gewinn wurden hingegen "nicht ausgeschüttet und den personenbezogenen Rücklagen zugeführt". In den Jahresabschlüssen wurden diese Rücklagen als Gewinnrücklagen im Eigenkapital der jeweiligen Gesellschaft ausgewiesen. Das Finanzamt war der Meinung, dem Kläger seien damit Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage statt.
Die Gründe:
Das FG hat rechtsfehlerhaft angenommen, dass dem Kläger mit der Einstellung seiner anteiligen Gewinne in die personenbezogenen Gewinnrücklagen Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG zugeflossen sind.
Entscheiden die Gesellschafter im Rahmen der Gewinnverwendung, dass der Gewinn insgesamt oder zum Teil thesauriert wird, kann dieser in eine (allgemeine) Gewinnrücklage eingestellt oder als Gewinn vorgetragen werden (§ 29 Abs. 2 GmbHG). Die Gesellschafter einer GmbH können im Rahmen der Gewinnverwendung auch beschließen, dass nur die Anteile bestimmter Gesellschafter am Gewinn ausgeschüttet werden, während die Anteile anderer Gesellschafter am Gewinn nicht ausgeschüttet, sondern in gesellschafterbezogene Gewinnrücklagen eingestellt werden.
Derart gespaltene Gewinnverwendungen sind gesellschaftsrechtlich zulässig, wenn sie nach der Satzung der GmbH möglich sind und die Gesellschafter wirksam einen entsprechenden Beschluss fassen. Ein zivilrechtlich wirksamer Gesellschafterbeschluss, nach dem die Gewinnanteile von Minderheitsgesellschaftern ausgeschüttet werden, der auf den Mehrheitsgesellschafter gemäß seiner Beteiligung entfallende Anteil am Gewinn hingegen nicht ausgeschüttet, sondern in eine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage eingestellt wird, ist - ebenso wie eine zivilrechtlich ordnungsgemäß zustande gekommene inkongruente Gewinnausschüttung in Gestalt einer anteilsabweichenden Verteilung des Gewinns (inkongruente Gewinnverteilung) - grundsätzlich auch steuerlich anzuerkennen.
Auch ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten i.S.d. § 42 AO liegt nicht vor. Die Tatsache, dass Ausschüttungen an alle Gesellschafter möglich gewesen wären, genügt nicht, um den zivilrechtlich wirksamen Gesellschafterbeschlüssen die steuerliche Anerkennung zu versagen. Die partiellen Gewinnthesaurierungen dienen der Innen- bzw. Selbstfinanzierung und beruhen auf anzuerkennenden wirtschaftlichen Gründen. Es ist weder untypisch noch unangemessen, dass Gesellschafter unterschiedliche Interessen an der Ausschüttung von Gewinnen haben und die Gesellschafterversammlung demgemäß entscheidet, dass nur bestimmte Gesellschafter Ausschüttungen erhalten, während der Gewinn im Übrigen vorerst einbehalten wird.
Danach führt ein gesellschaftsrechtlich zulässiger und steuerlich anzuerkennender Beschluss über die gespaltene bzw. inkongruente Gewinnverwendung nicht zur Gewinnausschüttung an den Gesellschafter, dessen Anteil am Gewinn thesauriert wird, und insoweit auch nicht zum Zufluss eines Gewinnanteils i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG. Die Einstellung des auf den Kläger entfallenden Anteils am Gewinn in seine gesellschafterbezogene Gewinnrücklage führt - ungeachtet seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter - nicht zum Zufluss von Kapitalerträgen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1, § 11 Abs. 1 Satz 1 EStG. Dies folgt bereits daraus, dass auch bei einem beherrschenden Gesellschafter wie dem Kläger der Beschluss, den Gewinn im Eigenkapital in einer gesellschafterbezogenen Gewinnrücklage zu thesaurieren, zur Folge hat, dass er insoweit keinen Gewinnanteil i.S.d. § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 EStG bezieht. Denn trotz seiner Stellung als beherrschender Gesellschafter und obgleich für einen erneuten Gewinnverwendungsbeschluss über die Ausschüttung des thesaurierten Betrags nur eine einfache Stimmenmehrheit erforderlich ist, kann der Kläger nicht sicher sein, dass er die Ausschüttung der in seinen Rücklagenkonten thesaurierten Gewinne zu einem späteren Zeitpunkt tatsächlich durchzusetzen vermag, da die Realisierung der Ausschüttung aus der personenbezogenen Gewinnrücklage im Verlustfall unmöglich werden kann.
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