03.12.2020

Geschmuggelte Zigaretten: Steuerschuldner kann nicht zugleich Haftungsschuldner sein

Der Schuldner einer Steuer kann auch weiterhin nicht zugleich für diese gem. § 71 AO haften, da im Haftungsrecht nach der AO der Grundsatz gilt, dass sich Steuerschuldnerschaft und Haftung gegenseitig ausschließen. Wer als Besitzer von in Deutschland unversteuerten Zigaretten zur Entrichtung der Tabaksteuer nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG verpflichtet ist, kann somit für diese Steuer nicht zugleich durch Haftungsbescheid nach § 71 AO in Anspruch genommen werden.

BFH v. 23.6.2020 - VII R 56/18
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte von einem Zwischenhändler unverzollte und unversteuerte Zigaretten erworben und diese weiterverkauft oder selbst verbraucht. Deshalb gingen die Zollbehörden von einer strafbaren Steuerhehlerei aus und nahmen den Kläger nach § 71 AO als Haftungsschuldner in Anspruch. Danach haftet derjenige, der eine Steuerhinterziehung bzw. Steuerhehlerei begeht oder an einer solchen beteiligt ist, für die entgangenen Steuern und Zinsen.

Das FG bestätigte den Haftungsbescheid und entschied zugleich, dass der Kläger auch Schuldner der Tabaksteuer geworden sei. Das Gericht war der Ansicht, würden Zigaretten aus einem anderen Mitgliedstaat nach Deutschland geschmuggelt, sei nach § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG auch derjenige Schuldner der entstandenen Tabaksteuer, der Besitz an den eingeschmuggelten Zigaretten erlange. Trotz Annahme einer Steuerschuldnerschaft hielt das FG eine Inanspruchnahme als Haftungsschuldner für zulässig.

Auf die Revision des Klägers hat der BFH das Urteil des FG und den Haftungsbescheid in Gestalt der Einspruchsentscheidung aufgehoben.

Gründe:
Das FG ist rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass eine Inanspruchnahme des Klägers als Haftungsschuldner nach § 71 AO möglich ist, obwohl der Kläger nach den Feststellungen des FG Steuerschuldner gem. § 23 Abs. 1 Satz 2 TabStG war. Der Senat hält insofern daran fest, dass sich Steuerschuldnerschaft und Haftungsschuldnerschaft gegenseitig ausschließen.

Der Begriff "Haften" stellt klar, dass jemand für die Schuld eines Anderen einstehen muss. Demnach kann eine Person nicht für ihre eigene Abgabenschuld haften. Die praktischen Probleme der zuständigen Behörden bei der Feststellung der Steuerschuldnerschaft dürfen natürlich nicht verkannt werden. Insbesondere lässt sich der genaue Transportweg der Zigaretten häufig nur unter erschwerten Bedingungen feststellen und auch die Beteiligten wissen häufig nicht über alle Einzelheiten der Beschaffung Bescheid. Dieses Problem gebietet jedoch keinen Systemwechsel in der AO durch richterrechtliche Rechtsfortbildung. Vielmehr wäre es Aufgabe des Gesetzgebers, Abhilfe zu schaffen.

Bei der dargestellten Exklusivität von Steuerschuld und Haftung handelt es sich indes nicht um ein Dogma, wie das FG meinte Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 24.10.2017 (VII B 99/17) lediglich klargestellt, dass der damalige Gesetzgeber keine Änderung herbeiführen wollte. Dagegen hat der Senat nicht ausgeführt, dass der Gesetzgeber keine Änderung herbeiführen durfte. Das widerspräche dem Grundsatz "lex posterior derogat legi priori". Aus dem Demokratieprinzip (Art. 20 Abs. 1 und Abs. 2 GG) und dem Grundsatz der parlamentarischen Diskontinuität folgt, dass spätere Gesetzgeber innerhalb der vom GG vorgegebenen Grenzen Rechtsetzungsakte früherer Gesetzgeber revidieren können müssen. Der vereinzelt vorgebrachte Verweis auf § 7 Abs. 8 Satz 3 des Versicherungsteuergesetzes überzeugt nicht.
BFH PM Nr. 57 vom 3.12.2020
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