04.05.2018

Keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit von Aussetzungszinsen

An der Rechtmäßigkeit von Aussetzungszinsen, insbesondere deren Höhe, bestehen keine ernstlichen Zweifel. Die Höhe der Aussetzungszinsen von 0,5 % für jeden Monat (6 % pro Jahr) verstößt weder gegen das Übermaßverbot noch gegen den allgemeinen Gleichheitssatz.

FG Baden-Württemberg 16.1.2018, 2 V 3389/16
Der Sachverhalt:
Gegen die Antragsteller, ein Ehepaar, ergingen im Oktober 2012 geänderte Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2007 bis 2010, die zu Steuernachforderungen von über 150.000 € führten. Das Finanzamt setzte im Januar 2013 die angefochtenen Einkommensteuerbescheide ohne Sicherheitsleistung von der Vollziehung aus. Im August 2016 änderte es die Einkommensteuerbescheide zu Gunsten der Antragsteller ab, wodurch sich die Steuernachforderungen auf etwa 100.000 € reduzierten.

Im September 2016 erließ das Finanzamt einen Bescheid über Aussetzungszinsen nach § 237 AO. Darin wurden für den Zeitraum ab November 2012 bis September 2016 Aussetzungszinsen i.H.v. insgesamt rd. 22.000 € festgesetzt. Hiergegen legten die Antragsteller Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der Vollziehung, was das Finanzamt ablehnte.

Das FG wies den Antrag auf Aussetzung der Vollziehung zurück. Die zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassene Beschwerde wird beim BFH unter dem Az. VIII B 15/18 geführt.

Die Gründe:
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der § 237 Abs. 1 S. 1 AO i.V.m. § 238 Abs. 1 S. 1 AO.

Hat ein Einspruch gegen einen Steuerbescheid endgültig keinen Erfolg, ist der geschuldete Betrag, hinsichtlich dessen die Vollziehung des angefochtenen Verwaltungsakts ausgesetzt wurde, mit 0,5 % Prozent monatlich zu verzinsen. Sinn und Zweck der Verzinsungspflicht nach § 237 AO ist es, den Nutzungsvorteil wenigstens zum Teil abzuschöpfen, den der Steuerpflichtige dadurch erhält, dass er während der Dauer der Aussetzung der Vollziehung über eine Geldsumme verfügt, die nach dem im angefochtenen Steuerbescheid konkretisierten materiellen Recht "an sich" dem Steuergläubiger zusteht. Außerdem hat die Verzinsungspflicht bei der Aussetzung der Vollziehung den Zweck, unnötige Steuerprozesse zu vermeiden. Die Festlegung eines Zinssatzes von 0,5 % Prozent monatlich ist hierfür geeignet, erforderlich und angemessen.

Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehalten, den gesetzlichen Zinssatz daran zu orientieren, welche Zinserträge am Kapitalmarkt zu erwirtschaften waren. Es ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, wenn er sich stattdessen daran orientiert, welche Zinsen der Steuerpflichtige für ein Darlehen hätte aufbringen müssen. Die Interessenlage bei Aussetzungszinsen unterscheidet sich deutlich von der bei der Verzinsung von Steuernachforderungen. Denn strukturell tritt der Staat bei der Gewährung einer Aussetzung der Vollziehung dem Steuerpflichtigen wie ein Darlehensgeber gegenüber. Der vom Gesetz hierfür statuierte Zinssatz von jährlich 6 % ist angesichts der üblichen Zinssätze nicht unverhältnismäßig. Darlehen konnten im streitigen Zeitraum zwar teilweise zu wesentlich günstigeren Konditionen aufgenommen werden; das aber galt vor allem für besicherte Darlehen zu Investitionszwecken. Für Konsumdarlehen wurden demgegenüber Zinssätze verlangt, die eine ähnliche Höhe hatten, wie der gesetzliche Zinssatz von 6 %.

Auch die Verzugs- oder Prozesszinsen nach § 288 BGB i.V.m. § 291 S. 2 BGB sind höher bzw. ähnlich hoch wie der gesetzliche Zinssatz von 6 % für Aussetzungszinsen. Nochmals höher sind die üblichen Bankzinsen für Dispokredite. Der Gesetzgeber ist von Verfassungs wegen nicht gehindert, sich bei der gesetzlichen Festlegung von Aussetzungszinsen am Dispozins oder auch dem zwischen Bürgern geltenden gesetzlichen Zinssatz für Verzugs- und Prozesszinsen zu orientieren, der gemittelt über 6 % jährlich liegt. Hinzu kommt, dass der Steuerpflichtige die Aussetzungszinsen zumindest im Regelfall vermeiden kann, indem er die Steuerschuld bezahlt und sich zu einem günstigeren Zinssatz anderweitig refinanziert. Ist dem Steuerpflichtigen das nicht möglich, so indiziert dies, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse schwierig sind und er wegen des damit verbundenen Risikos günstigere Zinssätze nicht erlangen kann. In diesen Fällen muss der Staat keine besonders günstigen, für den Betroffenen am Markt nicht zu erlangende Zinssätze, gewähren, obwohl ein Ausfall der Steuerforderung durch eine Insolvenz des Steuerschuldners droht.

Die gesetzliche Regelung zu den Aussetzungszinsen verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz. Es ist legitim, zwischen den Steuerschuldnern, die die festgesetzten Steuern sogleich bezahlen, und denjenigen, die Einspruch einlegen und eine Aussetzung der Vollziehung beantragen, zu differenzieren. Die sich daran anknüpfende Ungleichbehandlung überschreitet das zulässige Maß nicht. Im Privatrecht hat der Staat mit den Verzugs- und Prozesszinsen Zinssätze festgelegt, die denjenigen der Aussetzungszinsen nahekommen oder sie sogar übersteigen würden. Steuerpflichtige werden somit nicht schlechter behandelt als Bürger, die Forderungen anderer Bürger nicht begleichen und deshalb von Gesetzes wegen zinspflichtig werden.

Linkhinweis:

FG Baden-Württemberg NL vom 3.5.2018
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