Kindergeld: Behinderung bei Drogenabhängigkeit
FG Köln 14.3.2014, 15 K 768/09Der Sohn der Klägerin war seit seinem 16. Lebensjahr bis in den hier streitigen Zeitraum hinein drogenabhängig und psychisch krank. In den Jahren 2002, 2003 und 2006 war er stationär in einer Klinik aufgenommen worden. Im August 2006, als der Sohn 25 Jahre alt war, beantragte die Klägerin Kindergeld. Beigefügt war ein Attest, in dem bestätigt wurde, dass der Sohn sich aufgrund einer psychiatrischen Erkrankung seit 2003 in regelmäßiger fachpsychiatrischer Behandlung befinde. Er sei für einen noch nicht absehbaren Zeitraum nicht in der Lage einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und den Lebensunterhalt durch Erwerbstätigkeit sicherzustellen Die Ersterkrankung war auf das Jahr 2002 zurückzudatieren worden. Der Grad der Behinderung wurde vom Gutachter auf 100% bestimmt.
Die Familienkasse lehnte den Antrag ab. Sie führte aus, laut Stellungnahme des ärztlichen Dienstes sei eine nachträgliche Aussage bzw. Entscheidung über die Erwerbsfähigkeit für den Zeitraum Januar 2002 bis Juni 2003 nicht mehr möglich. Das FG gab der hiergegen gerichteten Klage statt.
Die Gründe:
Die Klägerin hat für die Monate Juni und Juli 2002 sowie April 2003 Anspruch auf Kindergeld.
Der Sohn war in den hier streitigen Zeiträumen behindert (Grad der Behinderung von 100%). Dies hatten sämtliche Belege über die in den Jahren ab 2002 erfolgten ärztlichen Behandlungen überzeugend ausgeführt. Die Behinderung war auch vor dem 27. Lebensjahr eingetreten. Der Sohn war aufgrund seiner Behinderung außerstande sich selbst zu unterhalten. Nach BFH-Rechtsprechung (Urt. v. 19.11.2008, Az.: III R 105/07) ist ein behindertes Kind außerstande, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen gesamten notwendigen Lebensunterhalt nicht mit den ihm zur Verfügung stehenden finanziellen Mitteln bestreiten kann. Der existenzielle Lebensbedarf setzt sich typischerweise zusammen aus dem allgemeinen Lebensbedarf (Grundbedarf), der sich an dem maßgeblichen Jahresgrenzbetrag nach § 32 Abs. 4 S. 2 EStG orientiert, und dem individuellen behinderungsbedingten Mehrbedarf.
Insofern ist keine abstrakte Betrachtungsweise zulässig; vielmehr fordert der Gesetzgeber eine konkrete Bewertung der jeweiligen Situation des behinderten Kindes nach den Gesamtumständen des Einzelfalls. Ein Indiz für die Fähigkeit (oder Unfähigkeit) des behinderten Kindes zum Selbstunterhalt kann die Feststellung in ärztlichen Gutachten sein, das Kind sei (oder sei nicht) nach Art und Umfang seiner Behinderung in der Lage, eine arbeitslosenversicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Je höher der Grad der Behinderung ist, desto stärker wird die Vermutung, dass die Behinderung der erhebliche Grund für die fehlende Erwerbstätigkeit ist. Indizien für eine Erwerbsfähigkeit können etwa die tatsächliche Aufnahme einer nicht behinderungsspezifischen Berufsausbildung oder der Bezug von "Arbeitslosengeld II" sein.
Infolgedessen war davon auszugehen, dass der Sohn der Klägerin nicht in der Lage war, sich selbst zu unterhalten und seine Behinderung in erheblichem Umfang mitursächlich für die Unfähigkeit zum Selbstunterhalt war. Dafür sprach der vom Gutachter festgestellte Grad der Behinderung von 100 %. Anhaltspunkte, die für eine Fähigkeit des Sohnes sich selbst zu unterhalten sprachen, waren nicht ersichtlich. Weder war der Sohn tatsächlich erwerbstätig, noch gab es Anhaltspunkte dafür, dass er in den streitigen Zeiträumen eine Form von Arbeitslosengeld erhielt. Ferner ergaben sich keine Anhaltspunkte, die dafür sprachen, dass andere Gründe als die bestehende Behinderung maßgeblich ursächlich für die mangelnde Fähigkeit zum Selbstunterhalt waren.
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