Keine teleologische Reduktion des Anwendungsbereichs von § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG in der bis Ende 2020 geltenden Fassung
KurzbesprechungWpHG § 2 Abs 1
EStG § 20 Abs 1 Nr. 7, § 20 Abs 2 S 1 Nr. 7, § 20 Abs 2 S 2, § 20 Abs 4 S 1, § 20 Abs 4a S 3 Halbs 1, § 20 Abs 8 S 2, § 23 Abs 1 S 1 Nr. 2, § 32d Abs 2 Nr. 1 S 1 Buchst b
JStG 2009, JStG 2010, JStG 2020
Der Steuerpflichtige erwarb am 02.11. des Streitjahres folgende Schuldverschreibungen zu einem Nennwert von je 3.600.000 € in seinem schweizerischen Depot:
- 72 Stück Reverse Convertible Bonds Precious Metals Opportunity 1,40 % Notes Suncap SCOOPS.A., ISIN: XS 1511904309 (PMO-Anleihe) zu einem Kaufpreis von 3.644.695,04 €;
- 72 Stück Reverse Convertible Bonds Gold Short 1,60 % Notes Ardilla Segur S.A., ISIN: XS1511907237 (GS-Anleihe) zu einem Kaufpreis von 3.645.401,76 €.
Da der Basiswert der PMO-Anleihe im Referenzzeitraum sank, veräußerte der Steuerpflichtige die Anleihe vor dem Fälligkeitstag am 01.12. des Streitjahres am 24.11. mit Wirkung zum 25.11. des Streitjahres zu einem Kaufpreis von 147.960 € an die A - GmbH, an der er beteiligt war. Das FA vertrat die Auffassung, dass der Verlust aus der Veräußerung der PMO-Anleihe nicht als tariflicher Veräußerungsverlust des Steuerpflichtigen, sondern als dem gesonderten Tarif unterliegender Verlust gemäß § 32d Abs. 1 EStG einzuordnen sei.
Hinsichtlich der GS-Anleihe hatte der Steuerpflichtige nach Auffassung des FA durch die Einlösung und Andienung der Xetra-Gold-Schuldverschreibungen einen Veräußerungsgewinn gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG erzielt, der ebenfalls dem gesonderten Tarif unterliege. Das FA verrechnete den Veräußerungsverlust aus der PMO-Anleihe und den Gewinn aus der Einlösung der GS-Anleihe und gelangte hieraus zu einem Verlust des Steuerpflichtigen, den es von den weiteren Kapitalerträgen des Steuerpflichtigen abzog, die unter den gesonderten Tarif fielen.
Der BFH entschied, dass das FG zutreffend den Veräußerungsverlust des Steuerpflichtigen aus der PMO-Anleihe als tariflichen Kapitalertrag behandelt, den Einlösungsgewinn des Steuerpflichtigen jedoch zu Unrecht der Besteuerung unterworfen hatte.
1. Veräußerungsverlust PMO - Anleihe
Bei der PMO-Anleihe handelt es sich um eine sonstige Kapitalforderung gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 1 und 2 EStG. Die Veräußerung der PMO-Anleihe hatte zu einem steuerbaren Veräußerungsverlust des Steuerpflichtigen gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 i.V.m. Abs. 4 Satz 1 EStG im Streitjahr geführt. Dieser Veräußerungsverlust unterlag jedoch nicht dem gesonderten Tarif gemäß § 32d Abs. 1 EStG. Denn die Voraussetzungen für einen Ausschluss des Verlusts gemäß § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG waren erfüllt, da der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % an der A-GmbH beteiligt ist.
§ 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG in der bis zum Jahressteuergesetz (JStG) 2020 vom 21.12.2020 (BGBl I 2020, 3096) geltenden Fassung ist nicht dergestalt teleologisch zu reduzieren, dass die Norm keine Anwendung findet, wenn durch die Veräußerung einer Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an eine Kapitalgesellschaft, an der der Steuerpflichtige zu mindestens 10 % beteiligt ist, ein Verlust entsteht.
Die Anwendung des § 32d Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 Buchst. b EStG war auch nicht deshalb ausgeschlossen, weil ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 42 AO vorlag. Denn der Steuerpflichtige hatte nicht gegen eine vom Gesetzgeber vorgegebene Wertung verstoßen, sondern lediglich von einer ihm durch das Gesetz eingeräumten Möglichkeit Gebrauch gemacht.
2. Einlösungsgewinn aus der GS - Anleihe
Bei der GS-Anleihe handelt es sich wie bei der PMO-Anleihe um eine sonstige Kapitalforderung im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG. Die Einlösung der GS-Anleihe unter Andienung und Lieferung der Xetra-Gold-Schuldverschreibungen durch die Emittentin erfüllt grundsätzlich den Tatbestand gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 EStG.
In der Einlösung liegt jedoch kein Tausch der Anleiheforderung gegen die Xetra-Gold-Schuldverschreibungen und damit keine Veräußerung der GS-Anleihe gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 EStG an die Emittentin. Denn die Forderung des Steuerpflichtigen auf Rückzahlung des vom Emittenten geschuldeten Geldbetrags (des Nennbetrags, geringeren oder höheren Betrags) wird durch die Andienung und Lieferung der Xetra-Gold-Schuldverschreibungen erfüllt und erlischt damit. Sie geht nicht als solche auf den Emittenten über. Der Vorgang kann nur als Einlösung gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG der Besteuerung unterliegen.
Da die Emittentin vom Andienungsrecht Gebrauch gemacht und die Xetra-Gold-Schuldverschreibungen geliefert hatte, hatte der Steuerpflichtige als Anleihegläubiger aufgrund der Einlösung eine Sacheinnahme im Sinne des § 8 Abs. 1 EStG in Höhe des Werts der angedienten Xetra-Gold-Schuldverschreibungen zum Zeitpunkt der Lieferung erzielt.
Aus der Einlösung entsteht dem Steuerpflichtigen gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG ‑ vorbehaltlich der Sonderregelung in § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG ‑ ein Gewinn in Höhe der Differenz zwischen dem Wert der erhaltenen Xetra-Gold-Schuldverschreibungen und dem geleisteten Nennbetrag der Anleihe als Anschaffungskosten.
Auf die Einlösung der GS-Anleihe war jedoch § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG anzuwenden. Nach dieser Regelung ist bei der Ermittlung des Einlösungsgewinns das Entgelt des Steuerpflichtigen für den Erwerb der GS-Anleihe statt des Werts der erhaltenen Xetra-Gold-Schuldverschreibungen als Veräußerungspreis anzusetzen, wodurch sich aufgrund der gleich hohen Anschaffungskosten gemäß § 20 Abs. 4 Satz 1 EStG kein Einlösungsgewinn ergab.
Der BFH sieht weder Raum für eine normspezifische Auslegung des Merkmals der erhaltenen Wertpapiere noch für eine teleologische Reduktion der Rechtsfolge aus § 20 Abs. 4a Satz 3 EStG in der Weise, dass die Norm nur auf eingetauschte Wertpapiere Anwendung finden kann, die im Rahmen des § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7, Abs. 2 Satz 2 EStG einer durchgehenden Verstrickung eines späteren Veräußerungsgewinns und gemäß § 20 Abs. 2 Satz 2 EStG gleichgestellten Gewinns unterliegen. Ein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten im Sinne des § 42 AO lag bezogen auf die Einlösung der GS-Anleihe ebenfalls nicht vor.