28.03.2012

Fahrtkosten im Rahmen einer vollzeitigen Bildungsmaßnahme und eines Vollzeitstudiums sind in tatsächlicher Höhe abzugsfähig

Der BFH hat mit zwei Urteilen - unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung - entschieden, dass Fahrten zwischen der Wohnung und einer vollzeitig besuchten Bildungseinrichtung in voller Höhe (wie Dienstreisen) und nicht nur beschränkt in Höhe der Entfernungspauschale als Werbungskosten abgezogen werden können. Auch wenn die berufliche Aus- oder Fortbildung die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt und sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, ist eine Bildungsmaßnahme regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt.

BFH 9.2.2012, VI R 42/11 u.a.
Der Sachverhalt:

+++ VI R 42/11 +++
Im diesem Fall war zwischen dem Kläger, einem Zeitsoldaten, und dem Finanzamt streitig, ob die Reisekosten, die ihm im Streitjahr 2009 wegen einer Berufsförderungsmaßnahme entstanden waren, als Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Statt der vom Kläger geltend gemachten Fahrtkosten i.H.v. 6.452 € für insgesamt 153 Tage berücksichtigte das Finanzamt im Einkommensteuerbescheid unter Ansatz der Entfernungspauschale gem. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 EStG nur 3.226 €. Die Steuerbehörde war der Ansicht, dass es sich bei der Teilnahme an der Fortbildungsmaßnahme nicht um eine vorübergehende Auswärtstätigkeit gehandelt habe, weil der Kläger wegen der Beendigung seiner Dienstzeit nicht mehr an seinen früheren Arbeitsplatz zurückgekehrt sei. Damit sei die Schule zu seiner regelmäßigen Arbeitsstätte geworden.

+++ VI R 44/10 +++
In diesem Fall war zwischen der Klägerin und dem Finanzamt streitig, ob die Fahrtkosten zur Hochschule mit der Pendlerpauschale oder nach Dienstreisegrundsätzen als vorab entstandene Werbungskosten zu berücksichtigen sind. Die Klägerin hatte im Streitjahr 2006 keine Einkünfte. Nachdem sie Anfang 2005 arbeitslos geworden war, begann sie im April 2005 ein Zweitstudium. Im Rahmen ihrer Einkommensteuererklärung machte die Klägerin u.a. Fahrtkosten i.H.v. 3.915 € für insgesamt 145 Fahrten zur Hochschule als vorab entstandene Werbungskosten geltend. Auch hier berücksichtigte das Finanzamt die Kosten lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale i.H.v. 1.957 €.

In beiden Fällen wiesen die FG die Klagen ganz bzw. weitestgehend ab. Auf die Revisionen der Kläger hob der BFH die Urteile auf und gab den Klagen unter Änderung seiner bisherigen Rechtsprechung ganz bzw. teilweise statt.

Die Gründe:
Die Fahrtkosten waren in beiden Fällen in tatsächlicher Höhe (wie Dienstreisen) und nicht lediglich im Rahmen der Entfernungspauschale als Werbungskosten anzusetzen.

Nach § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG sind Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte nur beschränkt, nämlich i.H.d. Entfernungspauschale von derzeit 0,30 € je Entfernungskilometer als Werbungskosten abziehbar. Als regelmäßige Arbeitsstätte hat der BFH bislang auch Bildungseinrichtungen (z.B. Universitäten) angesehen, wenn diese über einen längeren Zeitraum zum Zwecke eines Vollzeitunterrichts aufgesucht werden. Fahrtkosten im Rahmen einer Ausbildung waren deshalb nicht in tatsächlicher Höhe, sondern der Höhe nach nur beschränkt abzugsfähig.

Hieran hält der BFH nicht länger fest. Auch wenn die berufliche Aus- oder Fortbildung die volle Arbeitszeit des Steuerpflichtigen in Anspruch nimmt und sich über einen längeren Zeitraum erstreckt, ist eine Bildungsmaßnahme regelmäßig vorübergehend und nicht auf Dauer angelegt. Wie bei einer Auswärtstätigkeit hat in einem solchen Fall der Steuerpflichtige typischerweise nicht die Möglichkeiten, seine Wegekosten gering zu halten. Damit ist eine Ausnahme von dem sonst geltenden Grundsatz der unbeschränkten Abzugsfähigkeit von Werbungskosten in den Fällen der vollzeitigen Aus- und Fortbildung nicht gerechtfertigt.

Im Übrigen kommt eine regelmäßige Arbeitsstätte i.S.d. § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG nur im Rahmen bezahlter Arbeit in Betracht. Nach neuerer BFH-Rechtsprechung ist unter regelmäßiger Arbeitsstätte nur eine ortsfeste dauerhafte betriebliche Einrichtung des Arbeitgebers zu verstehen, der der Arbeitnehmer zugeordnet ist und die er nicht nur gelegentlich, sondern mit einer gewissen Nachhaltigkeit, d.h. fortdauernd und immer wieder aufsucht; dies ist regelmäßig der Betrieb des Arbeitgebers oder ein Zweigbetrieb. "Regelmäßige Arbeitsstätte" ist damit typischerweise der Tätigkeitsmittelpunkt eines Arbeitnehmers, der in einem Arbeitsverhältnis steht; die Beschränkung des objektiven Nettoprinzips durch § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 EStG ist auch nur insoweit gerechtfertigt.

Aufwendungen für Dienstreisen können allerdings (auch bei Inanspruchnahme der Kilometerpauschale) steuerlich nur berücksichtigt werden, wenn der Steuerpflichtige Fahrtaufwand tatsächlich getragen hat. Bei Anwendung der Entfernungspauschale kommt es darauf nicht an.

Linkhinweis:

  • Der Volltext der Entscheidung ist auf der Homepage des BFH veröffentlicht.
  • Um direkt zum Volltext von Az.: VI R 42/11 zu gelangen, klicken Sie bitte hier.
  • Um direkt zum Volltext von Az.: VI R 44/10 zu gelangen, klicken Sie bitte hier.
BFH PM Nr. 20 vom 28.3.2012
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