Ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte
FG Münster v. 13.6.2024 - 6 V 252/24 E
Der Sachverhalt:
Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung der zusammenveranlagten Antragsteller für das Jahr 2022 setzte das Finanzamt die von den Antragstellern erklärten Gewinne aus Stillhalterprämien und Termingeschäften in voller Höhe an und berücksichtigte zugleich die geltend gemachten Verluste aus Termingeschäften nur bis zu einer Höhe von jeweils 20.000 €. Die verbleibenden, im Jahr 2022 nicht verrechenbaren Verluste wurden gesondert festgestellt. Gegen den Einkommensteuerbescheid legten die Antragsteller Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren wurde im Hinblick auf ein zum damaligen Zeitpunkt beim FG Berlin-Brandenburg anhängiges Klageverfahren (dortiges Az.: 10 K 1091/23) ruhend gestellt. Die zugleich von den Antragstellern beantragte Aussetzung der Vollziehung lehnte das Finanzamt mit Verweis auf die geltende Rechtslage ab.
Das FG hat dem von den Antragstellern im Anschluss gestellten gerichtlichen Aussetzungsantrag stattgegeben, soweit er die Beschränkung des Verlustausgleichs bei Termingeschäften auf 20.000 € betraf. Das FG hat die Beschwerde zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Zunächst kann dahinstehen, ob für die Aussetzung der Vollziehung bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsnorm ein besonderes Interesse der Antragsteller an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als Zulässigkeitsvoraussetzung erforderlich ist. Denn die Interessenabwägung fällt eindeutig zugunsten der Antragsteller aus: Sowohl die Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte als auch die Konsequenzen der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für die Antragsteller - nämlich die Besteuerung von Gewinnen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung tatsächlich gar nicht erzielt worden sind - sind erheblich. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte.
Auch bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung gem. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 (im Anschluss an FG Rheinland-Pfalz v. 5.12.2023 - 1 V 1674/23). Danach dürfen Verluste aus Termingeschäften nur in Höhe von 20.000 € mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Einkünften aus Stillhalterprämien verrechnet werden; nicht verrechnete Verlust dürfen je Folgejahr ebenfalls nur bis zur Höhe von 20.000 € mit Gewinnen aus Termingeschäften und Einkünften aus Stillhalterprämien verrechnet werden. Die Norm bewirkt also, dass Verluste aus Termingeschäften zwar nicht generell versagt, jedoch nur bei (späteren) Gewinnen aus Termingeschäften bzw. Stillhalterprämien und dann nur zeitlich gestreckt abgezogen werden dürfen. Insofern bestehen erhebliche Bedenken, ob die Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Denn die Vorschrift behandelt Steuerpflichtige bei der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte danach unterschiedlich, ob sie Verluste aus Termingeschäften oder aus anderen Kapitalanlagen erzielt haben, obwohl zwischen beiden Gruppen kein Unterschied hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ersichtlich ist. Durch die Beschränkung des Verlustabzugs und des damit verbundenen Verlustvortrags kann es sogar - wie im Streitfall - dazu kommen, dass Steuern auf Gewinne anfallen, obwohl bei wirtschaftlicher Betrachtung kein Gewinn aus derselben Kapitalanlage entstanden ist.
Für diese Ungleichbehandlung fehlt es selbst bei einer Prüfung anhand des Willkürmaßstabs an einem hinreichenden Rechtfertigungsgrund. Wenn in der Gesetzesbegründung darauf abgestellt wird, dass die Regelung das Investitionsvolumen und die entstehenden Verlustrisiken aus spekulativen Termingeschäften begrenzen soll, überzeugt dies in Bezug auf die Beschränkung der Verlustverrechnung auf 20.000 € nicht. Es ist bereits nicht schlüssig, weshalb die Sofortversteuerung einzig für die Gewinne aus Termingeschäften eingreifen soll. Vor dem Hintergrund des objektiven Nettoprinzips ist es nicht folgerichtig, dass der Steuerpflichtige Gewinne aus Kapitalanlagen vollumfänglich im Zuflusszeitpunkt versteuern soll, die Anerkennung der Verluste aber betragsmäßig begrenzt wird. Auch kann die alleinige Abziehbarkeit in den Folgejahren dazu führen, dass die Verlustverrechnung - bspw. bei Wohnsitzverlagerung, Tod des Steuerpflichtigen oder dem Ausbleiben von Gewinnen aus Termingeschäften oder Stillhalterprämien - endgültig ausbleibt.
+++++
Anmerkung:
Mit am 27.6.2024 veröffentlichtem Beschluss vom 7.6.2024 (VIII B 113/23 (AdV)) hat der BFH bereits in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei.
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FG Münster PM vom 16.7.2024
Im Rahmen der Einkommensteuerfestsetzung der zusammenveranlagten Antragsteller für das Jahr 2022 setzte das Finanzamt die von den Antragstellern erklärten Gewinne aus Stillhalterprämien und Termingeschäften in voller Höhe an und berücksichtigte zugleich die geltend gemachten Verluste aus Termingeschäften nur bis zu einer Höhe von jeweils 20.000 €. Die verbleibenden, im Jahr 2022 nicht verrechenbaren Verluste wurden gesondert festgestellt. Gegen den Einkommensteuerbescheid legten die Antragsteller Einspruch ein. Das Einspruchsverfahren wurde im Hinblick auf ein zum damaligen Zeitpunkt beim FG Berlin-Brandenburg anhängiges Klageverfahren (dortiges Az.: 10 K 1091/23) ruhend gestellt. Die zugleich von den Antragstellern beantragte Aussetzung der Vollziehung lehnte das Finanzamt mit Verweis auf die geltende Rechtslage ab.
Das FG hat dem von den Antragstellern im Anschluss gestellten gerichtlichen Aussetzungsantrag stattgegeben, soweit er die Beschränkung des Verlustausgleichs bei Termingeschäften auf 20.000 € betraf. Das FG hat die Beschwerde zum BFH zugelassen.
Die Gründe:
Zunächst kann dahinstehen, ob für die Aussetzung der Vollziehung bei verfassungsrechtlichen Zweifeln an der Gültigkeit einer dem angefochtenen Verwaltungsakt zugrunde liegenden Rechtsnorm ein besonderes Interesse der Antragsteller an der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes als Zulässigkeitsvoraussetzung erforderlich ist. Denn die Interessenabwägung fällt eindeutig zugunsten der Antragsteller aus: Sowohl die Bedenken an der Verfassungsmäßigkeit der Verlustverrechnungsbeschränkung für Termingeschäfte als auch die Konsequenzen der Vollziehung des Einkommensteuerbescheids für die Antragsteller - nämlich die Besteuerung von Gewinnen, die bei wirtschaftlicher Betrachtung tatsächlich gar nicht erzielt worden sind - sind erheblich. Demgegenüber ist nicht ersichtlich, dass die Gewährung der Aussetzung der Vollziehung das öffentliche Interesse an einer geordneten Haushaltsführung berühren könnte.
Auch bestehen ernstliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der betragsmäßig beschränkten Verlustverrechnung gem. § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 (im Anschluss an FG Rheinland-Pfalz v. 5.12.2023 - 1 V 1674/23). Danach dürfen Verluste aus Termingeschäften nur in Höhe von 20.000 € mit Gewinnen aus Termingeschäften und mit Einkünften aus Stillhalterprämien verrechnet werden; nicht verrechnete Verlust dürfen je Folgejahr ebenfalls nur bis zur Höhe von 20.000 € mit Gewinnen aus Termingeschäften und Einkünften aus Stillhalterprämien verrechnet werden. Die Norm bewirkt also, dass Verluste aus Termingeschäften zwar nicht generell versagt, jedoch nur bei (späteren) Gewinnen aus Termingeschäften bzw. Stillhalterprämien und dann nur zeitlich gestreckt abgezogen werden dürfen. Insofern bestehen erhebliche Bedenken, ob die Norm mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar ist.
Denn die Vorschrift behandelt Steuerpflichtige bei der Bestimmung ihrer steuerpflichtigen Einkünfte danach unterschiedlich, ob sie Verluste aus Termingeschäften oder aus anderen Kapitalanlagen erzielt haben, obwohl zwischen beiden Gruppen kein Unterschied hinsichtlich der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ersichtlich ist. Durch die Beschränkung des Verlustabzugs und des damit verbundenen Verlustvortrags kann es sogar - wie im Streitfall - dazu kommen, dass Steuern auf Gewinne anfallen, obwohl bei wirtschaftlicher Betrachtung kein Gewinn aus derselben Kapitalanlage entstanden ist.
Für diese Ungleichbehandlung fehlt es selbst bei einer Prüfung anhand des Willkürmaßstabs an einem hinreichenden Rechtfertigungsgrund. Wenn in der Gesetzesbegründung darauf abgestellt wird, dass die Regelung das Investitionsvolumen und die entstehenden Verlustrisiken aus spekulativen Termingeschäften begrenzen soll, überzeugt dies in Bezug auf die Beschränkung der Verlustverrechnung auf 20.000 € nicht. Es ist bereits nicht schlüssig, weshalb die Sofortversteuerung einzig für die Gewinne aus Termingeschäften eingreifen soll. Vor dem Hintergrund des objektiven Nettoprinzips ist es nicht folgerichtig, dass der Steuerpflichtige Gewinne aus Kapitalanlagen vollumfänglich im Zuflusszeitpunkt versteuern soll, die Anerkennung der Verluste aber betragsmäßig begrenzt wird. Auch kann die alleinige Abziehbarkeit in den Folgejahren dazu führen, dass die Verlustverrechnung - bspw. bei Wohnsitzverlagerung, Tod des Steuerpflichtigen oder dem Ausbleiben von Gewinnen aus Termingeschäften oder Stillhalterprämien - endgültig ausbleibt.
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Anmerkung:
Mit am 27.6.2024 veröffentlichtem Beschluss vom 7.6.2024 (VIII B 113/23 (AdV)) hat der BFH bereits in einem ähnlich gelagerten Fall entschieden, dass bei der im Aussetzungsverfahren gebotenen summarischen Prüfung § 20 Abs. 6 Satz 5 EStG i. d. F. des JStG 2020 nicht mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar sei.
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