Festsetzung von Hinterziehungszinsen für verkürzte Einkommensteuervorauszahlungen neben der Festsetzung von Hinterziehungszinsen für hinterzogene Jahreseinkommensteuer
KurzbesprechungEStG § 37 Abs 1, § 37 Abs 3
AO § 3 Abs 1, § 233a Abs 2, § 235 Abs 1 S 1, § 235 Abs 2, § 235 Abs 3, § 235 Abs 4, § 239 Abs 1 S 2 Nr. 3, § 369 Abs 2, § 370 Abs 1 Nr. 1
GG Art 3 Abs 1, Art 20 Abs 3, Art 100 Abs 1, 103 Abs 3
StGB § 15
Der objektive Tatbestand einer Hinterziehung von Einkommensteuervorauszahlungen (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO) kann erfüllt werden, indem der Steuerpflichtige durch unrichtige Angaben in einer Jahressteuererklärung bewirkt, dass die Jahreseinkommensteuer für einen vorherigen Veranlagungszeitraum und daran anknüpfend (§ 37 Abs. 3 Satz 2 EStG) die Einkommensteuervorauszahlungen für einen nachfolgenden Veranlagungszeitraum von der Finanzbehörde nicht in voller Höhe oder nicht rechtzeitig festgesetzt werden; weiterer oder besonderer Tathandlungen im Hinblick auf die Vorauszahlungen bedarf es nicht.
Hinterzogene Steuern sind gemäß § 235 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsen. Hierdurch soll der Vorteil abgeschöpft werden, den der Täter durch die verspätete Zahlung der verkürzten Steuer erlangt werden nicht nur mit der Festsetzung der Jahreseinkommensteuer, sondern auch mit der Festsetzung von Vorauszahlungen "Steuern" i.S. von § 3 Abs. 1 AO erhoben. Diese Auslegung des Merkmals "Steuern" ist nicht nur im Rahmen des Tatbestands der Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO und der Haftungsregelung gemäß § 71 AO maßgeblich, sondern auch im Rahmen des § 235 Abs. 1 AO heranzuziehen. Auch hinterzogene Einkommensteuervorauszahlungen sind danach hinterzogene Steuern i.S. des § 235 AO und können Gegenstand einer eigenständigen Verzinsung nach dieser Vorschrift sein.
Von diesem Gesetzesverständnis ist auch nicht abzuweichen, wenn wie im Streitfall Einkommensteuervorauszahlungen und die Jahreseinkommensteuer desjenigen Veranlagungszeitraums, für den die Vorauszahlungen zu leisten gewesen wären, gleichermaßen hinterzogen werden. Auch in diesem Fall sind gemäß § 3 Abs. 1 AO die Jahreseinkommensteuer und die Vorauszahlungen jeweils eigenständig zu betrachten und jeweils "hinterzogene Steuern" i.S. des § 235 Abs. 1 Satz 1 AO.
Die gemäß § 370 Abs. 4 Satz 1 AO verkürzte Jahreseinkommensteuer (vgl. § 36 Abs. 1 und Abs. 4 EStG) umfasst zwar der Höhe nach hinterzogene Vorauszahlungsbeträge desjenigen Veranlagungszeitraums, für den die Vorauszahlungen zu leisten gewesen wären. Die hinterzogene Jahreseinkommensteuer ist gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 1 EStG nämlich nur um solche Einkommensteuervorauszahlungen zu mindern, die tatsächlich geleistet worden sind. Auch die Bemessungsgrundlage der gemäß § 235 Abs. 1 Satz 1 AO zu verzinsenden hinterzogenen Jahreseinkommensteuer umfasst mithin betragsmäßig auch die Vorauszahlungen.
Trotz der betragsmäßigen Überschneidung der Bemessungsgrundlagen für die Hinterziehungszinsen i.S. des § 235 AO bei der hinterzogenen Jahreseinkommensteuer und bei der jeweiligen hinterzogenen Einkommensteuervorauszahlung kann eine unzulässige Doppelverzinsung desselben hinterzogenen Einkommensteuer(teil)betrags vermieden werden, wenn die den Festsetzungen zugrunde liegenden Zinsläufe in der folgenden Weise voneinander abgegrenzt werden:
- Der Zinslauf für die Hinterziehungszinsen zu den Einkommensteuervorauszahlungen gemäß § 235 Abs. 2 und Abs. 3 AO beginnt zum jeweiligen gesetzlichen Fälligkeitstag i.S. des § 37 Abs. 1 Satz 1 EStG (10.03./10.06./10.09./10.12.) und endet in dem Zeitpunkt, in dem gemäß § 235 Abs. 2 AO der Zinslauf für die Hinterziehungszinsen zur verkürzten Jahreseinkommensteuer beginnt.
- Für die hinterzogene Jahreseinkommensteuer beginnt der Zinslauf gemäß § 235 Abs. 2 Halbsatz 1 AO entweder mit der Bekanntgabe des unzutreffenden Jahressteuerbescheids oder bei Festsetzung einer Abschlusszahlung darin mit deren Fälligkeit (§ 36 Abs. 4 Satz 1 EStG i.V.m. § 235 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 AO).
- Von einem Beginn der Verzinsung des Jahressteueranspruchs und damit Ende des Zinslaufs für die Hinterziehungszinsen zu den Einkommensteuervorauszahlungen ist jedoch auch --falls dieser Zeitpunkt vor der Bekanntgabe des Jahressteuerbescheids oder der Fälligkeit der Abschlusszahlung liegt-- auszugehen, wenn der Karenzzeitraum i.S. des § 233a Abs. 2 Satz 1 AO für die hinterzogene Jahressteuer endet und die Vollverzinsung des Jahressteueranspruchs gemäß § 233a AO beginnt.
Im Streitfall hatte das FG zu Recht erkannt, dass die noch streitigen Hinterziehungszinsen zu den Einkommensteuervorauszahlungen vor dem Ablauf der Festsetzungsfrist gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO festgesetzt worden sind und die Zinsfestsetzungen aus diesem Grund nicht ersatzlos aufzuheben sind.
Der im Schrifttum zum Fristlauf gemäß § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 AO vertretenen Auslegung hat sich der BFH nicht angeschlossen. Nach dieser Auslegung soll die "Unanfechtbarkeit" der Festsetzung hinterzogener Einkommensteuervorauszahlungen i.S. des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO (des Vorauszahlungsbescheids) und damit der Beginn der einjährigen Frist des § 239 Abs. 1 Satz 1 AO in dem Zeitpunkt liegen, in dem sich ein Vorauszahlungsbescheid mit zu niedrigen (verkürzten) Vorauszahlungen durch die Festsetzung des Jahressteuerbescheids mit einer verkürzten Jahreseinkommensteuer gemäß § 124 Abs. 2 AO in anderer Weise erledigt.
Diese Gesetzesauslegung bewirkt eine Vorverlagerung des Beginns der Einjahresfrist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Jahressteuerbescheids. Sie widerspricht zum einen dem Gesetzeswortlaut des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO, der den Fall der Erledigung der Festsetzung der hinterzogenen Steuern nicht nennt. Zum anderen berücksichtigt sie nicht, dass § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 AO dem Zweck dient, die einjährige Frist für die Zinsfestsetzung erst dann beginnen zu lassen, wenn aufgrund der Bekanntgabe einer geänderten Steuerfestsetzung die Höhe der hinterzogenen Beträge feststeht und für die Finanzverwaltung erkennbar ist.
Bei Bekanntgabe eines Jahressteuerbescheids mit verkürzter Jahreseinkommensteuer können die Finanzbehörden hinterzogene Vorauszahlungsbeträge bei Hinterziehungstaten, die wie im Streitfall über mehrere aufeinanderfolgende Veranlagungszeiträume begangen werden, bei der Bekanntgabe des Jahressteuerbescheids in der Regel aber nicht kennen.
Hinsichtlich der im Streitfall vorliegenden Steuerhinterziehung entschied der BFH, dass es für den (bedingten) Vorsatz, durch die Nichtangabe von Einkünften in der Jahressteuererklärung eines Vorjahres auch Einkommensteuervorauszahlungen gemäß § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO zu hinterziehen, grundsätzlich erforderlich ist, dass gegenüber dem Steuerpflichtigen regelmäßig Einkommensteuervorauszahlungen festgesetzt werden und ihm bekannt ist, dass Einkünfte, die in der Einkommensteuererklärung für einen früheren Veranlagungszeitraum nicht angegeben werden, auch für die Festsetzung der Vorauszahlungen nicht berücksichtigt werden. Die sichere Kenntnis, in welcher Höhe künftige Einkommensteuervorauszahlungen verkürzt werden, wenn in der Jahressteuererklärung eines Vorjahres Einkünfte nicht angegeben werden, ist jedoch für die Annahme des Vorsatzes nicht erforderlich.