27.07.2023

Kindergeld für ein in Australien studierendes Kind

1. Ab dem Entschluss, länger als ein Jahr zu Ausbildungszwecken im außereuropäischen Ausland (vgl. § 63 Abs. 1 Satz 6 EStG) zu bleiben, behält das Kind seinen Inlandswohnsitz in der elterlichen Wohnung nur dann bei, wenn es diese im Folgenden regelmäßig mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit nutzt (Bestätigung der Rechtsprechung).
2. Für die Berechnung, ob ein Kind in den ausbildungsfreien Zeiten überwiegend die elterliche Wohnung nutzt, ist im Regelfall auf das Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahr abzustellen. Die Gründe für den Inlandsaufenthalt spielen bei der Ermittlung seiner Dauer keine Rolle.
3. Steht während des laufenden Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahres fest, dass das Kind nicht mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit in der elterlichen Wohnung verbringen wird, spricht dies für eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes bereits zu diesem Zeitpunkt und nicht erst zum Ende des jeweiligen Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahres.

Kurzbesprechung
BFH v. 21.6.2023 - III R 11/21

AO § 8
EStG § 63 Abs 1 S 6, § 66 Abs 2, § 70 Abs 2 S 1


Im Streitfall ging es um die Frage, ob ein in Australien studierendes Kind im Inland noch einen Wohnsitz hat und die Eltern dadurch kindergeldberechtigt bleiben. Hierzu hat der BFH die dabei zu beachtenden Rechtsgrundsätze wie folgt zusammenfassend dargestellt.
  • Ein Kind, das zu Ausbildungszwecken im Ausland untergebracht ist, behält seinen Inlandswohnsitz in der elterlichen Wohnung (nur dann) bei, wenn dem Kind dort weiterhin zum dauerhaften Wohnen geeignete Räumlichkeiten jederzeit zur Verfügung stehen und erkennbar ist, dass das Kind die elterliche Wohnung nach wie vor auch als seine eigene betrachtet. Dazu muss das Kind die elterliche Wohnung mit einer gewissen Regelmäßigkeit ‑ wenn auch in größeren Zeitabständen ‑ aufsuchen.
  • Sucht das Kind die elterliche Wohnung nur noch selten oder gar nicht mehr auf, fehlt es am "Innehaben" einer Wohnung im Sinne des § 8 AO, selbst wenn für das Kind weiterhin ein (Kinder- oder Jugend-)Zimmer in der elterlichen Wohnung zur jederzeitigen Nutzung bereitsteht. Zwar erlauben unter anderem auch die voraussichtliche Dauer der auswärtigen Unterbringung, die Art der Unterbringung am Ausbildungsort auf der einen und im Elternhaus auf der anderen Seite, der Zweck des Auslandsaufenthalts, sowie die persönlichen Beziehungen des Kindes am Wohnort der Eltern und am Ausbildungsort Rückschlüsse auf die Beibehaltung oder die Aufgabe eines Wohnsitzes. Bei einem mehrjährigen Auslandsaufenthalt kommt jedoch den Aufenthaltszeiten in der inländischen Wohnung eine besondere Bedeutung zu.
  • Bei der Frage, wie häufig das Kind die elterliche Wohnung aufsuchen muss, damit es eine Wohnung im Sinne des § 8 AO beibehält, ist zwischen einjährigen und mehrjährigen Auslandsaufenthalten zu Ausbildungs-, Schul- oder Studienzwecken zu unterscheiden.
  • Bei bis zu einem Jahr dauernden Auslandsaufenthalten zu Ausbildungs-, Schul- oder Studienzwecken führt das Fehlen unterjähriger Inlandsaufenthalte des Kindes regelmäßig für sich allein noch nicht zu einer Aufgabe des Wohnsitzes.
  • Bei einem sogenannten mehrjährigen, das heißt auf mehr als ein Jahr angelegten Auslandsaufenthalt behält ein Kind seinen inländischen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung hingegen regelmäßig nur dann bei, wenn es sich während der ausbildungsfreien Zeiten überwiegend im Inland aufhält und die Inlandsaufenthalte Rückschlüsse auf ein zwischenzeitliches Wohnen zulassen. Das ist der Fall, wenn das Kind während seines Inlandsaufenthalts die Wohnung nutzt; kurze Unterbrechungen ‑‑zum Beispiel zu Besuchszwecken oder wegen eines Krankenhausaufenthalts‑‑ sind unschädlich.
  • Bei mehrjährigen Auslandsaufenthalten nicht ausreichend sind kurze, üblicherweise durch die Eltern-Kind-Beziehung begründete Besuchsaufenthalte in der elterlichen Wohnung von zwei bis drei Wochen pro Jahr.
  • War ein Auslandsaufenthalt zunächst nur auf ein Jahr angelegt, entschließt sich das Kind jedoch, den Auslandsaufenthalt zu verlängern, gelten die Kriterien, welche die Rechtsprechung für einen mehrjährigen Auslandsaufenthalt entwickelt hat, (erst) ab dem Zeitpunkt, in dem sich das Kind zu einer Verlängerung entschließt. Das Fehlen unterjähriger Inlandsaufenthalte bis dahin hat nicht die Aufgabe des Wohnsitzes zur Folge.
  • Ab dem Entschluss, länger als ein Jahr zu Ausbildungszwecken im Ausland zu bleiben, behält das Kind seinen Inlandswohnsitz in der Regel nur dann bei, wenn es sich im Folgenden regelmäßig mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit im Inland aufhält und dabei ‑ von kurzen Unterbrechungen abgesehen ‑ die inländische Wohnung nutzt. Dies gilt auch dann, wenn sich das Kind von Jahr zu Jahr entschließt, seinen Auslandsaufenthalt um jeweils ein Jahr zu verlängern.
  • Für die Berechnung, ob sich ein Kind in den ausbildungsfreien Zeiten überwiegend im Inland aufhält und ‑ von kurzen Unterbrechungen abgesehen ‑ die elterliche Wohnung nutzt, ist im Regelfall auf das Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahr abzustellen. Zeiten, in denen sich das Kind vor dem Beginn und nach dem Ende der Ausbildung im Inland aufhält, bleiben außer Betracht.
  • Ein Kind, das sich in den ersten Jahren in der ausbildungsfreien Zeit überwiegend in der elterlichen Wohnung aufgehalten hat, verliert seinen dortigen Wohnsitz für diese Jahre nicht rückwirkend, wenn es mit zunehmender Studiendauer seltener nach Hause kommt und ‑ trotz häufiger oder langer Besuche in den ersten Ausbildungsjahren ‑ über die gesamte Ausbildungszeit (Studienzeit) gesehen nicht mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit im Inland verbracht hat. Umgekehrt sind besonders häufige oder lange Aufenthalte in der elterlichen Wohnung zu Beginn eines mehrjährigen Auslandsaufenthalts ‑ ein "Aufenthaltsüberschuss" ‑ für sich genommen kein Grund, einen Wohnsitz in der elterlichen Wohnung in späteren Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahren anzunehmen, obwohl das Kind die elterliche Wohnung dann nicht mehr oder nur noch selten aufsucht.
  • Steht bereits während des laufenden Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahres fest, dass das Kind nicht mehr als die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit in der elterlichen Wohnung verbringen wird, spricht dies für eine Aufgabe des inländischen Wohnsitzes bereits zu diesem Zeitpunkt und nicht erst zum Ende des jeweiligen Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahres. Dies kommt beispielsweise in Betracht, wenn die Hälfte der ausbildungsfreien Zeit des Ausbildungs-, Schul- oder Studienjahres ohne Inlandsaufenthalt verstrichen ist.
  • Bei der Frage, ob das Kind die ausbildungsfreie Zeit überwiegend im Inland beziehungsweise in der dortigen Wohnung verbracht hat, zählen alle Aufenthaltstage. Die Gründe für den Aufenthalt im Inland spielen bei der Ermittlung seiner Dauer keine Rolle. Denn der Wohnsitzbegriff des § 8 AO knüpft an die tatsächliche Gestaltung an. Entscheidend sind die tatsächlichen Verhältnisse; die Voraussetzungen für das "Innehaben" einer Wohnung im steuerrechtlichen Sinn sind objektiviert. Besuche der Eltern beim Kind oder fehlende finanzielle Mittel für Heimreisen des Kindes können fehlende Inlandsaufenthalte somit nicht kompensieren. Umgekehrt spielt es aber auch keine Rolle, von welchen Beweggründen sich das Kind bei seinen Aufenthalten in der inländischen Wohnung leiten ließ. Dass das Kind von der elterlichen Wohnung aus seine Neigungen und Interessen auslebt und seine Ziele ‑ auch gesundheitlicher Art ‑ verfolgt, dass es soziale und persönliche Bindungen am Wohnort aufrechterhält und bei den Inlandsaufenthalten weiter pflegt, ist Teil der Nutzung der Wohnung und kein Grund, Aufenthaltstage unberücksichtigt zu lassen.
Verlag Dr. Otto Schmidt
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