Keine Heilung von Ermessensfehlern bei erstmaligen Ermessenserwägungen im Revisionsverfahren
BFH 15.5.2013, VI R 28/12Die klagende GmbH wurde im Streitjahr 2002 errichtet. Deren alleinige Gesellschafterin war zugleich Geschäftsführerin. Die Klägerin sagte der Gesellschafter-Geschäftsführerin durch Geschäftsführervertrag eine Weihnachtsgratifikation zu, behielt sich insoweit aber das Recht zum Widerruf vor. Nachdem die (Allein-)Gesellschafter-Geschäftsführerin im Oktober 2002 beschlossen hatte, für das Streitjahr 2002 keine Weihnachtsgratifikation zu gewähren, wurde diese auch nicht ausgezahlt.
Im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung nahm das Finanzamt die Klägerin mit Haftungsbescheid für Lohnsteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer neben weiteren, hier nicht streitigen Gründen auch hinsichtlich der auf die Weihnachtsgratifikation entfallenden Lohnsteuer in Anspruch, die von der Klägerin nicht einbehalten worden war.
Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt. Die Revision des Finanzamts hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das Finanzamt hat das ihm eingeräumte Ermessen nicht rechtsfehlerfrei ausgeübt.
Der Arbeitgeber haftet dafür, dass die von seinen Arbeitnehmern geschuldete Lohnsteuer einbehalten und an das Finanzamt abgeführt wird. Soweit die Haftung des Arbeitgebers reicht, sind er und die Arbeitnehmer gem. § 42d Abs. 3 S. 1 EStG Gesamtschuldner. Das Finanzamt kann die Steuerschuld oder die Haftungsschuld nach pflichtgemäßem Ermessen (§ 5 AO) gegenüber jedem Gesamtschuldner geltend machen (§ 42d Abs. 3 S. 2 EStG). Der vorliegende Haftungsbescheid verletzt die Klägerin insoweit in ihren Rechten, als das Finanzamt seiner Pflicht zur Ausübung des eingeräumten Ermessens nicht nachgekommen ist.
Denn es war sich jedenfalls hinsichtlich des Auswahlermessens dieser Pflicht bei Erlass des Haftungsbescheids unstreitig überhaupt nicht bewusst. Es hat sich in diesem Haftungsbescheid lediglich auf die Feststellung beschränkt, dass die Klägerin Lohnsteuer in unzutreffender Höhe einbehalten und abgeführt habe und ihre Inanspruchnahme - insbes. mangels entschuldbaren Rechtsirrtums - nicht unbillig sei.
Der Fehler, dass eine gebotene Ermessensausübung unterblieben ist, ist auch in der Folgezeit nicht geheilt worden. Nach § 102 S. 2 FGO kann die Finanzbehörde ihre Ermessenserwägungen hinsichtlich des Verwaltungsakts bis zum Abschluss der Tatsacheninstanz eines finanzgerichtlichen Verfahrens ergänzen. Im Streitfall hat das Finanzamt im Klageverfahren aber keine Ermessenserwägungen nachgeschoben. Denn es hat erstmals während des Revisionsverfahrens solche Ermessenserwägungen angestellt. Im Umkehrschluss aus § 102 S. 2 FGO können diese im Revisionsverfahren jedoch unabhängig davon nicht mehr berücksichtigt werden, dass eine Ergänzung im Sinne dieser Vorschrift zumindest ansatzweise zuvor angestellte Ermessenserwägungen vorausgesetzt hätte.
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