26.09.2024

Ermittlung des Dotationskapitals einer inländischen Versicherungsbetriebsstätte

1. § 25 Abs. 3 Satz 2 der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung (BsGaV) ist nur im Rahmen der "Öffnungsklausel" nach § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV anwendbar und gilt nicht für die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für inländische Versicherungsbetriebsstätten nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV (entgegen Rz 320 des Schreibens des Bundesministeriums der Finanzen vom 22.12.2016, BStBl I 2017, 182 [Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung ‑‑VwG BsGa‑‑]). § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV lässt sich damit kein allgemeiner Grundsatz entnehmen, wonach das Mindesteigenkapital, das ein selbständiges Versicherungsunternehmen in der Situation der Versicherungsbetriebsstätte im Inland versicherungsaufsichtsrechtlich ausweisen muss, durch die inländische Versicherungsbetriebsstätte nicht unterschritten werden darf.
2. Werden Abrechnungsforderungen nach aufsichtsrechtlichen Vorschriften als bedeckungsfähige Vermögenswerte behandelt, können sie nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BsGaV in die Aufteilung für steuerliche Zwecke mit einbezogen werden.
3. Von einer "erheblichen Veränderung" im Sinne des § 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 6 BsGaV ist jedenfalls dann auszugehen, wenn das Dotationskapital zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahres um 29,75 % von demjenigen zu Beginn des Wirtschaftsjahres abweicht (entgegen Rz 322 VwG BsGa).

Kurzbesprechung
BFH v. 5.6.2024 - I R 3/22

AStG § 1 Abs 5, § 1 Abs 6
BsGaV § 12 Abs 1, § 12 Abs 4, § 12 Abs 6, § 25 Abs 1, § 25 Abs 2, § 25 Abs 3, § 25 Abs 5


Die Steuerpflichtige, eine im EU-Ausland ansässige Aktiengesellschaft mit einer inländischen Zweigniederlassung, betreibt das Rückversicherungsgeschäft sowohl im Lebens- als auch im Nichtlebensbereich. Die für die inländische Versicherungsbetriebsstätte eingereichte Körperschaftsteuererklärung für das Streitjahr 2015 wies das Dotationskapital und indirekt zuzuordnende Kapitalerträge aus. Die Berechnung erfolgte nach der modifizierten Kapitalaufteilungsmethode (§ 25 Abs. 1 und 2 der Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung ‑‑BsGaV‑‑ vom 13.10.2014, BGBl I 2014, 1603, BStBl I 2014, 1378), wobei die Kapitalerträge nach § 27 Abs. 2 BsGaV zugeordnet wurden.

Die Steuerpflichtige wies gegenüber dem FA ausdrücklich darauf hin, dass ihre Berechnungsweise den dazu von der Finanzverwaltung aufgestellten Grundsätzen (BMF - Schreiben v. 22.12.2016, BStBl I 2017, 182, Verwaltungsgrundsätze Betriebsstättengewinnaufteilung ‑‑VwG BsGa‑‑, dort Rz 320) widerspreche.

Das FA vertritt die Auffassung, dass im Streitfall die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode nicht zur Anwendung kommen dürfe, da sie zu einem negativen Dotationskapital führe. Anzuwenden sei die Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten nach § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV. Dazu errechnete es das fiktive aufsichtsrechtliche Mindestkapital nach den Vorschriften der sogenannten Kapitalausstattungs-Verordnung zum 31.01.2016. In Höhe des Unterschiedsbetrages zwischen dem von der Steuerpflichtigen erklärten und dem vom FA ermittelten Dotationskapital rechnete es der Steuerpflichtigen zudem Vermögenswerte zur Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals indirekt zu (§ 25 Abs. 4 BsGaV). Die zusätzlich zuzurechnenden Erträge aus den Kapitalanlagen ermittelte es, indem es auf die gesamten indirekt zuzurechnenden Kapitalanlagen (§ 27 Abs. 2 BsGaV) die Durchschnittsverzinsung im Gesamtunternehmen von 3,563 % ansetzte. Daraus ergaben sich gegenüber den von der Klägerin erklärten Erträgen zusätzliche Erträge.

Nach erfolglosem Einspruchs - und Klageverfahren gab der BFH der eingelegten Revision statt. Er entschied, dass das Dotationskapital der inländischen Betriebsstätte der Steuerpflichtigen durch die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV ‑ ohne eine Untergrenze durch die Maßgaben der Mindestkapitalausstattungsmethode nach § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV ‑ zu ermitteln ist. Dabei sind die Abrechnungsforderungen aus dem Rückversicherungsgeschäft einzubeziehen und es ist aufgrund einer erheblichen unterjährigen Veränderung der Zuordnung von Vermögenswerten eine Anpassung nach § 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 6 BsGaV in der von der Steuerpflichtigen begehrten Höhe vorzunehmen.

Gemäß § 1 Abs. 5 AStG sind die Absätze 1, 3 und 4 der Vorschrift über die Berichtigung von Einkünften entsprechend anzuwenden, wenn für eine Geschäftsbeziehung im Sinne des § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 AStG die Bedingungen, insbesondere die Verrechnungspreise, die der Aufteilung der Einkünfte zwischen einem inländischen Unternehmen und seiner ausländischen Betriebsstätte oder der Ermittlung der Einkünfte der inländischen Betriebsstätte eines ausländischen Unternehmens steuerlich zugrunde gelegt werden, nicht dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechen und dadurch die inländischen Einkünfte eines beschränkt Steuerpflichtigen gemindert oder die ausländischen Einkünfte eines unbeschränkt Steuerpflichtigen erhöht werden. Zur Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes ist eine Betriebsstätte wie ein eigenständiges und unabhängiges Unternehmen zu behandeln, es sei denn, die Zugehörigkeit der Betriebsstätte zum Unternehmen erfordert eine andere Behandlung (§ 1 Abs. 5 Satz 2 AStG).

Die Einzelheiten des Fremdvergleichsgrundsatzes und Einzelheiten zu dessen einheitlicher Anwendung sowie die Grundsätze zur Bestimmung des Dotationskapitals im Sinne des § 1 Abs. 5 Satz 3 Nr. 4 AStG wurden in der nach Maßgabe des § 1 Abs. 6 AStG ergangenen Betriebsstättengewinnaufteilungsverordnung geregelt, die insoweit hinreichend bestimmt ist und den Vorgaben der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage entspricht.

Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 BsGaV ist danach der inländischen Versicherungsbetriebsstätte in einem ersten Schritt ein Anteil an den Vermögenswerten des ausländischen Versicherungsunternehmens zuzuordnen, die der Bedeckung der versicherungstechnischen Rückstellungen und des Eigenkapitals des ausländischen Versicherungsunternehmens dienen. Der Anteil der Versicherungsbetriebsstätte bemisst sich nach Satz 2 der Vorschrift nach dem Verhältnis der versicherungstechnischen Rückstellungen für Versicherungsverträge, die der inländischen Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnen sind, zu den versicherungstechnischen Rückstellungen, die in der Bilanz des ausländischen Versicherungsunternehmens insgesamt ausgewiesen sind.

Gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 BsGaV sind in einem zweiten Schritt von den nach Absatz 1 zugeordneten Vermögenswerten die versicherungstechnischen Rückstellungen und die aus Versicherungsverhältnissen entstandenen Verbindlichkeiten und Rechnungsabgrenzungsposten abzuziehen, die zu bestimmen sind nach den §§ 341e bis 341h HGB sowie nach der Versicherungsunternehmens-Rechnungslegungsverordnung vom 08.11.1994 (BGBl I 1994, 3378) ‑‑RechVersV‑‑, die zuletzt durch Art. 27 Abs. 9 des AIFM-Umsetzungsgesetzes vom 04.07.2013 (BGBl I 2013, 1981) geändert worden ist, in der jeweils geltenden Fassung. Das Ergebnis ist nach dem Satz 2 der Vorschrift das der inländischen Versicherungsbetriebsstätte zuzuordnende Dotationskapital (modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten).

Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV darf das ausländische Versicherungsunternehmen der inländischen Versicherungsbetriebsstätte ein geringeres Dotationskapital als nach § 25 Abs. 2 BsGaV nur zuordnen, soweit dies zu einem Ergebnis der inländischen Versicherungsbetriebsstätte führt, das im Verhältnis zum übrigen Unternehmen dem Fremdvergleichsgrundsatz aufgrund der ihr zugeordneten Vermögenswerte sowie der ihr zugeordneten Chancen und Risiken besser entspricht. Nach dem Satz 2 der Vorschrift muss die inländische Versicherungsbetriebsstätte mindestens ein Dotationskapital ausweisen, das sie nach versicherungsaufsichtsrechtlichen Grundsätzen als Eigenkapital ausweisen müsste, wenn sie ein rechtlich selbständiges Versicherungsunternehmen wäre (Mindestkapitalausstattungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten).Maßgebend sind insoweit die Verhältnisse zum Beginn eines Wirtschaftsjahres (§ 25 Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 12 Abs. 1, § 3 Abs. 1 Satz 1 BsGaV).

Gemäß § 12 Abs. 6 BsGaV ist das Dotationskapital jedoch innerhalb eines Wirtschaftsjahres anzupassen, sofern sich innerhalb eines Wirtschaftsjahres die Zuordnung von Personalfunktionen, von Vermögenswerten oder von Chancen und Risiken gegenüber den Verhältnissen zu Beginn des Wirtschaftsjahres ändern und zu einer erheblichen Veränderung der Höhe des Dotationskapitals führen.

Soweit das FG der Auffassung der Finanzverwaltung in Rz 320 der VwG BsGa gefolgt war, wonach das Mindesteigenkapital, das ein selbständiges Versicherungsunternehmen in der Situation der Versicherungsbetriebsstätte im Inland versicherungsaufsichtsrechtlich ausweisen müsste, durch die inländische Versicherungsbetriebsstätte nicht unterschritten werden dürfe und § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV auch für die modifizierte Kapitalaufteilungsmethode für Versicherungsbetriebsstätten nach § 25 Abs. 1 und 2 BsGaV gelte, teilt der BFH diese Auffassung nicht. Denn § 25 Abs. 3 Satz 2 BsGaV lässt sich kein solcher "allgemeiner Grundsatz" entnehmen; vielmehr ist diese Regelung nur im Rahmen der sogenannten Öffnungsklausel nach § 25 Abs. 3 Satz 1 BsGaV anwendbar.

Auch die Auffassung des FG, die Abrechnungsforderungen aus dem Rückversicherungsgeschäft seien in die gemäß § 25 Abs. 1 BsGaV zu verteilenden Vermögenswerte einzubeziehen, weil sie nicht in der abschließenden Aufzählung in Rz 315 VwG BsGa (mit Verweis auf das Formblatt I zur RechVersV) benannt seien, hält der BFH für nicht zutreffend.

Letztlich folgte er auch nicht der Rechtsansicht des FG, bei der Bestimmung des Dotationskapitals sei von den Jahresanfangswerten auszugehen und keine unterjährige Anpassung nach § 25 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 12 Abs. 6 BsGaV vorzunehmen, weil die in Rz 322 VwG BsGa angeführte "Abweichungsschwelle" nicht überschritten werde. Soweit nach der dortigen Maßgabe eine "erhebliche Veränderung" erst dann angenommen wird, wenn das Dotationskapital zu Beginn des folgenden Wirtschaftsjahres um mehr als 30 % vom Dotationskapital zu Beginn des Wirtschaftsjahres, mindestens aber um 2 Mio. € abweicht, während im Streitfall zwar die zweitgenannte Grenze überschritten, aber nur eine Abweichung von 29,75 % erreicht worden sei, ist der BFH hieran nicht gebunden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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