03.04.2013

EuGH-Vorlage zur Steuerschuldnerschaft bei geschmuggelten Zigaretten

Nach Ansicht des BGH ist § 19 TabStG dahingehend zu deuten, dass Empfänger nur derjenige sein kann, der den Besitz an den Tabakwaren vor Beendigung des Verbringungs- oder Versendungsvorgangs erlangt hat. Nach Auffassung des BFH könnte Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG der vom BGH getroffenen Auslegung entgegenstehen.

BFH 12.12.2012, VII R 44/11
Der Sachverhalt:
Der Kläger war mit rechtskräftigem Urteil wegen gewerbsmäßiger Steuerhehlerei in vier Fällen zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden. Daraufhin nahm das Hauptzollamt ihn gesamtschuldnerisch mit drei weiteren Schuldnern wegen Tabaksteuer nebst Zinsen in Anspruch. Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Es war der Ansicht, der Steueranspruch ergebe sich aus § 19 S. 1 TabStG in der zur Tatzeit (Oktober 2008) geltenden Fassung. Nachdem die Zigaretten in das Steuergebiet verbracht worden seien, habe der Kläger sie als Empfänger in Besitz genommen, so dass er nach § 19 S. 2 TabStG Steuerschuldner geworden sei.

Nach Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 92/12/EWG seien als Steuerschuldner beim Verbringen oder Versenden einer verbrauchsteuerpflichtigen Ware in das inländische Steuergebiet alle Personen anzusehen, die Herrschaft über die Ware erlangten. Somit komme auch ein weiterer Empfänger im Steuergebiet, etwa ein Zwischenhändler oder ein Abnehmer, als Steuerschuldner in Betracht. Diese Auslegung stehe im Einklang mit der Festlegung der Zollschuldner in Art. 202 und 203 des Zollkodex. Empfänger i.S.d. § 19 S. 2 TabStG könne somit auch eine Person sein, die den Besitz an den Tabakwaren erst nach der Beendigung des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs erlange. Der Ansicht des BGH, nach der Empfänger nicht mehr sein könne, wer den Besitz an den Tabakwaren erst nach Beendigung des Verbringungs- bzw. Versendungsvorgangs erlange (Urt. v. 2.2.2010, Az.: 1 StR 635/09), könne nicht gefolgt werden.

Auf die Revision des Klägers hat der BFH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage zur Entscheidung vorgelegt, ob Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 92/12/EWG unbeschadet seines systematischen Zusammenhangs mit Art. 7 Abs. 3 der Richtlinie 92/12/EWG einer gesetzlichen Regelung eines Mitgliedstaats entgegensteht, nach der eine Person, die in einem anderen Mitgliedstaat in den steuerrechtlich freien Verkehr übergeführte verbrauchsteuerpflichtige Waren zu gewerblichen Zwecken in Besitz hält, nicht Steuerschuldner wird, wenn sie die Waren erst nach Beendigung des Vorgangs des Verbringens von einer anderen Person erworben hat.

Die Gründe:
Der vorlegende Senat hat Zweifel, ob Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG die steuerrechtliche Inanspruchnahme lediglich des Erstbesitzers zulässt, oder ob nach den unionsrechtlichen Vorgaben jede Person, die in einem Mitgliedstaat mit unversteuerten Waren angetroffen wird, die aus dem steuerrechtlich freien Verkehr eines anderen Mitgliedstaats stammen, als Steuerschuldner in Anspruch genommen werden kann oder in Anspruch zu nehmen ist. Diese Zweifel ergeben sich aus dem in Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG aufgenommenen Hinweis, nach dem die Verbrauchsteuer unbeschadet der Art. 6, 7 und 8 Richtlinie 92/12/EWG entsteht.

Die Systematik der unionsrechtlichen Vorgaben und die EuGH-Rechtsprechung scheinen den steuerrechtlichen Zugriff auf Personen zu verlangen, denen unversteuerte Waren eindeutig zugeordnet werden können. Dabei scheint es nach dem Wortlaut des Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG ohne Belang zu sein, ob die Ware in einer Lieferkette an mehrere Personen weitergegeben wurde. Jeder, der mit der unversteuerten Ware angetroffen wird, müsste daher Steuerschuldner sein.

Nach Ansicht des BGH ist § 19 TabStG dahingehend zu deuten, dass Empfänger nur derjenige sein kann, der den Besitz an den Tabakwaren vor Beendigung des Verbringungs- oder Versendungsvorgangs erlangt hat. Nach dieser Auffassung ist eine Beendigung dann gegeben, wenn die Tabakwaren in Sicherheit gebracht und "zur Ruhe gekommen" sind, d.h. wenn die Tabakwaren die "gefährliche" Phase des Grenzübertritts passiert haben, und der Verbringer oder Versender sein Unternehmen insgesamt erfolgreich abgeschlossen hat. Diese Auslegung des Begriffs "Empfänger" hat zur Folge, dass nur der Erstbesitzer der eingeschmuggelten Waren Steuerschuldner sein kann. Wer eingeschmuggelte Zigaretten von anderen Personen übernimmt, um sie sodann weiterzuverkaufen und hiervon seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, kommt als Steuerschuldner nicht mehr in Betracht.

Da § 19 TabStG der Umsetzung des Art. 9 Abs. 1 Unterabs. 2 Richtlinie 92/12/EWG in nationales Recht dient, ist bei der Auslegung der Vorschrift der Sinn und Zweck der einschlägigen Richtlinienbestimmungen und die Rechtsprechung des EuGH zu beachten. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts könnte Art. 9 Abs. 1 Richtlinie 92/12/EWG der vom BGH getroffenen Auslegung entgegenstehen.

Linkhinweis:

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