Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §§ 7 ff. AStG: Verfassungs- und unionsrechtliche Zweifel
Kurzbesprechung
BFH-Beschluss v. 13.9.2023 - I B 11/22 (AdV)
AStG § 7 Abs 1, § 8 Abs 1, § 8 Abs 3, § 10 Abs 1
FGO § 69 Abs 3, § 128 Abs 3
AEUV Art 63
EURL 2016/1164 Art 8 Abs 7,
KStG § 1 Abs 1 Nr. 1, § 1 Abs 1 Nr. 2, § 1 Abs 1 Nr. 3
Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist (ausländische Gesellschaft), zu mehr als der Hälfte beteiligt, so sind die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, bei jedem von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt (§ 7 Abs. 1 AStG).
Eine ausländische Gesellschaft ist im Sinne von § 7 Abs. 1 AStG Zwischengesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung durch eine Ertragsteuerbelastung von weniger als 25 % (ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht, § 8 Abs. 3 Satz 1 AStG) unterliegen und nicht aus jenen Einkünften stammen, die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 AStG aufgelistet sind (§ 8 Abs. 1 Halbsatz 1 AStG). Die hiernach steuerpflichtigen Einkünfte sind bei dem unbeschränkt Steuerpflichtigen mit dem Betrag, der sich nach Abzug der Steuern ergibt, die zu Lasten der ausländischen Gesellschaft von diesen Einkünften sowie von dem diesen Einkünften zugrunde liegenden Vermögen erhoben worden sind, anzusetzen (Hinzurechnungsbetrag, § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG). Der Hinzurechnungsbetrag gehört zu den Einkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und gilt unmittelbar nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahrs der ausländischen Gesellschaft als zugeflossen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG). Die Besteuerungsgrundlagen für die Anwendung der §§ 7 bis 14 AStG werden nach Maßgabe des § 18 AStG gesondert festgestellt.
Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für eine Hinzurechnung vor. Allerdings werden im Schrifttum verfassungsrechtliche und unter Hinweis auf die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2008, Nr. C 115, 47) und das Vollanrechnungsgebot des Art. 8 Abs. 7 der Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.07.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts ‑‑ATAD‑‑ (ABlEU 2016, Nr. L 193, 1) unionsrechtliche Zweifel hinsichtlich der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §§ 7 ff. AStG daraus abgeleitet, dass bei unbeschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG für das Jahr 2016 die niedrigste Gesamtsteuerbelastung in Deutschland ‑ unter Einbeziehung der Gewerbesteuer ‑ bei 22,825 % (15 % Körperschaftsteuer gemäß § 23 Abs. 1 KStG, 0,825 % Solidaritätszuschlag gemäß § 4 Satz 1 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 in der für das Feststellungsjahr geltenden Fassung und 7 % Gewerbesteuer bei einem nach § 16 Abs. 4 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes gesetzlich angeordneten "Mindesthebesatz" von 200 %) liegt, während die Niedrigsteuerschwelle des § 8 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AStG bei 25 % ansetzt und damit signifikant höher ist.
Diese Zweifel hält der BFH gleichwohl für nicht geeignet, um die geltend gemachte Aussetzung der Vollziehung zu rechtfertigen. Entsprechendes gilt für die angeführten unionsrechtlichen Zweifel. Denn auch ein vom EuGH erkannter Unionsrechtsverstoß der Hinzurechnungsbesteuerung würde nicht zu einer vollständigen Unanwendbarkeit oder Nichtigkeit der nationalen Vorschriften führen; vielmehr würde nach der vom BFH vertretenen sog. geltungserhaltenden Reduktion unter Beachtung des Anwendungsvorrangs des Primärrechts vor nationalem Recht der Unionsrechtswidrigkeit durch das "Hineinlesen" der vom EuGH verbindlich formulierten unionsrechtlichen Erfordernisse in die betroffene Norm Rechnung getragen.
Auch die weiteren unionsrechtlichen Darlegungen der Antragsteller reichten nicht aus, um eine Aussetzung der Vollziehung zu rechtfertigen. So hat der BFH bereits entschieden, dass die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten vereinbar ist.
Der sinngemäße Einwand der Antragsteller, das FA könne bei "inländischen Erklärungsverpflichteten" den Sachverhalt aus eigener Kenntnis und ohne Auskunftsersuchen gegenüber den ausländischen Behörden beurteilen, führt zu keinem anderen Ergebnis, denn nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es für die Rechtfertigungsprüfung (allein) darauf an, ob ein "rechtlicher Rahmen" besteht, der insbesondere vertragliche Verpflichtungen vorsieht, die es den Steuerbehörden des Ansässigkeitsstaats ermöglichen können, die Richtigkeit der Informationen in Bezug auf die betreffende Gesellschaft zu überprüfen.
Schließlich folgte der BFH auch nicht den Erwägungen der Antragsteller im Hinblick auf die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen passiven und aktiven Tätigkeiten. Denn im Rahmen einer unionsrechtlichen Prüfung der Hinzurechnungsbesteuerung ist keine Vergleichspaarbildung zwischen Gesellschaften mit aktiven und passiven Tätigkeiten maßgebend. Bei einer derartigen Vergleichspaarbildung wäre das für eine unionsrechtliche Prüfung erforderliche grenzüberschreitende Element nicht abgebildet.
Verlag Dr. Otto Schmidt
AStG § 7 Abs 1, § 8 Abs 1, § 8 Abs 3, § 10 Abs 1
FGO § 69 Abs 3, § 128 Abs 3
AEUV Art 63
EURL 2016/1164 Art 8 Abs 7,
KStG § 1 Abs 1 Nr. 1, § 1 Abs 1 Nr. 2, § 1 Abs 1 Nr. 3
Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an einer Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse im Sinne des Körperschaftsteuergesetzes (KStG), die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich dieses Gesetzes hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuerpflicht ausgenommen ist (ausländische Gesellschaft), zu mehr als der Hälfte beteiligt, so sind die Einkünfte, für die diese Gesellschaft Zwischengesellschaft ist, bei jedem von ihnen mit dem Teil steuerpflichtig, der auf die ihm zuzurechnende Beteiligung am Nennkapital der Gesellschaft entfällt (§ 7 Abs. 1 AStG).
Eine ausländische Gesellschaft ist im Sinne von § 7 Abs. 1 AStG Zwischengesellschaft für Einkünfte, die einer niedrigen Besteuerung durch eine Ertragsteuerbelastung von weniger als 25 % (ohne dass dies auf einem Ausgleich mit Einkünften aus anderen Quellen beruht, § 8 Abs. 3 Satz 1 AStG) unterliegen und nicht aus jenen Einkünften stammen, die in § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 9 AStG aufgelistet sind (§ 8 Abs. 1 Halbsatz 1 AStG). Die hiernach steuerpflichtigen Einkünfte sind bei dem unbeschränkt Steuerpflichtigen mit dem Betrag, der sich nach Abzug der Steuern ergibt, die zu Lasten der ausländischen Gesellschaft von diesen Einkünften sowie von dem diesen Einkünften zugrunde liegenden Vermögen erhoben worden sind, anzusetzen (Hinzurechnungsbetrag, § 10 Abs. 1 Satz 1 AStG). Der Hinzurechnungsbetrag gehört zu den Einkünften im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) und gilt unmittelbar nach Ablauf des maßgebenden Wirtschaftsjahrs der ausländischen Gesellschaft als zugeflossen (§ 10 Abs. 2 Satz 1 AStG). Die Besteuerungsgrundlagen für die Anwendung der §§ 7 bis 14 AStG werden nach Maßgabe des § 18 AStG gesondert festgestellt.
Im Streitfall lagen die Voraussetzungen für eine Hinzurechnung vor. Allerdings werden im Schrifttum verfassungsrechtliche und unter Hinweis auf die Kapitalverkehrsfreiheit des Art. 63 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union in der Fassung des Vertrags von Lissabon zur Änderung des Vertrags über die Europäische Union und des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (Amtsblatt der Europäischen Union ‑‑ABlEU‑‑ 2008, Nr. C 115, 47) und das Vollanrechnungsgebot des Art. 8 Abs. 7 der Richtlinie (EU) 2016/1164 des Rates vom 12.07.2016 mit Vorschriften zur Bekämpfung von Steuervermeidungspraktiken mit unmittelbaren Auswirkungen auf das Funktionieren des Binnenmarkts ‑‑ATAD‑‑ (ABlEU 2016, Nr. L 193, 1) unionsrechtliche Zweifel hinsichtlich der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §§ 7 ff. AStG daraus abgeleitet, dass bei unbeschränkt Steuerpflichtigen im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG für das Jahr 2016 die niedrigste Gesamtsteuerbelastung in Deutschland ‑ unter Einbeziehung der Gewerbesteuer ‑ bei 22,825 % (15 % Körperschaftsteuer gemäß § 23 Abs. 1 KStG, 0,825 % Solidaritätszuschlag gemäß § 4 Satz 1 des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 in der für das Feststellungsjahr geltenden Fassung und 7 % Gewerbesteuer bei einem nach § 16 Abs. 4 Satz 2 des Gewerbesteuergesetzes gesetzlich angeordneten "Mindesthebesatz" von 200 %) liegt, während die Niedrigsteuerschwelle des § 8 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 AStG bei 25 % ansetzt und damit signifikant höher ist.
Diese Zweifel hält der BFH gleichwohl für nicht geeignet, um die geltend gemachte Aussetzung der Vollziehung zu rechtfertigen. Entsprechendes gilt für die angeführten unionsrechtlichen Zweifel. Denn auch ein vom EuGH erkannter Unionsrechtsverstoß der Hinzurechnungsbesteuerung würde nicht zu einer vollständigen Unanwendbarkeit oder Nichtigkeit der nationalen Vorschriften führen; vielmehr würde nach der vom BFH vertretenen sog. geltungserhaltenden Reduktion unter Beachtung des Anwendungsvorrangs des Primärrechts vor nationalem Recht der Unionsrechtswidrigkeit durch das "Hineinlesen" der vom EuGH verbindlich formulierten unionsrechtlichen Erfordernisse in die betroffene Norm Rechnung getragen.
Auch die weiteren unionsrechtlichen Darlegungen der Antragsteller reichten nicht aus, um eine Aussetzung der Vollziehung zu rechtfertigen. So hat der BFH bereits entschieden, dass die Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit den unionsrechtlichen Grundfreiheiten vereinbar ist.
Der sinngemäße Einwand der Antragsteller, das FA könne bei "inländischen Erklärungsverpflichteten" den Sachverhalt aus eigener Kenntnis und ohne Auskunftsersuchen gegenüber den ausländischen Behörden beurteilen, führt zu keinem anderen Ergebnis, denn nach der Rechtsprechung des EuGH kommt es für die Rechtfertigungsprüfung (allein) darauf an, ob ein "rechtlicher Rahmen" besteht, der insbesondere vertragliche Verpflichtungen vorsieht, die es den Steuerbehörden des Ansässigkeitsstaats ermöglichen können, die Richtigkeit der Informationen in Bezug auf die betreffende Gesellschaft zu überprüfen.
Schließlich folgte der BFH auch nicht den Erwägungen der Antragsteller im Hinblick auf die gesetzgeberische Unterscheidung zwischen passiven und aktiven Tätigkeiten. Denn im Rahmen einer unionsrechtlichen Prüfung der Hinzurechnungsbesteuerung ist keine Vergleichspaarbildung zwischen Gesellschaften mit aktiven und passiven Tätigkeiten maßgebend. Bei einer derartigen Vergleichspaarbildung wäre das für eine unionsrechtliche Prüfung erforderliche grenzüberschreitende Element nicht abgebildet.