Kindergeld: Unionsrechtliche Familienbetrachtung gilt auch im Verfahrensrecht
BFH v. 31.8.2021 - III R 10/20
Der Sachverhalt:
Im Revisionsverfahren ist streitig, ob das FG die Familienkasse zu Recht verpflichtet hat, zugunsten der Klägerin für die Zeit von Januar 2012 bis 2015 (Streitzeitraum) Kindergeld gem. §§ 62 ff. EStG für deren leibliche Tochter (T) festzusetzen. Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige und lebte im Streitzeitraum in Griechenland. T lebte im Haushalt der Klägerin in Griechenland und ging dort zur Schule. Die Klägerin erhielt für die 1999 geborene T in Griechenland keine Familienleistungen, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. Die Klägerin war in Griechenland nicht erwerbstätig und bezog auch keine Rente.
Der im Streitzeitraum in Deutschland lebende leibliche Vater der T, ein griechischer Staatsangehöriger, war aufgrund eines Verkehrsunfalls erwerbsunfähig und erhielt vom Unfallgegner aus dessen Haftpflichtversicherung bis 2014 als Rente bezeichnete monatliche Geldleistungen und seit 2015 die gesetzliche Altersrente, weshalb die Familienkasse den Kindergeldanspruch der Klägerin ab 2015 anerkannte. Der Vater stellte im April 2013 einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld für T, der von der Familienkasse abgelehnt wurde. Die Klage des Vaters hatten keinen Erfolg. Das FG hielt gem. § 64 Abs. 1 EStG (allenfalls) die Klägerin, nicht aber den V, für anspruchsberechtigt.
Im Juli 2017 stellte die Klägerin einen Kindergeldantrag, den die Familienkasse ablehnte. Deutschland sei gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht zur Zahlung von Differenzkindergeld verpflichtet, weil der Kindergeldanspruch im Streitzeitraum nur auf dem Wohnsitz des V in Deutschland beruhe. Der bis 2014 in Raten ausgezahlte Schadensersatz sei keine Rente i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 883/2004.
Das FG gab der Klage statt, hob den ablehnenden Bescheid auf und verpflichtete die Familienkasse, zugunsten der Klägerin Kindergeld für das Kind T für den Zeitraum von Januar 2012 bis 2015 festzusetzen. Die Revision der Familienkasse hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin gem. §§ 32, 62 ff. EStG i.V.m. Art. 67 f. der VO Nr. 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 (Durchführungsverordnung) in dem vom FG zuerkannten Umfang Kindergeld zusteht. Dabei hat das FG auch zutreffend einen inländischen Wohnsitz der Anspruchsberechtigten i.S.d. § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG fingiert.
Gem. Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats. Gem. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen.
Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von (Differenz-)Kindergeld ist auch nicht gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen, obwohl der Kindergeldanspruch allein auf dem Wohnsitz des Vaters beruht. Bei Antragstellung war für das Kindergeld für die Zeit ab Januar 2012 auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten, denn der für den Kindergeldanspruch der Klägerin maßgebliche Antrag wurde nicht erst im Juli 2017, sondern bereits im April 2013 von V gestellt und mit Einspruch vom 24.3.2015 auf die Zeit bis Januar 2015 erstreckt.
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Im Revisionsverfahren ist streitig, ob das FG die Familienkasse zu Recht verpflichtet hat, zugunsten der Klägerin für die Zeit von Januar 2012 bis 2015 (Streitzeitraum) Kindergeld gem. §§ 62 ff. EStG für deren leibliche Tochter (T) festzusetzen. Die Klägerin ist bulgarische Staatsangehörige und lebte im Streitzeitraum in Griechenland. T lebte im Haushalt der Klägerin in Griechenland und ging dort zur Schule. Die Klägerin erhielt für die 1999 geborene T in Griechenland keine Familienleistungen, da die Anspruchsvoraussetzungen nicht erfüllt waren. Die Klägerin war in Griechenland nicht erwerbstätig und bezog auch keine Rente.
Der im Streitzeitraum in Deutschland lebende leibliche Vater der T, ein griechischer Staatsangehöriger, war aufgrund eines Verkehrsunfalls erwerbsunfähig und erhielt vom Unfallgegner aus dessen Haftpflichtversicherung bis 2014 als Rente bezeichnete monatliche Geldleistungen und seit 2015 die gesetzliche Altersrente, weshalb die Familienkasse den Kindergeldanspruch der Klägerin ab 2015 anerkannte. Der Vater stellte im April 2013 einen Antrag auf Festsetzung von Kindergeld für T, der von der Familienkasse abgelehnt wurde. Die Klage des Vaters hatten keinen Erfolg. Das FG hielt gem. § 64 Abs. 1 EStG (allenfalls) die Klägerin, nicht aber den V, für anspruchsberechtigt.
Im Juli 2017 stellte die Klägerin einen Kindergeldantrag, den die Familienkasse ablehnte. Deutschland sei gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit nicht zur Zahlung von Differenzkindergeld verpflichtet, weil der Kindergeldanspruch im Streitzeitraum nur auf dem Wohnsitz des V in Deutschland beruhe. Der bis 2014 in Raten ausgezahlte Schadensersatz sei keine Rente i.S.d. Art. 68 Abs. 1 Buchst. a der VO Nr. 883/2004.
Das FG gab der Klage statt, hob den ablehnenden Bescheid auf und verpflichtete die Familienkasse, zugunsten der Klägerin Kindergeld für das Kind T für den Zeitraum von Januar 2012 bis 2015 festzusetzen. Die Revision der Familienkasse hatte vor dem BFH keinen Erfolg.
Die Gründe:
Das FG hat zutreffend entschieden, dass der Klägerin gem. §§ 32, 62 ff. EStG i.V.m. Art. 67 f. der VO Nr. 883/2004 und Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 (Durchführungsverordnung) in dem vom FG zuerkannten Umfang Kindergeld zusteht. Dabei hat das FG auch zutreffend einen inländischen Wohnsitz der Anspruchsberechtigten i.S.d. § 62 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG fingiert.
Gem. Art. 67 Satz 1 der VO Nr. 883/2004 hat eine Person auch für Familienangehörige, die in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, Anspruch auf Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats. Gem. Art. 60 Abs. 1 Satz 2 der VO Nr. 987/2009 ist bei der Anwendung von Art. 67 und 68 der VO Nr. 883/2004 die Situation der gesamten Familie in einer Weise zu berücksichtigen, als würden alle beteiligten Personen unter die Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats fallen und dort wohnen.
Der Anspruch der Klägerin auf Gewährung von (Differenz-)Kindergeld ist auch nicht gem. Art. 68 Abs. 2 Satz 3 der VO Nr. 883/2004 ausgeschlossen, obwohl der Kindergeldanspruch allein auf dem Wohnsitz des Vaters beruht. Bei Antragstellung war für das Kindergeld für die Zeit ab Januar 2012 auch noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten, denn der für den Kindergeldanspruch der Klägerin maßgebliche Antrag wurde nicht erst im Juli 2017, sondern bereits im April 2013 von V gestellt und mit Einspruch vom 24.3.2015 auf die Zeit bis Januar 2015 erstreckt.