Ernstliche Zweifel an der Höhe der Säumniszuschläge
Kurzbesprechung
BFH - Beschluss v. 23.5.2022 - V B 4/22 (AdV)
FGO § 69, § 69 Abs 2 S 2, § 69 Abs 3 S 1
AO § 238, § 240
GG Art 3 Abs 1, Art 19 Abs 4
Bereits der VII. Senat des BFH hatte mit Beschluss vom 31.8.2021 - VII B 69/21 (AdV) (n.V.) ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge auch nach der Entscheidung des BVerfG zur ab 1.1.2019 bestehenden Verfassungswidrigkeit der Vollverzinsung (§ 233a AO) geäußert, soweit Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern sie die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern haben (zinsähnliche Funktion). Soweit nach dem Beschluss des BVerfG hinsichtlich anderer Verzinsungstatbestände zu berücksichtigen sei, dass Steuerpflichtige im Bereich der Teilverzinsungstatbestände grundsätzlich die Wahl hätten, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu günstigeren Konditionen beschafften (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, Rz 243), müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden, welche Bedeutung diesen Überlegungen in Bezug auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO zukomme.
Der V. Senat des BFH teilt insoweit die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO. Denn es ist in Rechtsprechung und überwiegend auch im Schrifttum anerkannt, dass Säumniszuschlägen auch die Funktion einer Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zukommt. Da die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder -widrig sein kann, weil es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gibt, erfassen die ernstlichen Zweifel die gesamte Höhe der Säumniszuschläge. Das Beschwerdeverfahren gegen die AdV der angefochtenen Abrechnungsbescheide ist nicht geeignet, diese Rechtsfragen endgültig zu klären. Die Entscheidung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Der BFH hat im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens keine ernstlichen Zweifel an einem Verstoß des § 240 AO gegen die o.g. unionsrechtlichen Grundsätze. Nach dem Äquivalenzgrundsatz dürfen die verfahrensrechtlichen Modalitäten nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen nationalen Sachverhalten gelten. Diese verfahrensrechtliche Ausprägung der Nichtdiskriminierung wird offensichtlich nicht verletzt, da Säumniszuschläge in gleicher Höhe und ohne Rücksicht darauf anfallen, ob die fällige Steuerschuld auf nationalem Recht oder auf Unionsrecht beruht. Zu Sanktionen wegen Nichtbeachtung von Steuervorschriften ergibt sich aus der EuGH-Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich die Sanktionen wählen können, die ihnen sachgerecht erscheinen.
Derartige Sanktionen dürfen aber nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Sanktion mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, sind u.a. die Art und die Schwere des Verstoßes, der mit dieser Sanktion geahndet werden soll, sowie die Methoden für die Bestimmung der Höhe dieser Sanktion zu berücksichtigen. Danach verstößt die Regelung des § 240 AO jedenfalls im Kontext mit § 227 AO nicht gegen das unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip.
Verlag Dr. Otto Schmidt
FGO § 69, § 69 Abs 2 S 2, § 69 Abs 3 S 1
AO § 238, § 240
GG Art 3 Abs 1, Art 19 Abs 4
Bereits der VII. Senat des BFH hatte mit Beschluss vom 31.8.2021 - VII B 69/21 (AdV) (n.V.) ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der gesetzlich festgelegten Höhe der Säumniszuschläge auch nach der Entscheidung des BVerfG zur ab 1.1.2019 bestehenden Verfassungswidrigkeit der Vollverzinsung (§ 233a AO) geäußert, soweit Säumniszuschlägen nicht die Funktion eines Druckmittels zukommt, sondern sie die Funktion einer Gegenleistung oder eines Ausgleichs für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern haben (zinsähnliche Funktion). Soweit nach dem Beschluss des BVerfG hinsichtlich anderer Verzinsungstatbestände zu berücksichtigen sei, dass Steuerpflichtige im Bereich der Teilverzinsungstatbestände grundsätzlich die Wahl hätten, ob sie den Zinstatbestand verwirklichen oder ob sie die Steuerschuld tilgen und sich im Bedarfsfall die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu günstigeren Konditionen beschafften (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 158, 282, Rz 243), müsse im Hauptsacheverfahren geklärt werden, welche Bedeutung diesen Überlegungen in Bezug auf die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO zukomme.
Der V. Senat des BFH teilt insoweit die ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 240 AO. Denn es ist in Rechtsprechung und überwiegend auch im Schrifttum anerkannt, dass Säumniszuschlägen auch die Funktion einer Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zukommt. Da die gesetzlich festgelegte Höhe der Säumniszuschläge nur insgesamt verfassungsgemäß oder -widrig sein kann, weil es keine Teilverfassungswidrigkeit in Bezug auf einen bestimmten Zweck einer Norm gibt, erfassen die ernstlichen Zweifel die gesamte Höhe der Säumniszuschläge. Das Beschwerdeverfahren gegen die AdV der angefochtenen Abrechnungsbescheide ist nicht geeignet, diese Rechtsfragen endgültig zu klären. Die Entscheidung muss dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Der BFH hat im Rahmen der summarischen Prüfung des Aussetzungsverfahrens keine ernstlichen Zweifel an einem Verstoß des § 240 AO gegen die o.g. unionsrechtlichen Grundsätze. Nach dem Äquivalenzgrundsatz dürfen die verfahrensrechtlichen Modalitäten nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen nationalen Sachverhalten gelten. Diese verfahrensrechtliche Ausprägung der Nichtdiskriminierung wird offensichtlich nicht verletzt, da Säumniszuschläge in gleicher Höhe und ohne Rücksicht darauf anfallen, ob die fällige Steuerschuld auf nationalem Recht oder auf Unionsrecht beruht. Zu Sanktionen wegen Nichtbeachtung von Steuervorschriften ergibt sich aus der EuGH-Rechtsprechung, dass die Mitgliedstaaten grundsätzlich die Sanktionen wählen können, die ihnen sachgerecht erscheinen.
Derartige Sanktionen dürfen aber nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung der Ziele erforderlich ist, die genaue Erhebung der Steuer sicherzustellen und Steuerhinterziehungen zu verhindern. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine Sanktion mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar ist, sind u.a. die Art und die Schwere des Verstoßes, der mit dieser Sanktion geahndet werden soll, sowie die Methoden für die Bestimmung der Höhe dieser Sanktion zu berücksichtigen. Danach verstößt die Regelung des § 240 AO jedenfalls im Kontext mit § 227 AO nicht gegen das unionsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip.