03.02.2022

Formelle Satzungsmäßigkeit und Vermögensbindung

Eine Satzung genügt nur dann dem Grundsatz der satzungsmäßigen Vermögensbindung (§§ 61 Abs. 1, 55 Abs. 1 Nr. 4 AO), wenn sie auch eine ausdrückliche Regelung für den Wegfall des bisherigen Zwecks der Körperschaft enthält. 2. Vertrauensschutzgesichtspunkte sind im Verfahren der erstmaligen negativen Feststellung nach § 60a Abs. 1 AO nicht zu berücksichtigen. Gegenstand des Feststellungsverfahrens nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AO ist nur eine bestimmte Satzung, wenn diese in dem Feststellungsbescheid ausdrücklich erwähnt ist.

Kurzbesprechung
BFH v. 26.8.2021 - V R 11/20

AO § 55 Abs 1 Nr. 4, § 60a Abs 1, § 61 Abs 1

Streitig war die formelle Satzungsmäßigkeit des Gesellschaftsvertrages der Steuerpflichtigen. Sie ist eine 1995 errichtete und im selben Jahr ins Handelsregister eingetragene GmbH, deren Gegenstand die gemeindepsychiatrische Versorgung des Kreises A ist. Ihr Gesellschaftsvertrag wurde mit Gesellschafterbeschluss von 2012 im Hinblick auf die Regelung zum Selbstkontrahieren der Geschäftsführer geändert.

Im August 2014 teilte das FA der Steuerpflichtigen mit, dass der Gesellschaftsvertrag in der Fassung von 2012 nicht den gesetzlichen Voraussetzungen entspreche und bat sie, die gemeinnützigen Zwecke (wörtlich) zu benennen.

In 2015 beschlossen die Gesellschafter der Klägerin eine im ... 2015 in das Handelsregister eingetragene "Neufassung der Satzung", wobei zwar Regelungen zur Vermögensbindung im Fall der Auflösung der Klägerin enthalten waren, aber --wie auch in der Fassung vom xx.xx.2012-- nicht bei Zweckwegfall.

Im Juni 2015 beanstandete das FA den Gesellschaftsvertrag in seiner Neufassung von 2015 und schlug der Steuerpflichtigen vor, die Zwecke "Förderung des öffentlichen Gesundheitswesens und der öffentlichen Gesundheitspflege" sowie "Förderung mildtätiger Zwecke" und in § 4 die Verfolgung mildtätiger Zwecke aufzunehmen. Zudem schlug es --erstmals-- vor, auch die Regelung zur Auflösung der Gesellschaft an die Mustersatzung anzupassen.

In 2016 lehnte das FA die Feststellung der Einhaltung der satzungsmäßigen Voraussetzungen nach § 60a Abs. 1 AO ab, weil die Steuerpflichtige mit ihrer "Satzung in der Fassung von 2015" die satzungsmäßigen Voraussetzungen nach den §§ 51, 59, 60 und 61 AO nicht erfülle.

Hiergegen legte die Steuerpflichtige Einspruch ein, den das FA zurückwies. Der verfolgte Zweck und die Art der Verwirklichung seien in dem Gesellschaftsvertrag nicht genau bestimmt. Da eine Beanstandung des Gesellschaftsvertrages erstmalig im Jahr 2014 erfolgt sei, sei eine Steuerbegünstigung aus Vertrauensschutzgesichtspunkten erst ab 2015 zu versagen.

Nachdem das FG der eingelegten Klage stattgab, wies der BFH im Revisionsverfahren die Klage ab. Er entschied, dass der Gesellschaftsvertrag in der Fassung von 2015 nicht den Anforderungen an die satzungsmäßige Vermögensbindung (§ 61 Abs. 1 i.V.m. § 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) genügt, da im Gesellschaftsvertrag der Steuerpflichtigen in der Fassung von 2015 ausdrückliche Bestimmungen der Vermögensbindung für den Wegfall des bisherigen Zwecks der Steuerpflichtigen fehlten.

Gemäß § 61 Abs. 1 AO liegt eine steuerlich ausreichende Vermögensbindung (§ 55 Abs. 1 Nr. 4 AO) vor, wenn der Zweck, für den das Vermögen bei Auflösung oder Aufhebung der Körperschaft oder bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks verwendet werden soll, in der Satzung so genau bestimmt ist, dass aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist. Ist der Wegfall des bisherigen Zwecks als Voraussetzung des Vermögensanfalls überhaupt nicht erwähnt, ist eine Auslegung der Satzung in der Weise, dass die Regelung zu einer anderen Art des Vermögensanfalls auf den Wegfall des bisherigen Zwecks zu übertragen ist, nicht möglich.

Die vorherige Handhabung der Beteiligten kann nicht zur Auslegung der satzungsmäßigen Vermögensbindung herangezogen werden, weil Regelungen über die Vermögensbindung bei Wegfall ihres bisherigen Zwecks in der Satzung selbst getroffen werden müssen. Die Berücksichtigung außerhalb der Satzung liegender Begleitumstände oder des nicht in der Satzung manifestierten Willens der Mitglieder würde dem Gebot des Buchnachweises widersprechen.

Sinn und Zweck der satzungsmäßigen Vermögensbindung ist, dass (ausschließlich) aufgrund der Satzung geprüft werden kann, ob der Verwendungszweck steuerbegünstigt ist und satzungsmäßig die Bindung des steuerbegünstigt gebildeten Vermögens im Dritten Sektor gewährleistet bleibt.

Die Steuerpflichtige kann sich hinsichtlich des Gesellschaftsvertrages in der Fassung von 2015 im Rahmen der Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit nicht auf Vertrauensschutz berufen, da das FA im Streitfall erstmals einen Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO erlassen hatte, wobei auch die negative Feststellung der satzungsmäßigen Voraussetzungen von dieser Vorschrift erfasst wird.

Die Regelungen zu § 60a Abs. 3 bis 5 AO sind vorliegend auf den Fall des erstmaligen Erlasses eines negativen Feststellungsbescheides nicht anwendbar, da sie einen bereits erlassenen Feststellungsbescheid nach § 60a Abs. 1 AO voraussetzen.

§ 60a Abs. 5 Satz 1 AO ist mangels Regelungslücke nicht analog anwendbar. Eine erkennbar planwidrige Regelungslücke liegt nach den Wertungen des § 60a AO, insbesondere seiner Entstehungsgeschichte, im Hinblick auf die negative erstmalige Feststellung der formellen Satzungsmäßigkeit nicht vor.

Der Erlass eines erstmaligen negativen Feststellungsbescheides nach § 60a Abs. 1 AO ist dem früheren Verfahren bei erstmaliger Versagung der Steuerbegünstigung im Veranlagungsverfahren vergleichbar. Nach der Rechtsprechung gab es in diesen Fällen für den jeweiligen Veranlagungszeitraum keinen Vertrauensschutz. Ein bisher nicht bestehender Vertrauensschutz kann ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung --wie es § 60a Abs. 5 AO für die Aufhebung bereits erlassener Feststellungsbescheide vorsieht -- nicht begründet werden.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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