Finanzämter können bei Nichteinhaltung von selbst gesetzten Fristen gegen Treu und Glauben verstoßen
BFH 15.5.2013, VIII R 18/10Das Finanzamt hatte gegen den Kläger Aussetzungszinsen i.H.v. 168 € festgesetzt. Dagegen erhob der Kläger Einspruch. Mit Schreiben vom 18.3.2009 forderte die Behörde den Kläger auf, seinen Einspruch zu begründen und teilte im Übrigen mit, dass die Überprüfung nach § 367 Abs. 2 S. 1 AO verbösernd Zinsen von 1.181 € ergeben habe. Sie regte an, den Einspruch bis zum 15.4.2009 zurücknehmen.
Mit Schreiben vom 26.3.2009 begründete der Kläger seinen Einspruch mit einem Satz. Außerdem bat er um Mitteilung, wie die Aussetzungszinsen ermittelt worden seien. Die Zinsfestsetzung sei für ihn nicht nachvollziehbar. Deshalb sei auch eine Einspruchsbegründung "naturgemäß" nicht möglich. Bereits am 30.3.2009 wies das Finanzamt den Einspruch zurück und setzte die Aussetzungszinsen auf 1.181 € fest.
Das FG wies die hiergegen gerichtete Klage ab. Es war der Ansicht, der Kläger habe den Einspruch nicht rechtzeitig zurückgenommen. Aus dem Schreiben des Klägers vom 26.3.2009 habe das Finanzamt nur folgern können, dass der Kläger endgültig an seinem Einspruch festhalte. Danach es an die von ihm selbst gesetzte Frist nicht mehr gebunden gewesen.
Auf die Revision des Klägers hob der BFH das Urteil auf und gab der Klage.
Die Gründe:
Die verbösernde Einspruchsentscheidung ist rechtswidrig und deshalb aufzuheben.
Hat das Finanzamt im Einspruchsverfahren eine Frist bestimmt, bis zu der es dem Steuerpflichtigen möglich sein soll, bei Vermeidung der zugleich angedrohten Verböserung den Einspruch zurückzunehmen, so kann ein Verstoß gegen Treu und Glauben vorliegen, wenn es gleichwohl vor Ablauf der selbst gesetzten Frist die (verbösernde) Einspruchsentscheidung erlässt. Eine vom Finanzamt im Verfahren selbst gesetzte Frist muss beachtet werden. Anders wäre die Rechtslage nur, wenn der Steuerpflichtige durch sein Verhalten eindeutig zu erkennen gegeben hätte, dass er entweder von der ihm eingeräumten Gelegenheit zur Äußerung keinen Gebrauch machen werde oder hiervon bereits abschließend Gebrauch gemacht habe. Ob dies der Fall ist, bestimmt sich nach Maßgabe der Grundsätze über die Auslegung von Willenserklärungen aus dem objektiven Empfängerhorizont.
Infolgedessen war das Finanzamt hier nicht berechtigt, von der selbst gesetzten Frist abzuweichen und schon vor Fristablauf die verbösernde Einspruchsentscheidung zu erlassen. Anders als das FG meinte, hatte der Kläger nicht eindeutig zu erkennen gegeben, von der Gelegenheit zur Äußerung und Begründung des Einspruchs keinen Gebrauch mehr machen zu wollen. Zwar hatte er innerhalb der Frist eine Erklärung abgegeben. Die Auslegung des Schreibens ergab allerdings, dass er sich eine abschließende Begründung des Einspruchs vorbehalten hatte. Dafür sprach vor allem, dass er angesichts der divergierenden Berechnungen im ursprünglichen Zinsbescheid um Erläuterung der Berechnung gebeten und darauf hingewiesen hatte, dass ihm vorher "naturgemäß" die Begründung des Einspruchs nicht möglich sei. Diese Formulierungen konnten nur so verstanden werden, dass sich der Kläger für den Fall nachträglicher Erläuterung der Berechnungsgrundlagen eine abschließende Stellungnahme vorbehalten wollte.
Der Verstoß des Finanzamtes stellte auch einen wesentlichen Verfahrensmangel dar, der abweichend vom Grundsatz des § 127 AO zur Aufhebung der verbösernden Einspruchsentscheidung führte. Andernfalls bliebe der Verfahrensverstoß sanktionslos; das wäre wiederum mit der Wertung des § 367 Abs. 2 S. 2 AO nicht vereinbar.
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