17.08.2023

Haftung für Lohnsteuer - Zufluss von Arbeitslohn bei Wertguthaben

Arbeitslohn (hier: Entlassungsentschädigung) fließt dem Arbeitnehmer auch dann nicht zu, wenn die Vereinbarung über die Zuführung zu einem Wertguthaben des Arbeitnehmers oder die vereinbarungsgemäße Übertragung des Wertguthabens auf die DRV Bund sozialversicherungsrechtlich unwirksam sein sollten, soweit alle Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis gleichwohl eintreten und bestehen lassen.

Kurzbesprechung
BFH v. 3.5.2023 - IX R 25/21

EStG § 11 Abs 1 S 4, § 24 Nr. 1 Buchst a, § 38 Abs 3 S 3, § 38a Abs 1 S 3, § 42d Abs 1 Nr. 1
SGB 4 § 7f Abs 1 S 1 Nr. 2,
AO § 41 Abs 1 S 1
BGB §§ 812ff


Im Streitfall ging es um die Frage, ob der Arbeitgeber nach § 42d EStG in Haftung genommen werden konnte, weil an die Deutsche Rentenversicherung Bund (DRV Bund) gezahlten Abfindungsbeträge nicht dem Lohnsteuerabzug unterworfen worden waren. Nach Auffassung des FA hätten sie nach Beendigung der Arbeitsverhältnisse nicht mehr wirksam einem eingerichteten Langzeitkonto zugeführt werden können. Im Revisionsverfahren hob der BFH den vom FA erlassenen Lohnsteuer - Haftungsbescheid auf, da es am Zufluss von Arbeitslohn mangelte.

Für den Zufluss von Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit verweist § 11 Abs. 1 Satz 4 EStG auf § 38a Abs. 1 Satz 2 und 3 EStG. Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird (sonstige Bezüge), wird gemäß § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG in dem Kalenderjahr bezogen, in dem er dem Arbeitnehmer zufließt. Nur tatsächlich zugeflossener Arbeitslohn unterliegt der Einkommensteuer und dem Lohnsteuerabzug.

Die streitgegenständlichen Abfindungen aus Anlass der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gehörten bei den Arbeitnehmern der Steuerpflichtigen zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 EStG) und sind lohnsteuerrechtlich Arbeitslohn (sonstige Bezüge). Dabei handelte es sich um Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen aus der vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt worden waren (§ 24 Nr. 1 Buchst. a EStG).

Arbeitslohn ist mit der Erlangung der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zugeflossen. Zuflusszeitpunkt ist der Tag der Erfüllung des Anspruchs des Arbeitnehmers, also der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber die geschuldete Leistung tatsächlich erbringt.

Gutschriften auf einem Wertguthabenkonto sind kein gegenwärtig zufließender Arbeitslohn. Denn durch die Zuführung von Arbeitslohn zu einem Wertguthabenkonto wird der Anspruch des Arbeitnehmers nicht erfüllt. Vielmehr erwirbt der Arbeitnehmer anstelle des fälligen Lohnanspruchs einen noch nicht fälligen Anspruch auf zukünftige Lohnzahlung gegen den Arbeitgeber. Die Leistung des Arbeitgebers auf das Wertguthabenkonto dient nur der Absicherung des zukünftigen Anspruchs. Eine zum Zufluss führende Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten liegt nicht vor.

Zum Zufluss führt auch nicht der Abschluss der Vereinbarung über die Zuführung von Lohnbestandteilen zu einem Wertguthabenkonto (Wertguthabenvereinbarung). Darin liegt weder eine zum Zufluss führende Novation noch eine Lohnverwendungsabrede. Zum Zufluss von Arbeitslohn kommt es erst, wenn das Wertguthaben unter den vereinbarten Bedingungen an den Arbeitnehmer ausgezahlt wird.

Das gilt in gleicher Weise, wenn das Wertguthaben gemäß § 7f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV auf die DRV Bund übertragen worden ist. Die Arbeitgeberpflichten zur Einbehaltung und Abführung der bis dahin nicht erhobenen Lohnsteuer treffen die DRV Bund, sobald das Wertguthaben in Anspruch genommen wird (§ 38 Abs. 3 Satz 3 EStG).

Der BFH stellte heraus, dass es für die Frage des Zuflusses unerheblich ist, ob die streitigen Wertguthabenvereinbarungen unwirksam waren. Denn der Sachverhalt wäre steuerrechtlich wegen § 41 AO jedenfalls so zu behandeln, als ob sie wirksam waren. Danach fehlte es am Zufluss durch eine Gutschrift in den Büchern des Verpflichteten, weil zumindest steuerlich von einer aufgeschobenen Fälligkeit des Abfindungsanspruchs auszugehen wäre, soweit er vereinbarungsgemäß dem Langzeitkonto zugeführt werden sollte. Demgemäß konnten die Arbeitnehmer im streitigen Zeitraum nicht über die Abfindungsbeträge verfügen. Die Voraussetzungen, unter denen sie Leistungen aus dem Langzeitkonto in Anspruch nehmen konnten, lagen nicht vor. Da sich im Streitfall alle Beteiligten so verhielten, als ob die Vereinbarungen wirksam waren, konnten die Arbeitnehmer auf die nicht an sie ausgezahlten Abfindungen nicht zugreifen, so dass im Streitfall die Lohnsteuer nicht entstanden war.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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