Kindergeld: Zum Anspruch einer in Deutschland selbstständig erwerbstätigen Mutter für ihre bei der Großmutter in Polen lebende Tochter
FG Münster 5.3.2013, 14 K 11/12 KgStreitig ist, ob der Klägerin für ihre Tochter, die im Haushalt ihrer Großmutter in Polen lebt, Kindergeld zusteht. Die Klägerin besitzt die polnische Staatsangehörigkeit und wohnt in C. Zum 1.6.2008 meldete sie ein Gewerbe in Deutschland an. Die polnischen Behörden bestätigten auf dem Vordruck E 411 am 28.11.2008, dass die Großmutter ab dem 1.5.2008 bis "laufend" keinen Anspruch auf Familienleistungen in Polen habe, weil die "Vorschriften des Gesetzes nicht erfüllt worden" seien.
In einer weiteren, ebenfalls auf dem Vordruck E 411 ausgestellten Bescheinigung vom 8.4.2011 heißt es, dass die Klägerin keinen Kindergeldantrag gestellt habe. Das Finanzamt setzte im Februar 2009 zunächst zugunsten der Klägerin Kindergeld für ihre Tochter ab Mai 2008 fest. Im September 2011 hob das Finanzamt die Kindergeldfestsetzung gem. § 70 Abs. 3 EStG ab September 2011 mit der Begründung auf, dass das Kind im Haushalt der Großmutter in Polen lebe und die Großmutter deshalb gem. § 64 Abs. 2 S. 1 EStG vorrangig kindergeldberechtigt sei.
Das FG gab der gegen den Aufhebungsbescheid gerichteten Klage statt. Die Revision zum BFH wurde zwecks Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen.
Die Gründe:
Der Aufhebungsbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Welchen Rechtsvorschriften eine Person in Sachen Familienleistungen, zu denen auch das Kindergeld gehört, unterliegt, bestimmt sich bei grenzüberschreitenden Sachverhalten für Streitzeiträume ab Mai 2010 nach Art. 11 ff. der Verordnung (EG) Nr. 883/2004. Nach Art. 11 Abs. 1 S. 1 der Verordnung unterliegen Personen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaates. Dies ist bei der Klägerin, die seit 2008 in Deutschland selbständig tätig ist, gem. Art. 11 Abs. 1 S. 2 i. V. m. Abs. 3a der Verordnung das Recht der Bundesrepublik Deutschland. Die Großmutter unterliegt dagegen dem polnischen Recht, und zwar zumindest deshalb, weil sie ihren Wohnsitz in Polen hat (Art. 11 Abs. 1 S. 2 i.V.m. Abs. 3c der Verordnung).
Die Voraussetzung der §§ 62 und 63 EStG liegen vor. Die im Inland ansässige Klägerin war im Streitzeitraum nach § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG anspruchsberechtigt und die minderjährige Tochter ist ein berücksichtigungsfähiges Kind i.S.d. § 63 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Dass sie in Polen wohnt, ist unschädlich, da nach § 63 Abs. 1 S. 3 EStG für Kinder, die ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt u.a. in einem Mitgliedstaat der EU - hier: Polen - haben, ebenso Kindergeld zu gewähren ist wie für Kinder mit Wohnsitz oder gewöhnlichem Aufenthalt in der Bundesrepublik.
Der Kindergeldanspruch der Klägerin wird nicht durch § 64 Abs. 2 S. 1 EStG ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist bei mehreren Berechtigten das Kindergeld zwar demjenigen zu zahlen, der das Kind in seinen Haushalt aufgenommen hat und das Kind lebte im Haushalt der Großmutter. "Berechtigter" i.S.d. § 64 EStG kann jedoch nur eine Person sein, die nach deutschem Recht selbst kindergeldberechtigt ist. Die Großmutter unterlag jedoch ausschließlich den polnischen Rechtsvorschriften und erfüllte ohnehin auch weder die Voraussetzungen des § 62 EStG noch die Voraussetzungen des § 1 BKKG. Folglich ist die Großmutter keine "Berechtigte" i.S.d. § 64 EStG.
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