Immobilienwertnachweis durch Gutachten
Kurzbesprechung
BFH v. 14.10.2020 - II R 7/18
BewG § 9, § 183, § 194, § 198
BauGB § 192, § 199
ImmoWertV § 8, I § 14, § 24
WertR 2006 Nr. 4.3.3.2.1
Nach § 157 Abs. 3 Satz 1 BewG sind u.a. für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens die Grundbesitzwerte unter Anwendung der §§ 176 bis 198 BewG zu ermitteln. Ist das Grundstück mit einem Erbbaurecht belastet, sind gemäß § 192 Satz 1 BewG die Werte für die wirtschaftliche Einheit Erbbaurecht nach § 193 BewG und für die wirtschaftliche Einheit des belasteten Grundstücks nach § 194 BewG gesondert zu ermitteln. Letzteres ist das Erbbaugrundstück.
§ 194 BewG enthält zwei im Stufenverhältnis stehende Methoden. Nach § 194 Abs. 1 BewG ist der Wert des Erbbaugrundstücks in erster Linie im Vergleichswertverfahren nach § 183 BewG zu ermitteln, entweder auf der Grundlage von Vergleichskaufpreisen nach § 183 Abs. 1 BewG, die von den Gutachterausschüssen i.S. der §§ 192 ff. BauGB mitgeteilt werden, oder mit Hilfe von aus Kaufpreisen abgeleiteten Vergleichsfaktoren, die von den Gutachterausschüssen ermittelt und mitgeteilt werden. Liegen weder Vergleichskaufpreise noch Vergleichsfaktoren vor, setzt sich der Wert nach der von der Finanzverwaltung so bezeichneten finanzmathematischen Methode des § 194 Abs. 2 BewG aus dem Bodenwertanteil nach § 194 Abs. 3 BewG und ggf. einem Gebäudewertanteil nach § 194 Abs. 4 BewG zusammen.
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, so ist nach § 198 Satz 1 BewG dieser Wert anzusetzen. In formeller Hinsicht kann dieser Nachweis u.a. durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erbracht werden. Ob das Gutachten tatsächlich den Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung. Diese setzt voraus, dass dem Gutachten ohne weitere Aufklärungs- und Ermittlungsmaßnahmen gefolgt werden kann, insbesondere ohne Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Zur Ordnungsmäßigkeit des Gutachtens rechnet sowohl dessen methodische Qualität als auch eine zutreffende Erhebung und Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen.
Materiell-rechtlich gelten für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts nach § 198 Satz 2 BewG grundsätzlich die auf Grund des § 199 Abs. 1 BauGB erlassenen Vorschriften. Wie deren Eingangsformel zeigt, handelt es sich dabei um die ImmoWertV, die nach ihrem § 24 Satz 1 am 01.07.2010 in Kraft getreten ist. Die ImmoWertV regelt die Wertermittlung von Erbbaugrundstücken nicht ausdrücklich. Ihrer Systematik nach lässt sie die Wertermittlung über eine finanzmathematische Methode zu.
Auch die materiell-rechtlichen Wertermittlungsgrundsätze des § 8 ImmoWertV zeigen, dass die finanzmathematische Methode als Kombination verschiedener Wertermittlungsarten grundsätzlich möglich ist. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 ImmoWertV sind zur Ermittlung des Verkehrswerts das Vergleichswertverfahren (§ 15 ImmoWertV) einschließlich des Verfahrens zur Bodenwertermittlung (§ 16 ImmoWertV), das Ertragswertverfahren (§§ 17 bis 20 ImmoWertV), das Sachwertverfahren (§§ 21 bis 23 ImmoWertV) oder mehrere dieser Verfahren heranzuziehen. Die Wahl des Verfahrens erfolgt nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 Satz 2 ImmoWertV.
Der Verkehrswert ist nach § 8 Abs. 1 Satz 3 ImmoWertV aus dem Ergebnis des oder der herangezogenen Verfahren unter Würdigung seines oder ihrer Aussagefähigkeit zu ermitteln. Diese Vorschrift stellt in doppelter Hinsicht klar, dass bei der Wertermittlung für ein bestimmtes Wertermittlungsobjekt nicht zwingend eines der drei Wertermittlungsverfahren zu wählen ist, sondern dass dabei auch zwei oder drei dieser Verfahren zum Zuge kommen können, zum einen mit den Worten "oder mehrere dieser Verfahren", zum anderen mit der Wendung "des oder der herangezogenen Verfahren". Die Verwendung mehr als eines Verfahrens ist einerseits als Durchschnitt, andererseits als Synthese von Bausteinen verschiedener Wertermittlungsmethoden vorstellbar, solange dies den Vorgaben des § 8 Abs. 1 Sat 2 ImmoWertV entspricht. Dabei sind alle Wertbestandteile nach Maßgabe der ImmoWertV zu ermitteln. Die Typisierungen und Pauschalisierungen des BewG finden keine Anwendung. Die Liegenschaftszinssätze sind nach § 14 Abs. 3 ImmoWertV zu ermitteln.
Im Streitfall konnte dahinstehen, ob im Rahmen der typisierten Bewertung nach § 194 BewG das Vergleichswertverfahren des § 194 Abs. 1 BewG mit den durch die Steuerpflichtige beanstandeten Vergleichsfaktoren anzuwenden oder durch die finanzmathematische Methode des § 194 Abs. 2 bis 4 BewG zu ersetzen wäre. Es sind die beantragten niedrigeren Gutachtenwerte festzustellen.
Im Streitfall war das FG davon ausgegangen, dass die ImmoWertV die Anwendung einer finanzmathematischen Methode nicht erlaube. Dies entspricht nicht der Rechtslage. Die Wahl dieser Methode ist grundsätzlich zulässig. Insoweit hat das FG seiner Beweiswürdigung nicht zutreffende Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt.
Die Wahl der finanzmathematischen Methode war auch im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden. Der Gutachter hatte ausgeführt, warum er eine reine Vergleichswertmethode für ungeeignet, eine ertragsorientierte Methode für besser geeignet hält. Gegen diese Begründung war nichts zu erinnern.
Für die Frage, ob sich der gutachterliche Nachweis des gemeinen Werts auf eine andere Wertermittlung als das Vergleichswertverfahren stützen darf, ist es unerheblich, ob nach § 194 Abs. 1 BewG das Vergleichswertverfahren hätte Anwendung finden können und müssen. Während § 194 BewG einen gesetzlichen Vorrang des Vergleichswertverfahrens begründet, ist dies bei der Wertermittlung nach § 8 ImmoWertV nicht der Fall.
Verlag Dr. Otto Schmidt
BewG § 9, § 183, § 194, § 198
BauGB § 192, § 199
ImmoWertV § 8, I § 14, § 24
WertR 2006 Nr. 4.3.3.2.1
Nach § 157 Abs. 3 Satz 1 BewG sind u.a. für die wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens die Grundbesitzwerte unter Anwendung der §§ 176 bis 198 BewG zu ermitteln. Ist das Grundstück mit einem Erbbaurecht belastet, sind gemäß § 192 Satz 1 BewG die Werte für die wirtschaftliche Einheit Erbbaurecht nach § 193 BewG und für die wirtschaftliche Einheit des belasteten Grundstücks nach § 194 BewG gesondert zu ermitteln. Letzteres ist das Erbbaugrundstück.
§ 194 BewG enthält zwei im Stufenverhältnis stehende Methoden. Nach § 194 Abs. 1 BewG ist der Wert des Erbbaugrundstücks in erster Linie im Vergleichswertverfahren nach § 183 BewG zu ermitteln, entweder auf der Grundlage von Vergleichskaufpreisen nach § 183 Abs. 1 BewG, die von den Gutachterausschüssen i.S. der §§ 192 ff. BauGB mitgeteilt werden, oder mit Hilfe von aus Kaufpreisen abgeleiteten Vergleichsfaktoren, die von den Gutachterausschüssen ermittelt und mitgeteilt werden. Liegen weder Vergleichskaufpreise noch Vergleichsfaktoren vor, setzt sich der Wert nach der von der Finanzverwaltung so bezeichneten finanzmathematischen Methode des § 194 Abs. 2 BewG aus dem Bodenwertanteil nach § 194 Abs. 3 BewG und ggf. einem Gebäudewertanteil nach § 194 Abs. 4 BewG zusammen.
Weist der Steuerpflichtige nach, dass der gemeine Wert der wirtschaftlichen Einheit am Bewertungsstichtag niedriger ist als der nach den §§ 179, 182 bis 196 BewG ermittelte Wert, so ist nach § 198 Satz 1 BewG dieser Wert anzusetzen. In formeller Hinsicht kann dieser Nachweis u.a. durch Vorlage eines Gutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen erbracht werden. Ob das Gutachten tatsächlich den Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung. Diese setzt voraus, dass dem Gutachten ohne weitere Aufklärungs- und Ermittlungsmaßnahmen gefolgt werden kann, insbesondere ohne Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens. Zur Ordnungsmäßigkeit des Gutachtens rechnet sowohl dessen methodische Qualität als auch eine zutreffende Erhebung und Dokumentation der Begutachtungsgrundlagen.
Materiell-rechtlich gelten für den Nachweis des niedrigeren gemeinen Werts nach § 198 Satz 2 BewG grundsätzlich die auf Grund des § 199 Abs. 1 BauGB erlassenen Vorschriften. Wie deren Eingangsformel zeigt, handelt es sich dabei um die ImmoWertV, die nach ihrem § 24 Satz 1 am 01.07.2010 in Kraft getreten ist. Die ImmoWertV regelt die Wertermittlung von Erbbaugrundstücken nicht ausdrücklich. Ihrer Systematik nach lässt sie die Wertermittlung über eine finanzmathematische Methode zu.
Auch die materiell-rechtlichen Wertermittlungsgrundsätze des § 8 ImmoWertV zeigen, dass die finanzmathematische Methode als Kombination verschiedener Wertermittlungsarten grundsätzlich möglich ist. Nach § 8 Abs. 1 Satz 1 ImmoWertV sind zur Ermittlung des Verkehrswerts das Vergleichswertverfahren (§ 15 ImmoWertV) einschließlich des Verfahrens zur Bodenwertermittlung (§ 16 ImmoWertV), das Ertragswertverfahren (§§ 17 bis 20 ImmoWertV), das Sachwertverfahren (§§ 21 bis 23 ImmoWertV) oder mehrere dieser Verfahren heranzuziehen. Die Wahl des Verfahrens erfolgt nach Maßgabe von § 8 Abs. 1 Satz 2 ImmoWertV.
Der Verkehrswert ist nach § 8 Abs. 1 Satz 3 ImmoWertV aus dem Ergebnis des oder der herangezogenen Verfahren unter Würdigung seines oder ihrer Aussagefähigkeit zu ermitteln. Diese Vorschrift stellt in doppelter Hinsicht klar, dass bei der Wertermittlung für ein bestimmtes Wertermittlungsobjekt nicht zwingend eines der drei Wertermittlungsverfahren zu wählen ist, sondern dass dabei auch zwei oder drei dieser Verfahren zum Zuge kommen können, zum einen mit den Worten "oder mehrere dieser Verfahren", zum anderen mit der Wendung "des oder der herangezogenen Verfahren". Die Verwendung mehr als eines Verfahrens ist einerseits als Durchschnitt, andererseits als Synthese von Bausteinen verschiedener Wertermittlungsmethoden vorstellbar, solange dies den Vorgaben des § 8 Abs. 1 Sat 2 ImmoWertV entspricht. Dabei sind alle Wertbestandteile nach Maßgabe der ImmoWertV zu ermitteln. Die Typisierungen und Pauschalisierungen des BewG finden keine Anwendung. Die Liegenschaftszinssätze sind nach § 14 Abs. 3 ImmoWertV zu ermitteln.
Im Streitfall konnte dahinstehen, ob im Rahmen der typisierten Bewertung nach § 194 BewG das Vergleichswertverfahren des § 194 Abs. 1 BewG mit den durch die Steuerpflichtige beanstandeten Vergleichsfaktoren anzuwenden oder durch die finanzmathematische Methode des § 194 Abs. 2 bis 4 BewG zu ersetzen wäre. Es sind die beantragten niedrigeren Gutachtenwerte festzustellen.
Im Streitfall war das FG davon ausgegangen, dass die ImmoWertV die Anwendung einer finanzmathematischen Methode nicht erlaube. Dies entspricht nicht der Rechtslage. Die Wahl dieser Methode ist grundsätzlich zulässig. Insoweit hat das FG seiner Beweiswürdigung nicht zutreffende Rechtsgrundsätze zugrunde gelegt.
Die Wahl der finanzmathematischen Methode war auch im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden. Der Gutachter hatte ausgeführt, warum er eine reine Vergleichswertmethode für ungeeignet, eine ertragsorientierte Methode für besser geeignet hält. Gegen diese Begründung war nichts zu erinnern.
Für die Frage, ob sich der gutachterliche Nachweis des gemeinen Werts auf eine andere Wertermittlung als das Vergleichswertverfahren stützen darf, ist es unerheblich, ob nach § 194 Abs. 1 BewG das Vergleichswertverfahren hätte Anwendung finden können und müssen. Während § 194 BewG einen gesetzlichen Vorrang des Vergleichswertverfahrens begründet, ist dies bei der Wertermittlung nach § 8 ImmoWertV nicht der Fall.