24.06.2021

Gewerbesteuerzerlegung beim Versorgungsunternehmen nach Entflechtung von Netz- und Versorgungsbetrieb (Unbundling)

Findet bei einem integrierten Energieversorgungsunternehmen eine Entflechtung statt, aufgrund derer das Versorgungsnetz an eine andere Gesellschaft verpachtet wird, ist eine Gewerbesteuerzerlegung auf die Netzgemeinden im Hinblick auf die bei dem Energieversorgungsunternehmen verbliebenen Geschäftsbereiche nur dann vorzunehmen, wenn das Energieversorgungsunternehmen in den einzelnen Netzgemeinden weiterhin selbst Betriebsstätten im Sinne des § 12 AO unterhält.

Kurzbesprechung
BFH v. 18.2.2021 - III R 8/19

GewStG § 2 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 1, § 5 Abs. 1 S. 3, § 6, § 11, § 28 Abs. 1 S. 1, § 28 Abs. 1 S. 2
AO § 12
EnWG § 6 Abs. 2 S. 1, § 6 Abs. 2 S. 3
GasNZV § 3 Abs. 2, § 3 Abs. 3
GewStDV § 8


Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 GewStG ist der Steuermessbetrag in die auf die einzelnen Gemeinden entfallenden Anteile (Zerlegungsanteile) zu zerlegen, wenn im Erhebungszeitraum Betriebsstätten zur Ausübung des Gewerbes in mehreren Gemeinden unterhalten worden sind. Das gilt auch in den Fällen, in denen eine Betriebsstätte sich über mehrere Gemeinden erstreckt hat oder eine Betriebsstätte innerhalb eines Erhebungszeitraums von einer Gemeinde in eine andere Gemeinde verlegt worden ist (§ 28 Abs. 1 Satz 2 GewStG).

Der Begriff der Betriebsstätte bestimmt sich auch für gewerbesteuerliche Zwecke nach § 12 AO, weil das GewStG und insbesondere die §§ 28, 30 GewStG keine eigene Definition des Betriebsstättenbegriffs enthalten.

Gemäß § 12 Satz 1 AO setzt die Annahme einer Betriebsstätte eine Geschäftseinrichtung oder Anlage mit einer festen Beziehung zur Erdoberfläche voraus, die von einer gewissen Dauer ist, der Tätigkeit des Unternehmens dient und über die der Steuerpflichtige eine nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht hat. Für die nicht nur vorübergehende Verfügungsmacht ist grundsätzlich erforderlich, dass der Unternehmer eine Rechtsposition innehat, die ihm nicht ohne Weiteres entzogen werden kann. Es reichen weder eine tatsächliche Mitbenutzung noch die bloße Berechtigung der Nutzung im Interesse eines anderen sowie eine rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit. Weiter muss die Einrichtung oder Anlage der Tätigkeit unmittelbar dienen.

Eine Betriebsstätte kann aber auch in der Betriebsstätte eines Dritten begründet werden, wenn der Unternehmer rechtlich befugt ist, die Einrichtung oder Anlagen nach den Bedürfnissen seines Unternehmens zu nutzen und wenn er eigene Arbeitnehmer beschäftigt oder ihm überlassene, seinen Weisungen unterliegende Arbeitnehmer oder Subunternehmer tätig werden. Hingegen reichen die mit der Überlassung des Grundstücks oder Gebäudes verbundenen Verwaltungsarbeiten nicht aus, selbst wenn sich der Nutzungsüberlassende das Recht zum Betreten des Gebäudes und zur Prüfung von Geschäftsvorfällen oder sogar eine Kontrolle des gesamten Betriebsablaufs vorbehalten hat.

Etwas anderes kann sich ergeben, wenn der Nutzungsüberlassende eine eigenbetriebliche Tätigkeit entfaltet, die eine gewisse Nachhaltigkeit aufweist und über punktuell einzelfallbezogene Maßnahmen hinausgeht. Bei vollautomatisch arbeitenden Einrichtungen kann das Tätigwerden des Unternehmens mit der Geschäftseinrichtung ausnahmsweise ausreichen. Befinden sich die vollautomatisch arbeitenden Anlagen in fremden Gebäuden, kann eine Betriebsstätte anzunehmen sein, wenn dem Unternehmer vertraglich das Recht eingeräumt worden ist, das Gebäude zu den üblichen Geschäfts- und Arbeitszeiten zu betreten und die anfallenden Wartungsarbeiten an seinen Anlagen vorzunehmen. Nicht ausreichend ist dagegen, dass der Verpächter den Betriebsablauf durch Datenfernübertragung überwacht und ggf. auch steuern kann.

Auch bei einer mehrgemeindlichen Betriebsstätte genügt es nicht, dass nur in einer Gemeinde eine Betriebstätte vorhanden ist und in der anderen Gemeinde nur solche Anlagen vorhanden sind, die für sich allein keine Betriebsstätte bilden. Vielmehr muss jeder der auf mehrere Gemeinden entfallenden Teile dieser Einheit die Voraussetzungen des Betriebsstättenbegriffs erfüllen.

Bei Anwendung dieser Grundsätze war das FG zu Recht davon ausgegangen, dass die Steuerpflichtige nur am Ort ihrer Geschäftsleitung (§ 12 Satz 2 Nr. 1 AO) eine Betriebsstätte unterhalten hatte und durch das verpachtete Gasnetz keine Betriebsstätten der Steuerpflichtigen in den Gemeinden begründet wurden. Das unterirdisch verlegte Gasnetz stellt zwar ungeachtet seiner fehlenden Sichtbarkeit an der Erdoberfläche eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage i.S. des § 12 Satz 1 AO dar. Die Steuerpflichtige hatte über diese Geschäftseinrichtung oder Anlage aber weder die notwendige Verfügungsmacht noch diente das Gasnetz der Tätigkeit der Steuerpflichtigen unmittelbar.

Der BFH stellte dabei heraus, dass
  • aus einem Pachtvertrag, mit dem der Pächterin die Netzhoheit über ein Versorgungsnetz übertragen wird, sich auch dann keine Verfügungsbefugnis der Verpächterin über das Netz ergibt, wenn der Verpächterin Mitwirkungsrechte bei der Aufstellung und Durchführung des Wirtschaftsplans vorbehalten werden;
  • der Teilbetriebsfiktion in § 6 Abs. 2 Sätze 1 und 3 EnWG keine Aussagekraft im Hinblick auf das Bestehen der für den Betriebsstättenbegriff notwendigen Verfügungsmacht an den von der Entflechtung betroffenen Geschäftseinrichtungen zukommt,
  • aus der Verpflichtung des Netzbetreibers zum Abschluss eines Transportvertrages keine Verfügungsbefugnis des Transportkunden über das Netz folgt,
  • eine Mitunternehmerstellung des Energieversorgungsunternehmens beim Netzbetreiber im Hinblick auf das Energieversorgungsgeschäft keine Betriebsstätten des Energieversorgers in den Betriebsstätten des Netzbetreibers begründet.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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