Keine nachträglich rückwirkende Anlaufhemmung bei nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gestelltem Antrag nach § 32d Abs. 4 bzw. Abs. 6 EStG
FG Berlin-Brandenburg 30.1.2020, 4 K 4033/19
Der Sachverhalt:
Die (kirchensteuerpflichtige) Klägerin ist ledig hatte im Streitjahr 20010 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie aus Kapitalvermögen i.H.v. 10.714 €, die nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG vollumfänglich dem abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug unterlagen. Am 17.11.2017 gab sie erstmals eine Einkommensteuererklärung für 2010 ab, mit der sie den Antrag stellte, ihre Kapitalerträge nach § 32d Abs. 6 EStG gemäß den allgemeinen Regelungen mit ihrem persönlichen Steuersatz zu besteuern (Günstigerprüfung). Die Steuerbescheinigungen über Einbehalt und Abführung der Kapitalertragsteuer stammten aus dem Jahr 2011.
Mit Schreiben vom 19.12.2017- das eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt - lehnte das Finanzamt die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr mit der Begründung ab, es sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Zeitgleich setzte es auf den Antrag der Klägerin hin hinsichtlich der auf die Kapitalerträge entfallenden Kapitalertragsteuer (2.145 €) 9 % evangelische Kirchensteuer i.H.v. 193,05 €.
Mit ihrem Schreiben vom 19.1.2018 wandte die Klägerin sich im Wege des Einspruchs gegen die ablehnende Entscheidung des Finanzamtes. Zur Begründung verwies sie auf einen rechtskräftigen Gerichtsbescheid des Sächsischen FG vom 16.11.2017, 6 K 1271/17. Daraus sei zu schlussfolgern, dass mit dem Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG die Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer entfalle. Dies habe zur Folge, dass ein Pflichtveranlagungsfall i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorliege, für den eine dreijährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO ausgelöst werde. Dem folgend habe die Festsetzungsfrist hier nicht vor Ablauf des 31.12.2017 enden können, so dass der Antrag auf Günstigerprüfung festsetzungsfristwahrend eingegangen sei und seinerseits eine Ablaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO ausgelöst habe.
Das FG hat die Verpflichtungsklage abgewiesen. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen, weil der Senat mit der Entscheidung von dem als Urteil wirkenden Gerichtsbescheid des Sächsischen FG vom 16.11.2017 (s.o.) abweicht.
Die Gründe:
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung, da die reguläre (vierjährige) Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bereits verstrichen war, so dass für das Streitjahr bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.
Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Im Streitfall entstand der Anspruch auf Einkommensteuer nach § 36 Abs. 1 EStG i.V.m. § 38 AO somit mit Ablauf des Jahres 2010 und endete dementsprechend am 31.12.2014. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist zwar hiervon abweichend dann, wenn eine Steuererklärung oder Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung, Anmeldung oder die Anzeige eingereicht bzw. erstattet wird, und spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Der Anlauf der Festsetzungsfrist ist allerdings dann nicht gehemmt, wenn keine Steuererklärung einzureichen ist.
Ein solcher Pflichtveranlagungsfall lag hier aber nicht vor, denn bis zum Ende der allgemeinen Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2014 bestand mangels Veranlagungstatbestandes gem. § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG keine Steuererklärungspflicht. Die erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingereichte Einkommensteuererklärung konnte hier auch nicht mehr nachträglich eine rückwirkende Hemmung des Beginns der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bewirken. Zwar führte der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG dazu, dass die durch den Kapitalertragsteuerabzug abgegoltenen besteuerten Kapitalerträge (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG) aufgrund des Veranlagungswahlrechts nunmehr nach den allgemeinen Regelungen zu besteuern sind. Allerdings vermochte der erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellte Antrag nach § 32d Abs. 6 EStG auf Günstigerprüfung eine Verpflichtung des Beklagten zur Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG wegen der Überschreitung der dort normierten 410 €-Grenze, nicht zu begründen.
Ebenso wie eine behördliche Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung den Anlauf der Festsetzungsfrist dann nicht mehr hemmt, wenn sie dem Steuerpflichtigen erst nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO zugeht, gilt dies gleichermaßen für den Fall, dass der Steuerpflichtige eine solche Pflicht durch seinen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. V. m. § 32d Abs. 6 EStG herbeiführt. Zudem hat der BFH zuletzt ausgeführt (vgl. Urteil v. 21.8.2019, X R 16/17, dass der Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG kein rückwirkendes Ereignis darstelle, sofern die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs. 4 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft vorgelegen hätten.
Dies galt vorliegend gleichermaßen für das aus § 32d Abs. 6 EStG folgende Günstigerprinzip und so lag der Fall auch hier. Die Klägerin hätte ihr Wahlrecht nach § 32d Abs. 6 EStG ohne weiteres innerhalb der regulären Festsetzungsfrist bis zum Ablauf des 31.12.2014 ausüben können, denn die Steuerbescheinigungen lagen ihr innerhalb dieses Zeitraums vollständig vor. Damit erlosch der Anspruch aus dem Schuldverhältnis zum 31.12.2014 und wurde die Belastung der Kapitalerträge mit dem die Einkommensteuer abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug definitiv. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für das aus § 32d Abs. 4 EStG folgende Veranlagungswahlrecht, so dass der Senat insoweit auf die vorstehenden Ausführungen verweisen konnte.
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Die (kirchensteuerpflichtige) Klägerin ist ledig hatte im Streitjahr 20010 Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit sowie aus Kapitalvermögen i.H.v. 10.714 €, die nach § 43 Abs. 5 Satz 1 EStG vollumfänglich dem abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug unterlagen. Am 17.11.2017 gab sie erstmals eine Einkommensteuererklärung für 2010 ab, mit der sie den Antrag stellte, ihre Kapitalerträge nach § 32d Abs. 6 EStG gemäß den allgemeinen Regelungen mit ihrem persönlichen Steuersatz zu besteuern (Günstigerprüfung). Die Steuerbescheinigungen über Einbehalt und Abführung der Kapitalertragsteuer stammten aus dem Jahr 2011.
Mit Schreiben vom 19.12.2017- das eine Rechtsbehelfsbelehrung enthielt - lehnte das Finanzamt die Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr mit der Begründung ab, es sei bereits Festsetzungsverjährung eingetreten. Zeitgleich setzte es auf den Antrag der Klägerin hin hinsichtlich der auf die Kapitalerträge entfallenden Kapitalertragsteuer (2.145 €) 9 % evangelische Kirchensteuer i.H.v. 193,05 €.
Mit ihrem Schreiben vom 19.1.2018 wandte die Klägerin sich im Wege des Einspruchs gegen die ablehnende Entscheidung des Finanzamtes. Zur Begründung verwies sie auf einen rechtskräftigen Gerichtsbescheid des Sächsischen FG vom 16.11.2017, 6 K 1271/17. Daraus sei zu schlussfolgern, dass mit dem Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG die Abgeltungswirkung der Kapitalertragsteuer entfalle. Dies habe zur Folge, dass ein Pflichtveranlagungsfall i.S.d. § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG vorliege, für den eine dreijährige Anlaufhemmung nach § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO ausgelöst werde. Dem folgend habe die Festsetzungsfrist hier nicht vor Ablauf des 31.12.2017 enden können, so dass der Antrag auf Günstigerprüfung festsetzungsfristwahrend eingegangen sei und seinerseits eine Ablaufhemmung nach § 170 Abs. 3 AO ausgelöst habe.
Das FG hat die Verpflichtungsklage abgewiesen. Allerdings wurde die Revision zum BFH zugelassen, weil der Senat mit der Entscheidung von dem als Urteil wirkenden Gerichtsbescheid des Sächsischen FG vom 16.11.2017 (s.o.) abweicht.
Die Gründe:
Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung, da die reguläre (vierjährige) Festsetzungsfrist nach § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO bereits verstrichen war, so dass für das Streitjahr bereits Festsetzungsverjährung eingetreten war.
Die Festsetzungsfrist beginnt mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Im Streitfall entstand der Anspruch auf Einkommensteuer nach § 36 Abs. 1 EStG i.V.m. § 38 AO somit mit Ablauf des Jahres 2010 und endete dementsprechend am 31.12.2014. Nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO beginnt die Festsetzungsfrist zwar hiervon abweichend dann, wenn eine Steuererklärung oder Steueranmeldung einzureichen oder eine Anzeige zu erstatten ist, erst mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Erklärung, Anmeldung oder die Anzeige eingereicht bzw. erstattet wird, und spätestens mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist. Der Anlauf der Festsetzungsfrist ist allerdings dann nicht gehemmt, wenn keine Steuererklärung einzureichen ist.
Ein solcher Pflichtveranlagungsfall lag hier aber nicht vor, denn bis zum Ende der allgemeinen Festsetzungsfrist mit Ablauf des Jahres 2014 bestand mangels Veranlagungstatbestandes gem. § 46 Abs. 2 Nrn. 1 bis 7 EStG keine Steuererklärungspflicht. Die erst nach Ablauf der Festsetzungsfrist eingereichte Einkommensteuererklärung konnte hier auch nicht mehr nachträglich eine rückwirkende Hemmung des Beginns der Festsetzungsfrist nach § 170 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AO bewirken. Zwar führte der Antrag auf Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG dazu, dass die durch den Kapitalertragsteuerabzug abgegoltenen besteuerten Kapitalerträge (§ 43 Abs. 5 Satz 1 EStG) aufgrund des Veranlagungswahlrechts nunmehr nach den allgemeinen Regelungen zu besteuern sind. Allerdings vermochte der erst nach Eintritt der Festsetzungsverjährung gestellte Antrag nach § 32d Abs. 6 EStG auf Günstigerprüfung eine Verpflichtung des Beklagten zur Durchführung einer Einkommensteuerveranlagung nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG wegen der Überschreitung der dort normierten 410 €-Grenze, nicht zu begründen.
Ebenso wie eine behördliche Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung den Anlauf der Festsetzungsfrist dann nicht mehr hemmt, wenn sie dem Steuerpflichtigen erst nach dem Ablauf der Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 AO zugeht, gilt dies gleichermaßen für den Fall, dass der Steuerpflichtige eine solche Pflicht durch seinen Antrag nach § 46 Abs. 2 Nr. 1 EStG i. V. m. § 32d Abs. 6 EStG herbeiführt. Zudem hat der BFH zuletzt ausgeführt (vgl. Urteil v. 21.8.2019, X R 16/17, dass der Antrag nach § 32d Abs. 4 EStG kein rückwirkendes Ereignis darstelle, sofern die Voraussetzungen für die Ausübung des Wahlrechts nach § 32d Abs. 4 EStG bereits vor Eintritt der Bestandskraft vorgelegen hätten.
Dies galt vorliegend gleichermaßen für das aus § 32d Abs. 6 EStG folgende Günstigerprinzip und so lag der Fall auch hier. Die Klägerin hätte ihr Wahlrecht nach § 32d Abs. 6 EStG ohne weiteres innerhalb der regulären Festsetzungsfrist bis zum Ablauf des 31.12.2014 ausüben können, denn die Steuerbescheinigungen lagen ihr innerhalb dieses Zeitraums vollständig vor. Damit erlosch der Anspruch aus dem Schuldverhältnis zum 31.12.2014 und wurde die Belastung der Kapitalerträge mit dem die Einkommensteuer abgeltenden Kapitalertragsteuerabzug definitiv. Die vorstehenden Grundsätze gelten auch für das aus § 32d Abs. 4 EStG folgende Veranlagungswahlrecht, so dass der Senat insoweit auf die vorstehenden Ausführungen verweisen konnte.