Günstigerprüfung bei Kapitaleinkünften ist auch noch nach Eintritt der Bestandskraft möglich
FG Münster 22.3.2013, 4 K 3386/12 EDie Kläger sind Eheleute, die für das Streitjahr 2010 zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Sie sind kirchensteuerpflichtig. In ihrer im Mai 2011 abgegebenen Einkommensteuererklärung für 2010 erklärten sie jeweils Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, die Klägerin zudem solche aus Gewerbebetrieb. Eine Anlage KAP reichten die Kläger nicht ein.
Das Finanzamt hatte die Einkommensteuer der Kläger zunächst auf 0,- € festgesetzt und war damit den Angaben in der Steuererklärung gefolgt. Später erklärten die Kläger Kapitaleinkünfte nach. Um die Anrechnung der 25%igen Kapitalertragsteuer zu erreichen, beantragten sie zugleich die Besteuerung mit dem individuellen Steuersatz im Rahmen der Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG. Das Finanzamt lehnte die Durchführung einer Günstigerprüfung ab und erließ einen gem. § 173 Abs. 1 Nr. 1 AO geänderten Einkommensteuerbescheid, in dem es in Bezug auf die nacherklärten Kapitaleinkünfte Kirchensteuer erhob. Hierdurch änderte sich auch die Einkommensteuerfestsetzung und der Solidaritätszuschlag gem. § 32d Abs. 1 S. 3 EStG.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision wurde nicht zugelassen.
Die Gründe:
Die Ablehnung der Durchführung einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 S. 1 EStG war ebenso rechtswidrig wie die durch den geänderten Einkommensteuerbescheid vollzogene Einbeziehung der nacherklärten Kapitalerträge zum pauschalen Abgeltungsteuersatz von 25 % gem. § 32d Abs. 1 S. 1 EStG. Die Kläger haben einen Anspruch auf Besteuerung der Kapitalerträge zum tariflichen Einkommensteuersatz gem. § 32d Abs. 6 S. 1 EStG i.V.m. § 32a Abs. 1 und Abs. 5 EStG.
Rechtlich noch nicht abschließend geklärt ist zwar, bis zu welchem Zeitpunkt ein Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 S. 1 EStG wirksam gestellt werden kann. Das Gesetz regelt dies nicht. In den Erläuterungen zum Entwurf eines Unternehmensteuerreformgesetzes 2008 heißt es hierzu schlicht, dass der Steuerpflichtige den Antrag "im Rahmen seiner Veranlagung" geltend zu machen habe. Die umstrittene Frage, ob der Antrag auf Durchführung der Günstigerprüfung noch bis zum Ablauf der Festsetzungsverjährung oder lediglich bis zum Eintritt der Bestandskraft gestellt werden kann, konnte allerdings offen bleiben, weil die Kläger bereits deshalb einen entsprechenden Anspruch haben, da das Finanzamt durch die Erhöhung der Einkommensteuer die Bestandskraft durchbrochen und damit das "Tor" zur Günstigerprüfung nachträglich geöffnet hatte.
Dies ist auch deshalb konsequent, da das Finanzamt im Rahmen der Änderungsfestsetzung die Kapitalerträge in das Besteuerungsergebnis aufnahm - und zwar zum Steuersatz von 25 %. Er verhielt sich sowohl im Festsetzungs- als auch im Anrechnungsteil des geänderten Einkommensteuerbescheides so, als habe er eine Steuerfestsetzung nach § 32d Abs. 4 i.V.m. Abs. 3 S. 2 EStG vorgenommen. Unerheblich war insoweit, dass die Steuerbehörde womöglich nicht beabsichtigte, neben einer nachträglichen Festsetzung von Kirchensteuer auch Einkommensteuer auf die nacherklärten Kapitalerträge festzusetzen. Entscheidend war vielmehr die formelle Bescheidlage, mit der das Finanzamt im Änderungsbescheid die Einkommensteuer tenorierte.
Zwar ist bislang ungeklärt, bis zu welchem Zeitpunkt ein Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 S. 1 EStG wirksam gestellt werden kann. Streitiger Zeitraum ist insoweit allerdings nur derjenige ab Unanfechtbarkeit der Steuerfestsetzung. Offensichtlich lässt es auch die Finanzverwaltung genügen, dass die Antragstellung innerhalb der Einspruchsfrist erfolgt. Insofern kann es unter Beachtung der Grenzen des § 351 Abs. 1 AO keine Rolle spielen, ob es sich um einen Einspruch gegen den Ursprungsbescheid oder gegen einen geänderten Bescheid handelt.
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