22.03.2011

Keine Änderung von Steuerbescheiden zu Ungunsten des Steuerpflichtigen bei unzureichender Ermittlungsarbeit durch das Finanzamt

Die Änderung eines Steuerbescheids wegen "neuer Tatsachen" ist nicht möglich, wenn das Finanzamt seiner Ermittlungspflicht nicht nachgekommen ist. Dies gilt auch, wenn Angaben in der Steuererklärung offenkundig widersprüchlich sind und der Veranlagungsbeamte mithin hinreichend Anlass gehabt hätte, den sich daraus ergebenden Zweifeln nachzugehen und weitere Ermittlungen anzustellen.

FG Rheinland-Pfalz 22.2.2011, 3 K 2208/08
Der Sachverhalt:
Der Kläger hatte als Bezirksverkaufsleiter einen Bezirk von fünf bis neun Filialen zu betreuen. In seinen Einkommensteuererklärungen für die drei Streitjahre 2003 bis 2005 machte er keine Angaben zum ausgeübten Beruf, lediglich in der Steuererklärung 2004 gab er an, "Verkaufsleiter" zu sein. Er beantragte die Berücksichtigung von Werbungskosten bei seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte und zusätzlich Verpflegungsmehraufwendungen, wobei er jeweils eine Anlage "Reisekosten" mit Tagesberichten beifügte, die vom Veranlagungsbeamten u.a. mit dem Vermerk "Nachweise lagen vor" versehen wurde. Für 2005 legte er eine Anlage zu den Werbungskosten bei und vermerkte darauf "Reisekosten als Revisor lt. Wochenberichte", was vom Veranlagungsbeamten abgehakt wurde.

Nach einer Außenprüfung kam das beklagte Finanzamt zu der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Einsatzwechseltätigkeit - und damit für die Gewährung von Verpflegungsmehraufwendungen - nicht vorliegen würden, weil die verschiedenen Filialen als einheitliche regelmäßige Arbeitsstätte des Klägers zu beurteilen seien. Demgemäß ließ das Finanzamt in den geänderten Einkommensteuerbescheiden 2003 bis 2005 die bisher gewährten Verpflegungsmehraufwendungen i.H.v. jeweils rd. 2.800 € nicht mehr zum Abzug zu (d.h. es wurden nur noch die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte anerkannt).

Dabei vertrat das Finanzamt die Ansicht, die Änderungen der Steuerbescheide seien wegen "neuer Tatsachen" möglich, denn der Kläger sei seiner Steuererklärungs- und Mitwirkungspflicht nicht ausreichend nachgekommen. Wenn der Kläger dem gegenüber argumentiere, das beklagte Finanzamt habe den vorgelegten Steuererklärungen alle Informationen entnehmen können, um selbst festzustellen, ob es sich um eine Reisetätigkeit handele oder nicht, sei zu entgegnen, dass die Steuererklärung des Klägers als Arbeitnehmerfall im Rahmen eines Masseverfahrens nur einer eingeschränkten Ermittlungspflicht des Finanzamt unterliege.

Das FG gab der Klage statt. Die Revision zum BFH wurde nicht zugelassen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Die Gründe:
Das Finanzamt durfte keine geänderten Einkommensteuerbescheide 2003 bis 2005 erlassen.

Es ist zwar unstreitig, dass es sich bei dem Aufsuchen der Filialen nicht um eine Reisetätigkeit handelt, Verpflegungsmehraufwendungen also insofern grundsätzlich nicht anzusetzen sind. Eine Änderung der Bescheide ist aber auch bei Vorliegen "neuer Tatsachen" ausgeschlossen, wenn dem Finanzamt - wie im Streitfall - die nachträglich bekannte Tatsache bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflicht nicht verborgen geblieben wäre.

Die hier entscheidungserhebliche Tatsache, dass der Kläger als Bezirksverkaufsleiter einen Bezirk von 5 bis 9 Filialen zu betreuen hatte - mit der rechtlichen Schlussfolgerung, dass diese Filialen regelmäßige Arbeitstellen darstellen - war dem Finanzamt zwar nicht bekannt, wäre ihm aber bei ordnungsgemäßer Erfüllung der behördlichen Ermittlungspflicht bekannt geworden. Der Kläger hat zwar unzureichende Angaben zu dem ausgeübten Beruf gemacht, doch waren seine übrigen Angaben in den Steuererklärungen hinsichtlich der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte einerseits und zu Reisekosten andererseits offenkundig widersprüchlich. Der Veranlagungsbeamte hätte hinreichend Anlass gehabt, den sich daraus ergebenden Zweifeln nachzugehen und weitere Ermittlungen anzustellen oder den Kläger zu befragen.

Denn es stellt sich die Frage, wieso der Kläger eine hohe Zahl von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle geltend gemacht hat (199, 172 und 181 - 2003 bis 2005), wenn gleichzeitig eine hohe Zahl von Dienstreisen mit langen Abwesenheitszeiten von der Wohnung geltend gemacht wurde. Offenbar hat der Beamte den falschen rechtlichen Schluss gezogen, dass der Kläger neben seinen Fahrten zur Arbeitsstätte noch Dienstreisen durchgeführt hat. Es hätte sich aber aufgedrängt, dass der Veranlagungsbeamte beim Kläger nachfragt und ihn auffordert, eine schlüssige Erklärung zu seinen widersprüchlichen Angaben abzugeben. Dies ist aber unterblieben, womit der Beamte seine Amtsermittlungspflicht verletzt hat. Dieser hat die vorgelegten Unterlagen gesehen, abgehakt und die Erklärungen noch am Tage ihres Eingangs zur maschinellen Verarbeitung freigegeben.

FG Rheinland-Pfalz PM vom 22.3.2011
Zurück