02.06.2022

Freibeträge bei Zusammentreffen mehrerer Nacherbschaften

Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und nach dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu. Der Nacherbe muss in seinem Antrag angeben, welches Verhältnis zu welchem ursprünglichen Erblasser der Versteuerung zugrunde gelegt werden soll. Danach richten sich der Freibetrag und die Steuerklasse für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen.

Kurzbesprechung
BFH v. 1.12. 2021 - II R 1/20

ErbStG § 6 Abs 1, § 6 Abs 2 S 2, § 6 Abs 2 S 5, § 16 Abs 1

Im Streitfall verstarb im Jahre 1966 der Großvater, im Jahre 1992 die Großmutter der Steuerpflichtigen. Die Großeltern hatten die Tante der Steuerpflichtigen als Vorerbin und auf deren Tod u.a. die Steuerpflichtigen als Nacherben eingesetzt. Die Tante verstarb in 2015 und wurde ihrerseits u.a. durch die Steuerpflichtigen als Miterben beerbt. Der Vater der Steuerpflichtigen war bereits vor der Vorerbin verstorben.

In der Erbschaftsteuererklärung stellten die Steuerpflichtigen Anträge nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, der Versteuerung der Nacherbfälle ihr Verwandtschaftsverhältnis zu den Großeltern zugrunde zu legen.

Das FA berücksichtigte Freibeträge von 400.000 € pro Erben. Mit ihren Einsprüchen sowie ihren Klagen vertraten die Steuerpflichtigen die Auffassung, jedem von ihnen stehe der Freibetrag in Höhe von 400.000 € zweimal zu, nämlich ein Freibetrag für jede Nacherbschaft, da es sich jeweils um zwei Nacherbschaften handele.

Das FG wies beide Klagen ab, entsprechend entschied auch der BFH im Revisionsverfahren. Der Anfall der Nacherbschaft gilt grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben.

Geht beim Tod des Vorerben neben dem zur Nacherbschaft gehörenden Vermögen zugleich eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, weil der Nacherbe gleichzeitig Allein- oder Miterbe nach dem Vorerben ist, liegen zivilrechtlich zwei Erbfälle vor: Einer nach dem Erblasser und ein weiterer nach dem Vorerben. Erbschaftsteuerrechtlich handelt es sich gleichwohl um einen einheitlichen Erwerb vom Vorerben. Ein etwaiger negativer Erwerb aus der Vorerbschaft kann daher mit einem positiven Erwerb aus der Erbeinsetzung verrechnet werden und umgekehrt.

Diese Grundsätze gelten unabhängig davon, ob der Nacherbe eine oder mehrere Nacherbschaften erhält, solange er diese von demselben Vorerben auf dessen Tod erlangt. Die Fiktion des § 6 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ErbStG wird durch die Möglichkeit nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG, die Erbschaft als vom Erblasser stammend zu behandeln, zwar modifiziert, nicht aber aufgehoben.

Auf Antrag ist der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Geht in diesem Fall auch eigenes Vermögen des Vorerben auf den Nacherben über, sind beide Vermögensanfälle hinsichtlich der Steuerklasse getrennt zu behandeln (§ 6 Abs. 2 Satz 3 ErbStG). Für das eigene Vermögen des Vorerben kann ein Freibetrag jedoch nur gewährt werden, soweit der Freibetrag für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen nicht verbraucht ist (§ 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG).

Die Steuer ist für jeden Erwerb jeweils nach dem Steuersatz zu erheben, der für den gesamten Erwerb gelten würde. Trotz der speziellen Regeln zur Berechnung der Steuer liegt ein einheitlicher Erwerb vor.

Nach § 6 Abs. 2 Satz 4 ErbStG stehen dem Nacherben bei entsprechender Antragstellung zwar zwei Freibeträge i.S. von § 16 ErbStG zu, zum einen für das der Nacherbfolge unterliegende Vermögen, zum anderen für das eigene Vermögen des Vorerben. Die Deckelung des für das Vermögen des Vorerben geltenden Freibetrags auf den noch nicht für die Nacherbschaft verbrauchten Freibetrag bewirkt jedoch, dass der Nacherbe für den gesamten Erwerb einen Freibetrag maximal in der Höhe beanspruchen kann, der dem jeweils höheren Freibetrag entspricht.

Haben mehrere Erblasser denselben Vorerben und auf dessen Tod denselben Nacherben eingesetzt, steht dem Nacherben auf Antrag für alle der Nacherbfolge unterliegenden Erbmassen insgesamt lediglich ein Freibetrag zu, der sich nach dem Verhältnis zu demjenigen Erblasser richtet, für den es der Nacherbe beantragt. Soweit dieser nicht verbraucht ist, verbleibt ein Freibetrag für das Vermögen des Vorerben.

Im Streitfall hatte das FG zu Recht entschieden, dass bei den Erwerben der Steuerpflichtigen jeweils ein persönlicher Freibetrag nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG in Höhe von 400.000 € zu berücksichtigen war, da es sich bei den beiden Steuerpflichtigen um Enkel der verstorbenen Erblasser handelt und der Vater der Steuerpflichtigen vorverstorben war.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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