03.08.2022

Keine Verzinsung zu Unrecht entrichteter Kernbrennstoffsteuer

Die Verfassungsbeschwerde der Betreiberin eines Kernkraftwerks hinsichtlich der Frage, ob es infolge der Nichtigerklärung des Kernbrennstoffsteuergesetzes durch das BVerfG verfassungsrechtlich geboten ist, einen entrichteten und im Anschluss an die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Jahr 2017 zurückerstatteten Steuerbetrag i.H.v. rd. 55 Mio. € ab dem Zeitpunkt der Steuerzahlung zu verzinsen, hatte vor dem BVerfG keinen Erfolg.

BVerfG v. 30.6.2022 - 2 BvR 737/20
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin betreibt ein Kernkraftwerk. Sie gab entsprechend den Vorgaben des Kernbrennstoffsteuergesetzes (KernbrStG) eine Steuererklärung ab, in der sie die Steuer mit rd. 55 Mio. € berechnete. Das Hauptzollamt Osnabrück erklärte die Festsetzung der Kernbrennstoffsteuer hinsichtlich der Vereinbarkeit des KernbrStG mit dem GG für vorläufig, weil die Frage der Vereinbarkeit des KernbrStG mit dem GG zu diesem Zeitpunkt schon Gegenstand eines vor dem BVerfG anhängigen Normenkontrollverfahrens war. Am 25.7.2016 beglich die Beschwerdeführerin ihre Steuerschuld. Sodann legte sie Einspruch gegen die Festsetzung von Kernbrennstoffsteuer ein. Der Einspruch wurde zunächst nicht beschieden. Eine Klage vor dem FG erhob die Beschwerdeführerin deswegen jedoch nicht.

Im Rahmen eines Verfahrens der konkreten Normenkontrolle erklärte der Zweite Senat des BVerfG mit Beschluss vom 13.4.2017 das KernbrStG für mit dem GG insgesamt unvereinbar und nichtig. Daraufhin hob das Hauptzollamt seinen Bescheid auf und half dadurch dem Einspruch der Beschwerdeführerin ab. Die aufgrund der Steueranmeldung entrichteten 55 Mio. € zahlte es zurück.

Die Beschwerdeführerin beantragte eine Verzinsung dieses Betrages. Sie verlangte je 0,5 % Zinsen für zehn volle Monate zwischen dem Zeitpunkt der Entrichtung der Steuer am 25.7.2016 und dem Eingang der Erstattung am 19.6.2017, mithin rd. 2,7 Mio. €. Der Gesetzgeber hat in der AO einen solchen Zinsanspruch allerdings nicht vorgesehen. Das Hauptzollamt Osnabrück lehnte daher die beantragte Festsetzung von Zinsen ab. Der hiergegen eingelegte Einspruch blieb erfolglos. Das FG Hamburg wies die gegen die Ablehnung der Verzinsung erhobene Klage ab und ließ die Revision nicht zu. Die von der Beschwerdeführerin eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde wies der BFH als unbegründet zurück.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 14 Abs. 1 GG sowie aus Art. 3 Abs. 1 GG, jeweils i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG. Allein durch Rückzahlung der Steuer sei die durch Erhebung der verfassungswidrigen Kernbrennstoffsteuer erfolgte Grundrechtsverletzung nicht behoben worden. Vielmehr sei zur vollständigen Kompensation des Eingriffs eine Verzinsung verfassungsrechtlich geboten.

Die Verfassungsbeschwerde hatte vor dem BVerfG keinen Erfolg.

Die Gründe:
Die angegriffenen fachbehördlichen und -gerichtlichen Entscheidungen verletzen die Beschwerdeführerin durch Versagung des im Ausgangsverfahren begehrten Zinsanspruchs nicht in ihren Grundrechten.

Der Zinsanspruch folgt nicht unmittelbar aus dem GG. Die Erhebung der Kernbrennstoffsteuer aufgrund eines kompetenzwidrig erlassenen Gesetzes hat die Beschwerdeführerin in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit gem. Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Zur Handlungsfreiheit gehört insbesondere das Recht der Betroffenen, nur aufgrund solcher Rechtsvorschriften zu Steuern herangezogen zu werden, die formell und materiell mit der Verfassung vereinbar sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören. Der im Gefolge dieser Grundrechtsverletzung entstandene Anspruch der Beschwerdeführerin auf Erstattung der entrichteten Steuer ist erfüllt. Grundrechtsverstöße wie der vorliegende können zwar darüber hinaus verfassungsrechtlich radizierte Kompensationsansprüche begründen. Daraus folgt jedoch kein spezifischer verfassungsunmittelbarer Sekundäranspruch, wie er als Zinsanspruch im Ausgangsverfahren geltend gemacht wurde. Art und Umfang grundrechtlicher Sekundäransprüche bedürfen vielmehr der Ausgestaltung und Konkretisierung durch den Gesetzgeber.

Die verfassungsrechtliche Garantie grundrechtlicher Sekundäransprüche dem Grunde nach statuiert keine Pflicht des Gesetzgebers, sämtliche Folgen verfassungswidriger Eingriffe rückwirkend zu beseitigen. Bei der Ausgestaltung spezifischer Sekundäransprüche kommt dem Gesetzgeber ein Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsspielraum zu, der Typisierungen und Pauschalisierungen nicht nur zulässt, sondern erfordert, um die Sekundäransprüche operationalisierbar zu machen. Dem Gesetzgeber obliegt damit auch die Entscheidung, ob und inwiefern gerade Zinsansprüche ein Bestandteil des grundgesetzlich gewährleisteten Kompensationsregimes sein sollen, das die Folgen einer verfassungswidrig erhobenen Steuer angemessen ausgleichen soll. Falls Zinsansprüche vorgesehen werden, kann er bei der Auswahl des Zinsgegenstands und der Bemessung des Zinssatzes typisierende Regelungen treffen und sich dabei in erheblichem Umfang von Praktikabilitätserwägungen mit dem Ziel der Einfachheit der Zinsfestsetzung und -erhebung leiten lassen.

Die gesetzgeberische Entscheidung, den geltend gemachten Zinsanspruch in der AO nicht vorzusehen, ist nicht verfassungswidrig. Sieht der Gesetzgeber nach verfassungswidriger Erhebung von Steuern Rückerstattungsansprüche in Höhe der gezahlten Nominalbeträge vor, verlangen die Grundsätze des grundrechtlichen Kompensationsanspruchs im Regelfall keine über die Rückzahlung des geleisteten Steuerbetrags hinausgehende Kompensation. Dies gilt jedenfalls bei niedrigen Marktzinsen und niedriger Inflation für Erstattungen, die regelmäßig binnen weniger Jahre - und nicht erst nach Jahrzehnten - erfolgen. Nach Erstattung der gezahlten Steuer verbleibt in einem solchen Fall grundsätzlich keine verfassungsrechtlich erhebliche Beeinträchtigung von Grundrechten, die zu kompensieren wäre. Hier wurde die zu Unrecht gezahlte Kernbrennstoffsteuer der Beschwerdeführerin binnen eines angemessen kurzen Zeitraums von nur zehn Monaten erstattet. In dem streitgegenständlichen Zeitraum war das Zinsumfeld von Niedrigzinsen geprägt. Der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers hat sich daher nicht zu einer Verpflichtung verdichtet, die Steuererstattungsansprüche zu verzinsen.

Die fehlende Anordnung einer generellen Verzinsung der Kernbrennstoffsteuererstattung verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG. Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften durch die angegriffenen Entscheidungen verstoßen ebenfalls nicht gegen das GG. Es entspricht dem rechtsstaatlichen Grundsatz der Bindung des Richters an Gesetz und Recht, die gesetzgeberischen Konkretisierungs- und Ausgestaltungsentscheidungen zu beachten, statt sie durch eigene Gerechtigkeitsvorstellungen der Fachgerichte zu ersetzen.

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BVerfG PM Nr. 65 vom 29.7.2022
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